Anarchistische Kriminologie

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Anarchistische Kriminologie ist eine wenig bekannte Teilströmung der Wissenschaft von der Kriminalität, die sich kritisch mit der Existenz und Legitimation von Staat, Strafrecht, Polizei, Gefängnissen und Überwachungsbürokratien aller Art auseinandersetzt. Steht für die Kriminologie sonst die Reform dieser Institutionen im Sinne einer immer besseren Erforschung der Ursachen der Kriminalität, der Effektivität der Verbrechensbekämpfung und der Resozialisierung von Gefangenen im Vordergrund, so geht die anarchistische Kriminologie das Problem der Kriminalität von der anderen Seite her an: von der Existenz der Herrschaft, der sozialen Ungleichheit und des Strafjustizsystems. Kriminalität ist für sie nicht der Gegenstand der Kriminalpolitik, sondern deren Produkt. Wer etwas über die Ursachen der Kriminalität erfahren möchte, muss sich die Organisation des Staates und der Gesellschaft selbst ansehen. Der anarchistischen Kriminologie wird - falls man sie überhaupt wahrnimmt - ein Mangel an guten Argumenten und an Realitätsbezug vorgehalten. Eine pauschale Kritik übersieht allerdings die Wahlverwandtschaft neuerer Strömungen in der Kriminalpolitik mit anarchistischen Grundideen. Und sie ignoriert die Existenz von empirisch belegten Zusammenhängen zwischen sozialer Ungleichheit, Kriminalitätsraten und Einsperrungsquoten. Die These, dass Gesellschaften mit größerer Gleichverteilung der Einkommen ein geringeres Ausmaß an Kriminalität und anderen sozialen Problemen aufweisen, gehört damit inzwischen zu den stärksten Argumenten, die sich (nicht nur, aber auch) für die anarchistische Kriminologie finden lassen.

Geschichte der anarchistischen Kriminologie

Die anarchistische Kriminologie macht nicht viel von sich reden. Das hat mehrere Gründe. Erstens kann man sich auch in Kreisen der Wissenschaft das Mögliche meist doch nur im engen Gehäuse des Bestehenden vorstellen. Eine Denkrichtung, die entschiedene Alternativen für grundsätzlich möglich und sogar notwendig hält, hat da keinen guten Resonanzboden. Zweitens ist die Kriminologie innerhalb der Wissenschaften eine der am stärksten am Status Quo orientierten, also besonders phantasielos. Drittens ist der Begriff des Anarchismus weitgehend negativ besetzt: wer ihn affirmativ benutzt, riskiert jedenfalls informelle soziale Sanktionen, die im Wissenschaftsbetrieb allerdings für eine Karriere tödlich sein können. Ganz abgesehen davon ist der Mut vielleicht auch umsonst: auch ein noch so sinnvolles Argument würde wohl leicht "in eine bestimmte Ecke" gestellt und schlicht den Sprung in den seriösen Diskurs nicht schaffen, wenn es unter dem Titel des "Anarchismus" aufträte. Daher gibt es in Wirklichkeit gar nicht so wenige anarchistische Denker wie es scheint. Projekte wie Justice Reinvestment oder Restorative Justice, bzw. Transformative Justice basieren alle auf der Idee, dass der Umgang mit Kriminalität viel besser erfolgen kann, wenn man die Regelung der Konflikte dem Staat aus den Händen nimmt der Gesellschaft zurückgibt.

Die anarchistische Kriminologie betrachtet Staat und Strafrecht als eine Art soziales Problem. Sie bestreitet die Legitimationen der Strafe, des Strafrechts, der Gefängnisse und der Polizeigewalt und tritt für gewaltfreie Konfliktlösungen ein.

Kriminalpolitische Wahlverwandtschaften

Der Anarchismus bringt das Individuum und die Gesellschaft gegen den als illegitim und schädlich angesehenen Staatsapparat und das staatliche Strafrecht in Stellung. Polizei und Gefängnisse werden als Quellen der Willkür, der Unterdrückung und der Produktion von "Kriminellen" - also als Instanzen der Kriminalisierung - gesehen. Dahinter steht die Vorstellung einer wahren Demokratie ("Demarchie"), die ohne politische Herrschaft auskommt ("Anarchie"), bzw. eine Art gesellschaftlicher Selbstregulierung.

Literatur

  • Burnheim, John (1985) Über Demokratie. Alternativen zum Parlamentarismus. Berlin: Wagenbach.

Weblinks

  • Answer: Anarchist Criminology [[1]] (18.02.10)
  • Ferrell, Jeff. (1997). Against the Law: Anarchist Criminology, in Brian D. MacLean and Dragan Milovanovic (eds.) Thinking Critically About Crime. [[2]] (18.02.10)
  • Pepinsky, Harold E. (1978) Communist Anarchism as an Alternative to the Rule of Criminal Law. Contemporary Crises 2: 315-327.