Anarchistische Kriminologie: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Anarchistische Kriminologie''' ist eine wenig bekannte Teilströmung der Wissenschaft von der Kriminalität, die das Problem des Staates und der politischen Herrschaft in den Mittelpunkt ihrer Theorien über die Entstehung und den richtigen Umgang mit der Kriminalität stellt. Im Gegensatz zur Mainstream-Kriminologie wendet sich ihre Kritik nicht nur gegen Verschärfungen oder Übertreibungen des staatlichen Straf-Apparats, sondern gegen die Existenz von Polizei, Gefängnissen und Strafrechtssystem insgesamt. So sieht sie zum Beispiel auch Kriminalität nicht als Gegenstand der Kriminalpolitik, sondern als deren Produkt. Die anarchistische Kriminologie betrachtet Staat und Strafrecht als eine Art soziales Problem. Sie bestreitet die Legitimationen der Strafe, des Strafrechts, der Gefängnisse und der Polizeigewalt und tritt für gewaltfreie Konfliktlösungen ein.
'''Anarchistische Kriminologie''' ist eine wenig bekannte Teilströmung der Wissenschaft von der Kriminalität, die sich kritisch mit der Existenz und Legitimation von Staat, Strafrecht, Polizei, Gefängnissen und Überwachungsbürokratien aller Art auseinandersetzt. Steht für die Kriminologie sonst die Reform dieser Institutionen im Sinne einer immer besseren Erforschung der Ursachen der Kriminalität, der Effektivität der Verbrechensbekämpfung und der Resozialisierung von Gefangenen im Vordergrund, so geht die anarchistische Kriminologie das Problem der Kriminalität von der anderen Seite her an: von der Existenz der Herrschaft, der sozialen Ungleichheit und des Strafjustizsystems. Kriminalität ist für sie nicht der Gegenstand der Kriminalpolitik, sondern deren Produkt. Wer etwas über die Ursachen der Kriminalität erfahren möchte, muss sich die Organisation des Staates und der Gesellschaft selbst ansehen. Der anarchistischen Kriminologie wird - falls man sie überhaupt wahrnimmt - ein Mangel an guten Argumenten und an Realitätsbezug vorgehalten. Eine pauschale Kritik übersieht allerdings die Wahlverwandtschaft neuerer Strömungen in der Kriminalpolitik mit anarchistischen Grundideen. Und sie ignoriert die Existenz von empirisch belegten Zusammenhängen zwischen sozialer Ungleichheit, Kriminalitätsraten und Einsperrungsquoten. Die These, dass Gesellschaften mit größerer Gleichverteilung der Einkommen ein geringeres Ausmaß an Kriminalität und anderen sozialen Problemen aufweisen, gehört damit inzwischen zu den stärksten Argumenten, die sich (nicht nur, aber auch) für die anarchistische Kriminologie finden lassen.  
 
Die anarchistische Kriminologie betrachtet Staat und Strafrecht als eine Art soziales Problem. Sie bestreitet die Legitimationen der Strafe, des Strafrechts, der Gefängnisse und der Polizeigewalt und tritt für gewaltfreie Konfliktlösungen ein.


== Kriminalpolitische Wahlverwandtschaften ==
== Kriminalpolitische Wahlverwandtschaften ==

Version vom 10. März 2010, 15:32 Uhr

Anarchistische Kriminologie ist eine wenig bekannte Teilströmung der Wissenschaft von der Kriminalität, die sich kritisch mit der Existenz und Legitimation von Staat, Strafrecht, Polizei, Gefängnissen und Überwachungsbürokratien aller Art auseinandersetzt. Steht für die Kriminologie sonst die Reform dieser Institutionen im Sinne einer immer besseren Erforschung der Ursachen der Kriminalität, der Effektivität der Verbrechensbekämpfung und der Resozialisierung von Gefangenen im Vordergrund, so geht die anarchistische Kriminologie das Problem der Kriminalität von der anderen Seite her an: von der Existenz der Herrschaft, der sozialen Ungleichheit und des Strafjustizsystems. Kriminalität ist für sie nicht der Gegenstand der Kriminalpolitik, sondern deren Produkt. Wer etwas über die Ursachen der Kriminalität erfahren möchte, muss sich die Organisation des Staates und der Gesellschaft selbst ansehen. Der anarchistischen Kriminologie wird - falls man sie überhaupt wahrnimmt - ein Mangel an guten Argumenten und an Realitätsbezug vorgehalten. Eine pauschale Kritik übersieht allerdings die Wahlverwandtschaft neuerer Strömungen in der Kriminalpolitik mit anarchistischen Grundideen. Und sie ignoriert die Existenz von empirisch belegten Zusammenhängen zwischen sozialer Ungleichheit, Kriminalitätsraten und Einsperrungsquoten. Die These, dass Gesellschaften mit größerer Gleichverteilung der Einkommen ein geringeres Ausmaß an Kriminalität und anderen sozialen Problemen aufweisen, gehört damit inzwischen zu den stärksten Argumenten, die sich (nicht nur, aber auch) für die anarchistische Kriminologie finden lassen.

Die anarchistische Kriminologie betrachtet Staat und Strafrecht als eine Art soziales Problem. Sie bestreitet die Legitimationen der Strafe, des Strafrechts, der Gefängnisse und der Polizeigewalt und tritt für gewaltfreie Konfliktlösungen ein.

Kriminalpolitische Wahlverwandtschaften

Der Anarchismus bringt das Individuum und die Gesellschaft gegen den als illegitim und schädlich angesehenen Staatsapparat und das staatliche Strafrecht in Stellung. Polizei und Gefängnisse werden als Quellen der Willkür, der Unterdrückung und der Produktion von "Kriminellen" - also als Instanzen der Kriminalisierung - gesehen. Dahinter steht die Vorstellung einer wahren Demokratie ("Demarchie"), die ohne politische Herrschaft auskommt ("Anarchie"), bzw. eine Art gesellschaftlicher Selbstregulierung.

Literatur

  • Burnheim, John (1985) Über Demokratie. Alternativen zum Parlamentarismus. Berlin: Wagenbach.

Weblinks

  • Answer: Anarchist Criminology [[1]] (18.02.10)
  • Ferrell, Jeff. (1997). Against the Law: Anarchist Criminology, in Brian D. MacLean and Dragan Milovanovic (eds.) Thinking Critically About Crime. [[2]] (18.02.10)
  • Pepinsky, Harold E. (1978) Communist Anarchism as an Alternative to the Rule of Criminal Law. Contemporary Crises 2: 315-327.