Altruistisches Strafen: Unterschied zwischen den Versionen

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Bestrafen als positives Erlebnis. Es gibt so etwas wie "altruistisches Bestrafen" (Fehr 2004), d.h. das Verlangen, andere Menschen für ihre Normabweichungen zu bestrafen - und zwar auch dann, wenn man selbst dadurch weder einen materiellen noch einen Statusgewinn erzielen kann und sogar etwas dafür investieren muss, ohne etwas zurück zu bekommen. Die Psychologie handelt das Thema unter dem Begriff "starke Reziprozität" ab. Stark reziprok orientierte Individuen bestrafen und belohnen, selbst wenn das etwas kostet und keine individuellen Vorteile mit sich bringt. Sie tun es sozusagen "aus Prinzip" und ohne Erwartung einer Belohnung für sich selbst - außer, natürlich, der Tatsache, dass es sie befriedigt, sich so zu verhalten, wie sie es nun einmal für richtig halten. Stark reziprok orientierte Individuen betreiben mit anderen Worten scheinbar irrational einen gewissen Aufwand, um andere für die Verletzung sozialer Normen zu bestrafen oder für deren Einhaltung zu belohnen.
'''Altruistisches Strafen''' ist die Sanktionierung von Normabweichungen durch Personen, die von der Sanktionierung keinen materiellen oder statusmäßigen Vorteil erwarten und gleichwohl den dafür erforderlichen Aufwand ohne Gegenleistung zu tragen bereit sind. Allerdings gilt die Bestrafung nur in einem "biologischen" Sinne als altruistisch, nicht in einem psychologischen, da der Bestrafende dadurch ein Belohnungsgefühl (durch Aktivierung des Nucleus Caudatus, der auch auf Geld, Kokainkonsum u.a. anspricht) erfährt.
Das "altruistische Bestrafen" dieser Art (= Neigung zur Bestrafung von Personen, die soziale Normen verletzen, ohne dass man damit einen Vorteil für sich selbst verbindet) kann verwandt sein mit dem Konzept der strafenden Gesellschaft bzw. des Bestrafungsbedürfnisses (Strafbedürfnisses) der Gesellschaft. Die neuronale Basis altruistischen Bestrafens (DeQuervain, Fischbacher u.a.). Wenn eine Person A eine Person B, die eine Fairnessregel verletzt hat, nicht bestrafen kann, ist sie frustriert. Wenn die Person die Verletzung der Regel hingegen bestrafen kann, wird ein Belohungsareal im Gehirn, nämlich der Nucleus Caudate, aktiviert, der auch auf Geld, Bilder von Schönen und Geliebten, aber auch auf Kokain-Konsum, anspricht (je stärker die Caudate-Aktivierung, desto mehr bestraft ein Individuum). Die Bestrafung ist dann altruistisch im biologischen Sinne, aber nicht im psychologischen, da psychologisch ja eine Befriedigung vorliegt.
 
Spieltheoretisch fundierte Experimente (Boyd, Gintis u.a. 2005) zeigen, dass Gruppenmitglieder dazu bereit sind, Mitglieder, die ihren Gruppenbeitrag nicht erfüllen und keine Aussicht auf zukünftige Leistungssteigerung zeigen, zu bestrafen - und zwar auch dann, wenn dadurch hohe Kosten für die Gruppe entstehen. Die altruistische Strafe fördert die Kooperation in der Gesellschaft und kann die Kooperationsbereitschaft, die mit zunehmender Gruppengröße normalerweise sinkt, auch bei steigender Gruppengröße aufrecht erhalten.
 
== Literatur ==
*Robert Boyd, Herbert Gintis, Samuel Bowles, Peter J. Richerson: The Evolution of Altruistic Punishment, in: Herbert Gintis: Moral sentiments and material interests: the foundation of cooperation in economic life, S. 215 – 227, MIT Press, London 2005, ISBN 0-262-07252-1.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
*[http://de.wikipedia.org/wiki/Strafe_%28Spieltheorie%29#cite_note-11 Altruistische Strafe in: de.wikipedia]
*[http://www.cogitofoundation.ch/pdf/2004/ReferatFehr.pdf Fehr, Ernst (2004) Die Natur des menschlichen Altruismus]
*[http://www.cogitofoundation.ch/pdf/2004/ReferatFehr.pdf Fehr, Ernst (2004) Die Natur des menschlichen Altruismus]
*[http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/veranstaltungen/Zukunftsnacht/Zukunft%20I.pdf Frankfurter Zukunftsrat (2009) Was hindert den Menschen am ökonomisch sinnvollen Handeln]
*[http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/275/1634/587.full Marlowe, Frank et al. (2008) More 'altruistic' punishment in larger societies. doi: 10.1098/rspb.2007.1517    Proc. R. Soc. B  7 March 2008  vol. 275  no. 1634  587-592]
*[http://www.heise.de/tp/artikel/11/11513/1.html Marsiske, Hans-Arthur (2002) Altruistisches Strafen]
*[http://www.sgipt.org/forpsy/strafe/psystraf0.htm#%C3%84nderungen Sponsel: Psychologie der Strafe]
*[http://www.sgipt.org/forpsy/strafe/psystraf0.htm#%C3%84nderungen Sponsel: Psychologie der Strafe]
*[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527141.html Chemie gestört DER SPIEGEL 14/1988]

Aktuelle Version vom 15. April 2012, 19:16 Uhr

Altruistisches Strafen ist die Sanktionierung von Normabweichungen durch Personen, die von der Sanktionierung keinen materiellen oder statusmäßigen Vorteil erwarten und gleichwohl den dafür erforderlichen Aufwand ohne Gegenleistung zu tragen bereit sind. Allerdings gilt die Bestrafung nur in einem "biologischen" Sinne als altruistisch, nicht in einem psychologischen, da der Bestrafende dadurch ein Belohnungsgefühl (durch Aktivierung des Nucleus Caudatus, der auch auf Geld, Kokainkonsum u.a. anspricht) erfährt.

Spieltheoretisch fundierte Experimente (Boyd, Gintis u.a. 2005) zeigen, dass Gruppenmitglieder dazu bereit sind, Mitglieder, die ihren Gruppenbeitrag nicht erfüllen und keine Aussicht auf zukünftige Leistungssteigerung zeigen, zu bestrafen - und zwar auch dann, wenn dadurch hohe Kosten für die Gruppe entstehen. Die altruistische Strafe fördert die Kooperation in der Gesellschaft und kann die Kooperationsbereitschaft, die mit zunehmender Gruppengröße normalerweise sinkt, auch bei steigender Gruppengröße aufrecht erhalten.

Literatur

  • Robert Boyd, Herbert Gintis, Samuel Bowles, Peter J. Richerson: The Evolution of Altruistic Punishment, in: Herbert Gintis: Moral sentiments and material interests: the foundation of cooperation in economic life, S. 215 – 227, MIT Press, London 2005, ISBN 0-262-07252-1.

Weblinks