Aktuarische Prognose

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Der Begriff Aktuarische Prognose (von lateinisch actuarius "Schnellschreiber" oder "Buchhalter") bezeichnet einen methodischen Idealtypus zur Vorhersage kriminellen Verhaltens, der bei der Konstruktion konkreter Vorhersageverfahren in Form sogenannter Prognoseinstrumente vor allem auf aktuarische Modelle, d.h. auf wahrscheinlichkeitstheoretische und statistische Modelle der Versicherungs- und Finanzmathematik, zurückgreift. Neben dem Begriff "aktuarisch" werden in der Literatur gelegentlich auch die Bezeichnungen "statistisch", "nomothetisch", "formal", "mechanisch" oder "algorithmisch" verwendet.

Methodische Grundlagen

Begriffsdefinition und Anwendungsbereiche

Bei aktuarischen Prognosen erfolgt sowohl die Erhebung als auch die Interpretation prognoserelevanter Informationen automatisiert und streng regelgeleitet mittels möglichst manualisierter Operationalisierungen und einfacher Algorithmen. Dabei wird ausschließlich auf empirisch gesicherte Zusammenhänge zwischen Täter- und Tateigenschaften einerseits und Rückfälligkeit andererseits zurückgegriffen. Aktuarische Modelle werden in unterschiedlichen Anwendungsbereichen der Medizin, Psychologie, Kriminologie sowie anderen sozial- und naturwissenschaftlichen Disziplinen verwendet, in denen menschliches Verhalten diagnostiziert und prognostiziert werden soll. Der Wert bzw. die Bedeutung aktuarischer Prognosemethoden für den Prognoseprozess wird oftmals in Abgrenzung zur klinischen Prognose, die zum Teil auch unter den Bezeichnungen "ideographisch", "informal", "intuitiv", "subjektiv" oder "impressionistisch" geführt wird, diskutiert. Mittlerweile besteht eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Forschungstradition diesbezüglich, die weitgehend die Überlegenheit aktuarischer gegenüber klinisch-intuitiver Diagnosen und Prognosen nahelegt.

Konstruktionsmethodik

Ausgangsbasis für die Entwicklung aktuarischer Prognoseinstrumente bilden empirische Untersuchungen über personen- oder auch tatbezogene Merkmale bestimmter Tätergruppen, die einen statistisch signifikanten Zusammenhang mit dem in Frage stehenden Rückfallkriterium (z.B. die erneute Begehung eines sexuell motivierten Gewaltdelikts) aufwiesen. Eine zentrale methodische Grundannahme aktuarischer Prognoseverfahren besteht darin, dass diese in der Vergangenheit identifizierten statistischen Zusammenhänge allgemeingültige Gesetzesmäßigkeiten widerspiegeln und die zugrundeliegenden Merkmale somit auch geeignet sind, zukünftiges kriminelles Verhalten bei anderen Tätern vorherzusagen. Die zu prognostizierende Person wird folglich aufgrund der individuellen Merkmalskonfiguration der im Instrument enthaltenen Parameter einer Teilgruppe der Ausgangsstichprobe, anhand der die statistischen Zusammenhänge zwischen Prädiktoren und Rückfälligkeit ermittelt wurden, zugeordnet. Wie Dahle (2005) weiter ausführt, besteht "die eigentliche Prognose […] dann auf der (bekannten) durchschnittlichen Rückfallquote dieser Teilstichprobe aus der Normstichprobe" (S. 42). Diese zuvor empirisch ermittelte durchschnittliche Rückfallquote stellt somit den Referenzpunkt – die sogenannte Basiswahrscheinlichkeit – für die weitere prognostische Einschätzung dar.

Für die auf die oben dargestellte Weise identifizierten Merkmale gibt es in der Regel zwei unterschiedliche Verknüpfungsregeln: Im einfacheren Fall wird anhand von Summenbildungen der vorliegenden Positiv- und Negativmerkmalen ein Gesamtwert ermittelt, bei elaborierteren Instrumenten wird der jeweilige Wert eines Prädiktors bestimmt durch die Ausprägung seines empirischen Zusammenhangs mit dem in Frage stehenden Rückfallkriterium. Die Gewichte können beispielsweise über regressionsanalytische Verfahren in Form der daraus resultierenden Regressionsgewichte der einzelnen Variablen ermittelt werden.

Praktisches Vorgehen

Aktuarische Prognosemethoden bestehen meist aus einer begrenzten Anzahl an Prädiktoren, deren Vorhersagegenauigkeit zuvor in empirischen Untersuchungen ermittelt wurde, wobei die vorhersagestärksten Variablen anschließend zu Prognoseinstrumenten zusammengefasst wurden. Bei diesen Prädiktoren handelt es sich in der Regel um einfach zu erhebende demographische, kriminologische oder psychosoziale Variablen wie beispielsweise das Alter des Täters oder die Anzahl der Vorstrafen. Nachdem jede Variable für sich bewertet wurde, indem ein der jeweiligen Ausprägung entsprechender Punktwert vergeben wurde, werden die einzelnen Punktwerte zum Gesamtwert addiert, von dem aus meist auf eine Risikokategorie (beispielsweise in eine niedrige, moderate oder hohe Risikokategorie) und/oder auf empirisch ermittelte Rückfallwahrscheinlichkeiten geschlossen werden kann.