Aktuarische Kriminalpolitik: Unterschied zwischen den Versionen

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An die Stelle des ehrgeizigen Unterfangens, die Individuen vermittels Strafe zu tadeln und damit motivierend anzusprechen, tritt der vermeintlich ideologisch indifferente Versuch, Räume zu besetzen, Situationen zu beherrschen und damit Kriminalitätsrisiken zu beeinflussen. [[Kontrolle|Kontrolltheoretisch]] geht es damit nicht mehr um individuelle Verhaltensbeeinflussung, sondern um Lenkung von Aktionsmöglichkeiten durch vorbeugende Regulierung.
An die Stelle des ehrgeizigen Unterfangens, die Individuen vermittels Strafe zu tadeln und damit motivierend anzusprechen, tritt der vermeintlich ideologisch indifferente Versuch, Räume zu besetzen, Situationen zu beherrschen und damit Kriminalitätsrisiken zu beeinflussen. [[Kontrolle|Kontrolltheoretisch]] geht es damit nicht mehr um individuelle Verhaltensbeeinflussung, sondern um Lenkung von Aktionsmöglichkeiten durch vorbeugende Regulierung.
Mit dem versicherungsstatistischen Verständnis von Kriminalitätsrisiken verlagert sich das [[Kriminalprävention|kriminalpräventive]] Interesse von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltagssituationen. Im Vordergrund steht nunmehr das Ziel einer vorbeugenden Bestimmung von Kriminalitätsrisiken und einer Gefahrenminimierung vor Eintritt eines Schadens.
Mit dem versicherungsstatistischen Verständnis von Kriminalitätsrisiken verlagert sich das [[Kriminalprävention|kriminalpräventive]] Interesse von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltagssituationen. Im Vordergrund steht nunmehr das Ziel einer vorbeugenden Bestimmung von Kriminalitätsrisiken und einer Gefahrenminimierung vor Eintritt eines Schadens.
Im übrigen tritt neben das kriminalpräventive Anliegen der Reduzierung von [[Kriminalität]] dasjenige der Verminderung gesellschaftlicher Verunsicherung durch Kriminalität. Während die Eignung der [[Strafe]] zur individuellen Verhaltensbeeinflussung überwiegend skeptisch eingeschätzt wird, gewinnt die [[Strafrecht|strafrechtliche] Repression eine neue Bedeutung als symbolisches Mittel zur Bestärkung von Rechtsvertrauen und zum Abbau gesellschaftlich dysfunktionaler Verunsicherung.
Im übrigen tritt neben das kriminalpräventive Anliegen der Reduzierung von [[Kriminalität]] dasjenige der Verminderung gesellschaftlicher Verunsicherung durch Kriminalität. Während die Eignung der [[Strafe]] zur individuellen Verhaltensbeeinflussung überwiegend skeptisch eingeschätzt wird, gewinnt die [[Strafrecht|strafrechtliche]] Repression eine neue Bedeutung als symbolisches Mittel zur Bestärkung von Rechtsvertrauen und zum Abbau gesellschaftlich dysfunktionaler Verunsicherung.
Daraus ergibt sich ein grundlegender Wandel des kriminalpolitischen Selbstverständnisses" (Kunz 2006).
Daraus ergibt sich ein grundlegender Wandel des kriminalpolitischen Selbstverständnisses" (Kunz 2006).


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== Kritik ==
== Kritik ==


Karl-Ludwig Kunz (2006) kritisiert die aktuarische Kriminalpolitik aufgrund ihrer negativen rechtlichen (die Grundrechte einschränkenden) und sozialen (zur Ausgrenzung tendierenden) Auswirkungen. Insbesondere nennt er die drei Aspekte der Vorbeugenden Überwachung, der Käuflichkeit von Sicherheit und Sicherheitspartnerschaften sowie der Ausgrenzung von Risikoträgern. Sein Vorschlag besteht in der Ersetzung aktuarischer Methoden durch eine gemeinsinnorientierte Kriminalpolitik.  
[[Karl-Ludwig Kunz]] (2006) kritisiert die aktuarische Kriminalpolitik aufgrund ihrer negativen rechtlichen (die Grundrechte einschränkenden) und sozialen (zur Ausgrenzung tendierenden) Auswirkungen. Insbesondere nennt er die drei Aspekte der Vorbeugenden Überwachung, der Käuflichkeit von Sicherheit und Sicherheitspartnerschaften sowie der Ausgrenzung von Risikoträgern. Sein Vorschlag besteht in der Ersetzung aktuarischer Methoden durch eine gemeinsinnorientierte Kriminalpolitik.  


Bernard E. Harcourt (2007: 21 ff.) kritisiert erstens die Mathematik der aktuarischen Methoden (insbesondere des kriminellen Profilings), zweitens die verborgenen sozialen Kosten der Anwendung dieser Methoden in der Kriminalstrategie und drittens die dadurch verursachte Veränderung und Beschädigung der herrschenden Gerechtigkeitsauffassungen. Sein kriminalpolitischer Vorschlag besteht darin, aktuarische Methoden nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu benutzen und ansonsten Kontrollen gerade nicht nach statistischen Häufigkeiten, sondern nach dem Zufallsprinzip vorzunehmen.
Bernard E. Harcourt (2007: 21 ff.) kritisiert erstens die Mathematik der aktuarischen Methoden (insbesondere des kriminellen Profilings), zweitens die verborgenen sozialen Kosten der Anwendung dieser Methoden in der Kriminalstrategie und drittens die dadurch verursachte Veränderung und Beschädigung der herrschenden Gerechtigkeitsauffassungen. Sein kriminalpolitischer Vorschlag besteht darin, aktuarische Methoden nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu benutzen und ansonsten Kontrollen gerade nicht nach statistischen Häufigkeiten, sondern nach dem Zufallsprinzip vorzunehmen.