Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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::Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern lässt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch.
:::Cesar Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Livorno 1764 (dt. Ausgabe von 1966: 12)
Für die kritische Kriminologie steht die Abschaffung der Gefängnisse nicht auf der praktisch-politischen Tagesordnung. Wohl aber stellt sie einen passenden gedanklichen Horizont dar, von dem aus Entwicklungen und Reformvorschläge betrachtet und bewertet werden können. Wenn "kritisch" = "herrschaftskritisch", dann heißt das immer auch, Ausdrucksformen und Funktionen der Herrschaft daraufhin zu untersuchen, ob sie aus unabdingbarer Notwendigkeit folgen oder ob sie mit Gewinn für die Herrschaftsunterworfenen abgeschafft werden könnten. Ob implizit oder explizit: eine abolitionistische - an der Abschaffung rechtlich fundierter repressiver Zwangsverhältnisse orientierte - Perspektive ist immer auch ein Mittel, um sich der Macht der Verhältnisse nicht allzu sorglos anzuvertrauen oder anzuverwandeln.
Schumann, Karl (1988) Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse, in: Karl F. Schumann, Heinz Steinert, Michael Voß, Hg., Vom Ende des Stra
Vor 50 Jahren wehte ein frischer und wohlgemuter Reformwind durch die Korridore der Justizministerien: alte Zöpfe wollte man abschneiden, entbehrliche Gesetze streichen und den Strafvollzug durch Behandlungsmaßnahmen aller Art humanisieren. Etwas weiter links davon dachte man auch schon ans Abschaffen. Und wie man es auch drehen oder wenden mochte: die Zukunft schien jedenfalls in der Überwindung des Verwahrvollzugs und einem Bedeutungsverlust des Gefängnisses zu liegen. Gab es nicht schon Staaten - Nachbarstaaten! - in denen die Gefangenenraten schon unter 30, wenn nicht sogar unter 20 Gefangene auf jeweils 100 000 Einwohner gesunken waren? Da bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich das Ende einer Epoche vorzustellen: das Ende der Freiheitsstrafe - und den Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit der Behandlung in Freiheit. Wer für das community treatment noch nicht in Frage käme, könnte und würde wohl in krankenhausähnlichen forensischen Behandlungszentren untergebracht werden, alles andere ginge ambulant.  
Vor 50 Jahren wehte ein frischer und wohlgemuter Reformwind durch die Korridore der Justizministerien: alte Zöpfe wollte man abschneiden, entbehrliche Gesetze streichen und den Strafvollzug durch Behandlungsmaßnahmen aller Art humanisieren. Etwas weiter links davon dachte man auch schon ans Abschaffen. Und wie man es auch drehen oder wenden mochte: die Zukunft schien jedenfalls in der Überwindung des Verwahrvollzugs und einem Bedeutungsverlust des Gefängnisses zu liegen. Gab es nicht schon Staaten - Nachbarstaaten! - in denen die Gefangenenraten schon unter 30, wenn nicht sogar unter 20 Gefangene auf jeweils 100 000 Einwohner gesunken waren? Da bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich das Ende einer Epoche vorzustellen: das Ende der Freiheitsstrafe - und den Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit der Behandlung in Freiheit. Wer für das community treatment noch nicht in Frage käme, könnte und würde wohl in krankenhausähnlichen forensischen Behandlungszentren untergebracht werden, alles andere ginge ambulant.  


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steingewordene Riesenirrtümer
steingewordene Riesenirrtümer
== Siehe auch ==
*[[Welt ohne Gefängnisse]] Krimpedia
*[[John Howard]]
*[[Frank Tannenbaum]]
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