Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
Ironie der Geschichte! Ausgerechnet Nachfahren der Quäker, die sich 200 Jahre zuvor am nachhaltigsten dafür stark gemacht hatten, die peinlichen Strafen durch die Einsperrung in käfigartigen Einzelzellen innerhalb vielfach gesicherter Einschließungsmilieus zu ersetzen, fanden in den 1970er und 1980er Jahren die klarsten Worte gegen die Gefängnisse. Als Reaktion auf Kriminalität seien sie ein zerstörerischer und teurer Fehlschlag. Darüber hinaus seien sie sowohl eine Ursache als auch ein Ergebnis von Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit: schädlich nicht nur für die Eingesperrten, sondern auch für die Einsperrenden. Die Abschaffung der Gefängnisse sei sowohl ein Prozess als auch ein langfristiges Ziel. Dabei gelte es Personal und Gefangene, Opfer und Angehörige und überhaupt alle Betroffenen und Interessierten zu erreichen. Auch wenn es ein berechtigtes Bedürfnis gebe, Menschen mit gefährlichem Verhalten von (weiteren) Taten abzuhalten, so müssten Art und Weise der Eingriffe und der Hilfen keine Strafelemente enthalten, sondern der ernsthaften Sorge um jede einzelne Person entspringen und diese auch widerspiegeln. Denn letztlich - oder besser: vor allem - sei man sich gerade aufgrund der generationenübergreifenden Erfahrungen in der Gefängnisreform der Tatsache bewusst geworden, dass die Einsperrung von Menschen - nicht anders als ihre Versklavung - von Natur aus unmoralisch sei und deshalb nicht-strafenden, lebensbejahenden und versöhnenden Reaktionen auf Kriminalität zu weichen habe (vgl. Minute on Prison Abolition 1981).
Ironie der Geschichte! Ausgerechnet Nachfahren der Quäker, die sich am entschiedensten dafür stark gemacht hatten, Körperstrafen durch die Einsperrung der Delinquenten in kleine käfigartige Einzelzellen zu ersetzen, sollten nach rund zweihundert Jahren ernsthafter Bemühungen um die Gefängnisreform die deutlichsten Worte der Institutionenkritik finden: man habe erkennen müssen, dass Gefängnisse als Antwort auf Kriminalität ein teurer und zerstörerischer Fehlschlag gewesen seien; Gefängnisse seien sowohl eine Ursache als auch ein Ergebnis von Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit und zudem schädlich nicht nur für die Eingesperrten, sondern auch für die Einsperrenden. Man sei sich zunehmend klar darüber geworden, dass die Einsperrung von Menschen - nicht anders als ihre Versklavung - von Natur aus unmoralisch sei. Deshalb müsse es nunmehr - als Prozess und als langfristiges Ziel - um die Abschaffung der Gefängnisse gehen und um die Entwicklung nicht-strafender, lebensbejahender und versöhnender Reaktionen (vgl. Minute on Prison Abolition 1981).


Einmal gerufene Geister wird man freilich nicht immer leicht wieder los. Besonders dann nicht, wenn zwischen dem Zeitpunkt ihres Auftauchens und dem ihres Weggewünschtwerdens eine Entwicklung wie die des globalen Gefängnissystems von 1795 bis 1981 (oder bis heute) liegt. Was damals mit einem bescheidenen ''penitentiary house'' in Philadelphias Walnut Street begann, ergab ja in Verbindung mit der panoptischen Architektur von Eastern State (1829) und Pentonville (1842) nicht nur ein mehr als 300 mal kopiertes bauliches Modell, sondern sollte sich ja darüber hinaus zum Einschließungsmilieu ''par excellence'' entwickeln - einem wahrhaftigen Gulag, in dem gegenwärtig an jedem beliebigen Tag des Jahres weltweit mehr als zehn Millionen Menschen sitzen. Mehr als jemals in der Geschichte der Menschheit. einem bis zum heutigen Tag zu einem globalen Einsperrungssystem entwickeln, das im Hofe des  , an dem man sie aus der Flasche ließ und dem, an dem man sie wieder zurückhaben nun allerdings nicht immer die Angewohnheit, sich   
Ist der Geist erst einmal aus der Flasche, dann lässt er sich allerdings meist nicht so leicht zurückzwingen. Besonders dann, wenn er eine so beeindruckende Dynamik entfaltet wie das Gefängnissystem. Was in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts in Philadelphia mit einigen wenigen Zellen begann und im Eastern State Penitentiary (1829) im im Londoner Pentonville-Gefängnis (1842) seine berühmte und weltweit nicht weniger als dreihundert Mal kopierte panoptische Form fand, passte offenbar perfekt in das Zeitalter der großen Fabriken, Kasernen, Bildungs-, Kranken- und Irren-Anstalten, die nach den Prinzipien der räumlichen Konzentration, Segregation und Individualisierung bei gleichzeitiger Uniformierung und Massifizierung funktionierten. An der Häufigkeit, mit der es als Metapher im allgemeinen Sprachgebrauch vorkommt, lässt sich ablesen, wie erfolgreich sich das Gefängnis auch im Bewusstsein als Einschließungsmilieu par excellence (Gilles Deleuze) etablieren konnte.  die über dreihundertmal kopiert wurdelphias ''Walnut Street'', bzw. der Eröffnung der ersten panoptischen Anstaltsbauten (1790-1842). Einmal gerufene Geister wird man freilich nicht immer leicht wieder los. Besonders dann nicht, wenn zwischen dem Zeitpunkt ihres Auftauchens und dem ihres Weggewünschtwerdens eine Entwicklung wie die des globalen Gefängnissystems von 1795 bis 1981 (oder bis heute) liegt. Was damals mit einem bescheidenen ''penitentiary house'' in Philadelphias Walnut Street begann, ergab ja in Verbindung mit der panoptischen Architektur von Eastern State (1829) und Pentonville (1842) nicht nur ein mehr als 300 mal kopiertes bauliches Modell, sondern sollte sich ja darüber hinaus zum Einschließungsmilieu ''par excellence'' entwickeln - einem wahrhaftigen Gulag, in dem gegenwärtig an jedem beliebigen Tag des Jahres weltweit mehr als zehn Millionen Menschen sitzen. Mehr als jemals in der Geschichte der Menschheit. einem bis zum heutigen Tag zu einem globalen Einsperrungssystem entwickeln, das im Hofe des  , an dem man sie aus der Flasche ließ und dem, an dem man sie wieder zurückhaben nun allerdings nicht immer die Angewohnheit, sich   
Zum Trost für Abolitionisten aller Art besitzen die Gefängnisse wie alle gesellschaftlichen Institutionen keine Ewigkeitsgarantie. Auch wenn sich institutionelle Lebenszyklen eher nach Jahrhunderten und manchmal nach Jahrtausenden berechnen (katholische Kirche!), so kann man doch immer auf ihren Untergang ''in the long run'' hoffen.  
Zum Trost für Abolitionisten aller Art besitzen die Gefängnisse wie alle gesellschaftlichen Institutionen keine Ewigkeitsgarantie. Auch wenn sich institutionelle Lebenszyklen eher nach Jahrhunderten und manchmal nach Jahrtausenden berechnen (katholische Kirche!), so kann man doch immer auf ihren Untergang ''in the long run'' hoffen.  


31.738

Bearbeitungen