Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Erfolgs-Narrativ des Gefängnisses hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Da ist zum einen die atemberaubende Expansion: was 1790 mit dem Beschluss zur Errichtung eines Penitentiary House im Hofe des Walnut Street Gefängnisses in Philadelphia begonnen hatte und erst im Eastern State Penitentiary (1829) und dann im Pentonville Prison (1842) seine weltweit mehr als 300 mal kopierte panoptische Form finden sollte, hat sich in mehreren Schüben zu einem globalen Netz weiter entwickelt, in dem sich mittlerweile an jedem beliebigen Tag des Jahres mehr als zehn Millionen Insassen befinden - mit steigender Tendenz. Überall außerhalb Europas - zum Teil aber auch innerhalb - führt die Überfüllung von Gefängnissen einerseits und die mit der Tendenz zum autoritären Populismus einhergehende Politik der harten Hand andererseits zu großangelegten Gefängnisbauprogrammen, die dem Einsperrungswesen einschließlich seiner privatwirtschaftlichen Profiteure eine goldene Zukunft in Aussicht stellen. - Unter qualitativen Gesichtspunkten präsentiert sich das Gefängnis als Erfolgsmodell, indem es auf seine Fähigkeit zu institutionellem Lernen verweist: auf seine Fortschritte von der strengen Einzelhaft des philadelphischen Systems über das Schweigesystem von Auburn und den Stufenvollzug des irischen Progressivsystems bis hin zum Resozialisierungsvollzug mit seinen Komponenten von Individual- und Gruppentherapien, sozialem Lernen durch Lockerungen und Erprobungen aller Art, Berufsausbildung und Urlaub aus der Haft inklusive. So gesehen besteht gar kein Anlass, sich jenseits einer entschlossenen Fortsetzung von institutionellen Bau- und Lernprogrammen nach prinzipiellen Alternativen zum Gefängnis umzusehen.   
Das Erfolgs-Narrativ des Gefängnisses hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Da ist zum einen die atemberaubende Expansion: was 1790 mit dem Beschluss zur Errichtung eines Penitentiary House im Hofe des Walnut Street Gefängnisses in Philadelphia begonnen hatte und erst im Eastern State Penitentiary (1829) und dann im Pentonville Prison (1842) seine weltweit mehr als 300 mal kopierte panoptische Form finden sollte, hat sich in mehreren Schüben zu einem globalen Netz weiter entwickelt, in dem sich mittlerweile an jedem beliebigen Tag des Jahres mehr als zehn Millionen Insassen befinden - mit steigender Tendenz. Überall außerhalb Europas - zum Teil aber auch innerhalb - führt die Überfüllung von Gefängnissen einerseits und die mit der Tendenz zum autoritären Populismus einhergehende Politik der harten Hand andererseits zu großangelegten Gefängnisbauprogrammen, die dem Einsperrungswesen einschließlich seiner privatwirtschaftlichen Profiteure eine goldene Zukunft in Aussicht stellen. - Unter qualitativen Gesichtspunkten präsentiert sich das Gefängnis als Erfolgsmodell, indem es auf seine Fähigkeit zu institutionellem Lernen verweist: auf seine Fortschritte von der strengen Einzelhaft des philadelphischen Systems über das Schweigesystem von Auburn und den Stufenvollzug des irischen Progressivsystems bis hin zum Resozialisierungsvollzug mit seinen Komponenten von Individual- und Gruppentherapien, sozialem Lernen durch Lockerungen und Erprobungen aller Art, Berufsausbildung und Urlaub aus der Haft inklusive. So gesehen besteht gar kein Anlass, sich jenseits einer entschlossenen Fortsetzung von institutionellen Bau- und Lernprogrammen nach prinzipiellen Alternativen zum Gefängnis umzusehen.   


Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ist die intellektuelle Entzauberung des Gefängnisses, sein Sinnverlust und der Niedergang seiner materiellen Realität durch einen zweifachen Rückfall auf frühere Entwicklungsstufen - auf die der verwahrlosten Gemeinschaftshaft einerseits und die der verrückt machenden Isolationshaft andererseits.  
Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ist die intellektuelle Entzauberung des Gefängnisses, sein Sinnverlust und der Niedergang seiner materiellen Realität durch einen zweifachen Rückfall auf frühere Entwicklungsstufen - auf die der verwahrlosten Gemeinschaftshaft einerseits und die der verrückt machenden Isolationshaft andererseits. Die entscheidende Weichenstellung erfolgte wohl schon in den 1970er Jahren und bestand in der restaurativen (statt innovativen) Reaktion auf die Abkehr von der Behandlungsideologie und den Niedergang des rehabilitativen Ideals im Strafvollzug. Innovative Kräfte in der Kriminologie wollten die damalige Krise der Einsperrung für die Überwindung der Mauern, für community treatment und Behandlung in Freiheit nutzen und das Einsperren auf eine winzige Minderheit therapiebedürftiger Gewalttäter in sozialtherapeutischen Anstalten beschränken. Doch die Machtverhältnisse, sie waren nicht danach und führten zum Sieg der zum Teil als neoklassisch bezeichneten Vergeltungs-, Abschreckungs- und Unschädlichmachungs-Programmatiken, deren gesetzgeberische Umsetzung durch Sentencing Guidelines, hohe Mindeststrafen und nach oben offene Höchststrafen die Lage schufen, vor der wir heute stehen. Nicht nur, dass die strenge Einzelhaft à la Philadelphia in Communication Management Units und Supermax Prisons à la A.D.X. Florence im US-Bundesstaat Colorado fröhliche Urständ feiert. 




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