Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Institutionen haben oft ein langes, nur in Jahrhunderten zu messendes Leben. Dennoch unterliegen auch sie der ''natural history'' aller gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie entstehen, sie wandeln sich, sie vergehen. Das gilt auch für die eng miteinander verwandten und verschränkten, aber doch nicht identischen Institutionen der Freiheitsstrafe und des modernen, d.h. auf Disziplinierung und Besserung abzielenden Gefängnisses (den Ursprung der ersteren könnte man in den oberitalienischen Städten des 12. Jahrhunderts verorten, den der letzteren im Zeitalter der von Michel Foucault so genannten Großen Transformation zwischen 1760 und 1840). Beide Institutionen - die Freiheitsstrafe wie auch das Gefängnis - bieten heute ein faszinierend widersprüchliches Bild. Besonders die Gefängnisse beeindrucken einerseits durch ihre ungebrochene Expansion als Zeichen höchster Vitalität, während sie andererseits auch schon Anzeichen schlimmen Verschleißes und unwiderruflichen Niedergangs erkennen lassen - Anzeichen, die sie laut Gilles Deleuze (1990) mit den anderen Einschließungsmilieus wie Heimen, Kasernen, Fabriken und dergleichen teilen, die durch den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ihrer Funktionalität beraubt und damit objektiv obsolet wurden. Im Grunde, so Deleuze, spüre oder wisse heute schon jeder, "daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben."  
Institutionen haben oft ein langes, nur in Jahrhunderten zu messendes Leben. Dennoch unterliegen auch sie der ''natural history'' aller gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie entstehen, sie wandeln sich, sie vergehen. Das gilt auch für die eng miteinander verwandten und verschränkten, aber doch nicht identischen Institutionen der Freiheitsstrafe und des modernen, d.h. auf Disziplinierung und Besserung abzielenden Gefängnisses (den Ursprung der ersteren könnte man in den oberitalienischen Städten des 12. Jahrhunderts verorten, den der letzteren im Zeitalter der von Michel Foucault so genannten Großen Transformation zwischen 1760 und 1840). Beide Institutionen - die Freiheitsstrafe wie auch das Gefängnis - bieten heute ein faszinierend widersprüchliches Bild. Besonders die Gefängnisse beeindrucken einerseits durch ihre ungebrochene Expansion als Zeichen höchster Vitalität, während sie andererseits auch schon Anzeichen schlimmen Verschleißes und unwiderruflichen Niedergangs erkennen lassen - Anzeichen, die sie laut Gilles Deleuze (1990) mit den anderen Einschließungsmilieus wie Heimen, Kasernen, Fabriken und dergleichen teilen, die durch den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ihrer Funktionalität beraubt und damit objektiv obsolet wurden. Im Grunde, so Deleuze, spüre oder wisse heute schon jeder, "daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben."  


Die Geschichte des Gefängnisses als Erfolgsgeschichte hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Quantitativ befinden sich die Gefängnisse allen vorübergehenden Schwächephasen und insbesondere allen Vorhaltungen aus der Kriminologie zum Trotz weiterhin, bzw. erneut auf Expansionskurs. Was 1790 mit dem Beschluss zur Errichtung eines Penitentiary House im Hofe des Walnut Street Gefängnisses in Philadelphia begonnen hatte und erst im Eastern State Penitentiary (1829) und dann im Pentonville Prison (1842) seine weltweit mehr als 300 mal kopierte panoptische Form finden sollte, hat sich bis zum heutigen Tag zu einem globalen Netz mit mehr als zehn Millionen Insassen entwickelt. Und weltweit steigt nicht nur die Nachfrage nach Gefängnisplätzen weiter an, auch das Angebot wird durch ambitionierte Gefängnisbauprogramme von Albanien bis Zimbabwe ständig weiter ausgedehnt.  
Das Erfolgs-Narrativ des Gefängnisses hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Da ist zum einen die atemberaubende Expansion: was 1790 mit dem Beschluss zur Errichtung eines Penitentiary House im Hofe des Walnut Street Gefängnisses in Philadelphia begonnen hatte und erst im Eastern State Penitentiary (1829) und dann im Pentonville Prison (1842) seine weltweit mehr als 300 mal kopierte panoptische Form finden sollte, hat sich in mehreren Schüben zu einem globalen Netz weiter entwickelt, in dem sich mittlerweile an jedem beliebigen Tag des Jahres mehr als zehn Millionen Insassen befinden - mit steigender Tendenz. Überall außerhalb Europas - zum Teil aber auch innerhalb - motiviert eine dramatische Überbelegungskrise zu dem Versuch, den Nachfragedruck durch ambitionierte Gefängnisbauprogramme in Milliardenhöhe abzufedern.


erband und sich dann in den Gefängnisbauten des Eastern State Penitentiary und Pentonville verbandDie Vitalität des Gefängnisses .... Was 1790 mit dem Beschluss einer philanthropischen Gesellschaft in Philadelphia (USA) zum Bau eines Gefängnishauses mit Einzelzellen begann, um der unerträglich verwahrlosten "Gemeinschaftshaft" ein Ende zu setzen - mit ihrer unzulänglichen Hygiene, ihrer Korruption und Gewalt, wie sie von John Howard (1777) für England und Wales beschrieben worden war, wie sie aber auch sonst in ganz Europa und in den jungen USA herrschte -  
erband und sich dann in den Gefängnisbauten des Eastern State Penitentiary und Pentonville verbandDie Vitalität des Gefängnisses .... Was 1790 mit dem Beschluss einer philanthropischen Gesellschaft in Philadelphia (USA) zum Bau eines Gefängnishauses mit Einzelzellen begann, um der unerträglich verwahrlosten "Gemeinschaftshaft" ein Ende zu setzen - mit ihrer unzulänglichen Hygiene, ihrer Korruption und Gewalt, wie sie von John Howard (1777) für England und Wales beschrieben worden war, wie sie aber auch sonst in ganz Europa und in den jungen USA herrschte -  
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