Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Gefängnis ist das Einschließungsmilieu schlechthin. Die ''Überwindung der Mauern'' (Mathiesen 1979, Lindenberg 1992) steht zwar weder für heute noch für morgen auf der To-Do-Liste der kritischen Kriminologie. Auch ''vom Ende des Strafvollzugs'' (Schumann et al. 1988) ist wenig zu bemerken. Doch immerhin tut sich etwas in der Literatur: Möglichkeit und Dringlichkeit seiner Abschaffung werden mittlerweile wieder verstärkt thematisiert - in den USA (Davis 2003) und Mexiko (Gómez Jaramillo 2008), aber auch in Italien (Ferrari 2015, Pavarini & Ferrari 2018), Frankreich (Onfray et al. 2014), Großbritannien (Scott 2012, 2018) und Brasilien (Genelhú 2018). Das ist alles andere als belanglos.  
Das Gefängnis ist das Einschließungsmilieu schlechthin. Die ''Überwindung der Mauern'' (Mathiesen 1979, Lindenberg 1992) steht zwar weder für heute noch für morgen auf der To-Do-Liste der kritischen Kriminologie. Auch ''vom Ende des Strafvollzugs'' (Schumann et al. 1988) ist wenig zu bemerken. Doch immerhin tut sich etwas in der Literatur: Möglichkeit und Dringlichkeit seiner Abschaffung werden mittlerweile wieder verstärkt thematisiert - in den USA (Davis 2003) und Mexiko (Gómez Jaramillo 2008), aber auch in Italien (Ferrari 2015, Pavarini & Ferrari 2018), Frankreich (Onfray et al. 2014), Großbritannien (Scott 2012, 2018) und Brasilien (Genelhú 2018). Das ist alles andere als belanglos.  


Denn allein schon die radikale Infragestellung von Idee und Praxis der Freiheitsstrafe markiert einen gedanklichen Horizont von größter Bedeutung. Wo immer wir es mit rechtlich fundierten repressiven Zwangsverhältnissen zu tun haben - ob bei der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der Entrechtung von Minderheiten oder im Bereich staatlichen Strafens - ist das alltagstranszendierende Denken, ist die abolitionistische Vorstellung eine condition sine qua non für deren Überwindung. Nur wer abolitionistisch zu denken sich traut, d.h., nur wer es vermag, von der Arbeitshypothese der Illegitimität, der Überwindungsbedürftigkeit und der Abschaffbarkeit repressiver Verhältnisse auszugehen, wird überhaupt in der Lage sein, sich dem Anschein der Natürlichkeit und Unabänderlichkeit solcher Institutionen und damit auch der Indienstnahme durch diese zu entziehen. Mehr noch: das ''primum movens'' aller gesellschaftlichen Veränderung ist immer noch der Mensch, sind Gruppen, Koalitionen und Bewegungen. Sie alle können aber nur auf der Grundlage entweder von Gehorsam gegenüber Autoritäten oder von Glaubenssystemen agieren - von Überzeugungen darüber, wo ihre Interessen liegen, aber auch von Überzeugungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Gesellschaft, in der sie leben möchten. Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential eines solchen transzendierenden und antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen dann doch zum Erfolg führte (Hochschild 2007).  
Denn allein schon die radikale Infragestellung von Idee und Praxis der Freiheitsstrafe markiert einen gedanklichen Horizont von größter Bedeutung. Wo immer wir es mit rechtlich fundierten repressiven Zwangsverhältnissen zu tun haben - ob bei der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der Entrechtung von Minderheiten oder im Bereich staatlichen Strafens - ist das alltagstranszendierende Denken, ist die abolitionistische Vorstellungskraft, die Pflege der abolitionistischen Phantasie, ''condition sine qua non'' für deren Überwindung. Nur wer abolitionistisch zu denken sich traut, d.h., wer es vermag, von der Arbeitshypothese der Illegitimität, der Überwindungsbedürftigkeit und der Abschaffbarkeit repressiver Verhältnisse auszugehen, wird überhaupt in der Lage sein, sich dem Anschein der Natürlichkeit und Unabänderlichkeit solcher Institutionen und damit auch der Indienstnahme durch diese zu entziehen. Mehr noch: das ''primum movens'' aller gesellschaftlichen Veränderung ist immer noch der Mensch, sind Gruppen, Koalitionen und Bewegungen. Sie alle können aber nur auf der Grundlage entweder von Gehorsam gegenüber Autoritäten oder von Glaubenssystemen agieren - von Überzeugungen darüber, wo ihre Interessen liegen, aber auch von Überzeugungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Gesellschaft, in der sie leben möchten. Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential eines solchen transzendierenden und antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen dann doch zum Erfolg führte (Hochschild 2007).  


Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?  
Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?  
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