Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?  
Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?  


Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei der modernen, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründeten und auf die Besserung der Gefangenen zielenden Freiheitsstrafe um ein einzigartiges Erfolgsmodell. Und dies in qualitativer wie quantitativer Hinsicht. Qualitativ, weil die Fachliteratur von der unmenschlichen Gemeinschaftshaft vor der "Geburt des Gefängnisses" (Foucault 1976) über die strenge Einzelhaft des pennsylvanischen und den Stufenstrafvollzug des irischen Systems bis hin zu den heutigen halboffenen und offenen Formen des Vollzugs eine Fortschrittsgeschichte zunehmender Humanisierung darbietet, die zum Steinerweichen rührend wirkt, und quantitativ, weil das, was im Penitentiary-Anbau des Walnut Street Gefängnisses von Philadelphia mit ganzen 16 Einzelzellen anfing, mittlerweile zu einem globalen Netz von Gefängnissen wurde, das an jedem beliebigen Tag es Jahres mehr als zehn Millionen Menschen zählt, und zwar mit steigender Tendenz. In den meisten Staaten der Welt geht es nicht um die Schließung von Gefängnissen oder deren Abschaffung, sondern um teilweise gigantische Bauprogramme, um der Überfüllung Herr zu werden.
Einerseits ist die moderne, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen zielende Freiheitsstrafe ein großartiges Erfolgsmodell. Und dies in qualitativer wie quantitativer Hinsicht. Qualitativ, weil die Fachliteratur von der unmenschlichen Gemeinschaftshaft vor der "Geburt des Gefängnisses" (Foucault 1976) über die strenge Einzelhaft des pennsylvanischen und den Stufenstrafvollzug des irischen Systems bis hin zu den heutigen halboffenen und offenen Formen des Vollzugs eine (zum Steinerweichen rührende) Fortschrittsgeschichte zunehmender Humanisierung erzählt, und quantitativ, weil das, was im Penitentiary-Anbau des Walnut Street Gefängnisses von Philadelphia mit ganzen 16 Einzelzellen anfing, mittlerweile zu einem globalen Netz von Gefängnissen wurde, das an jedem beliebigen Tag es Jahres mehr als zehn Millionen Menschen zählt - mit steigender Tendenz. In den meisten Staaten der Welt geht es nicht um die Schließung von Gefängnissen oder deren Abschaffung, sondern um teilweise gigantische Bauprogramme. Denn die vorhandenen Gebäude sind überfüllt. Die Nachfrage lässt nicht nach. Und das, obwohl oder weil gegenwärtig so viele Menschen wie noch nie in der Geschichte der Menschheit hinter Schloss und Riegel sitzen.  


Andererseits ist der Fortschritt im Strafvollzug allenfalls ein Randaspekt in Randbereichen dessen, was heute die Realität des Gefängnisses ausmacht. Denn nicht in Europa und nicht in Australien befindet sich die große Mehrheit der erwähnten zehn Millionen Gefangenen, sondern in den Gefängnissen der Amerikas, Asiens und Afrikas. Und die Verhältnisse dort eher schlechter als 1777.


ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen
Vor 50 Jahren wehte ein frischer und wohlgemuter Reformwind durch die Korridore der Justizministerien: alte Zöpfe wollte man abschneiden, entbehrliche Gesetze streichen und den Strafvollzug durch Behandlungsmaßnahmen aller Art humanisieren. Etwas weiter links davon dachte man auch schon ans Abschaffen. Und wie man es auch drehen oder wenden mochte: die Zukunft schien jedenfalls in der Überwindung des Verwahrvollzugs und einem Bedeutungsverlust des Gefängnisses zu liegen. Gab es nicht schon Staaten - Nachbarstaaten! - in denen die Gefangenenraten schon unter 30, wenn nicht sogar unter 20 Gefangene auf jeweils 100 000 Einwohner gesunken waren? Da bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich das Ende einer Epoche vorzustellen: das Ende der Freiheitsstrafe - und den Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit der Behandlung in Freiheit. Wer für das community treatment noch nicht in Frage käme, könnte und würde wohl in krankenhausähnlichen forensischen Behandlungszentren untergebracht werden, alles andere ginge ambulant.  
Vor 50 Jahren wehte ein frischer und wohlgemuter Reformwind durch die Korridore der Justizministerien: alte Zöpfe wollte man abschneiden, entbehrliche Gesetze streichen und den Strafvollzug durch Behandlungsmaßnahmen aller Art humanisieren. Etwas weiter links davon dachte man auch schon ans Abschaffen. Und wie man es auch drehen oder wenden mochte: die Zukunft schien jedenfalls in der Überwindung des Verwahrvollzugs und einem Bedeutungsverlust des Gefängnisses zu liegen. Gab es nicht schon Staaten - Nachbarstaaten! - in denen die Gefangenenraten schon unter 30, wenn nicht sogar unter 20 Gefangene auf jeweils 100 000 Einwohner gesunken waren? Da bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich das Ende einer Epoche vorzustellen: das Ende der Freiheitsstrafe - und den Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit der Behandlung in Freiheit. Wer für das community treatment noch nicht in Frage käme, könnte und würde wohl in krankenhausähnlichen forensischen Behandlungszentren untergebracht werden, alles andere ginge ambulant.  


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