Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Was die punitive Wende der 1970er und 1980er Jahre bewirkt hat, wird erst aus der Rückschau erkennbar: der Kampf gegen Drogen und Terrorismus legitimierte die Schaffung abstrakter Gefährdungsdeikte und die Abkehr vom ultima ratio Prinzip in der Strafrechtstheorie - und die Wiederkehr überwunden geglaubter Vergeltungslehren in der Straftheorie (just deserts). In den USA bedeutete die Verschärfung der Strafpraxis auf allen Ebenen (school-to-prison-pipeline; three-strikes-laws; sentencing guidelines, minimum sentences, Wiederaufnahme von Hinrichtungen 1976) den Beginn einer Phase bis dahin unvorstellbarer Massen-Einsperrungen, die sich auch über Nachbarstaaten ausbreitete.  
Was die punitive Wende der 1970er und 1980er Jahre bewirkt hat, wird erst aus der Rückschau erkennbar: der Kampf gegen Drogen und Terrorismus legitimierte die Schaffung abstrakter Gefährdungsdeikte und die Abkehr vom ultima ratio Prinzip in der Strafrechtstheorie - und die Wiederkehr überwunden geglaubter Vergeltungslehren in der Straftheorie (just deserts). In den USA bedeutete die Verschärfung der Strafpraxis auf allen Ebenen (school-to-prison-pipeline; three-strikes-laws; sentencing guidelines, minimum sentences, Wiederaufnahme von Hinrichtungen 1976) den Beginn einer Phase bis dahin unvorstellbarer Massen-Einsperrungen, die sich auch über Nachbarstaaten ausbreitete.  


Heute steht das Gefängnis so stabil da wie selten zuvor. Die Nachfrage nach Haftplätzen ist gewaltig, fast überall auf der Welt werden große Gefängnis-Bau-Programme aufgelegt, wohl wissend, dass auch sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, wenn es mit dem Nachschub an Gefangenen so weitergeht wie bisher und wenn es nicht gelingt, mehr Gefangene nach kürzerer Zeit wieder zu entlassen. Dann staut sich alles im Strafvollzug und die Verhältnisse dort werden allein schon wegen der Überfüllung wieder so wie damals, als John Howards (1777) Schilderungen der völlig verwahrlosten Zustände in den Haftanstalten überhaupt erst den Anstoß gaben zur Einführung des modernen, d.h. auf Besserung abzielenden Zellen-Systems.


und es schien kein Ende abzusehen. 
 
 
   
hoffen, dass sie in the long run einmal unterliegen sie doch den Gesetzen von Entstehung, Wandel und VergehenSie unterliegen alle Institutionen der ''natural history'' von Entstehung, Entwicklung, Vergehen undaller gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie entstehen, sie wandeln sich, sie vergehen. Das gilt auch für die eng miteinander verwandten und verschränkten, aber doch nicht identischen Institutionen der Freiheitsstrafe und des modernen, d.h. auf Disziplinierung und Besserung abzielenden Gefängnisses (den Ursprung der ersteren könnte man in den oberitalienischen Städten des 12. Jahrhunderts verorten, den der letzteren im Zeitalter der von Michel Foucault so genannten Großen Transformation zwischen 1760 und 1840). Beide Institutionen - die Freiheitsstrafe wie auch das Gefängnis - bieten heute ein faszinierend widersprüchliches Bild. Besonders die Gefängnisse beeindrucken einerseits durch ihre ungebrochene Expansion als Zeichen höchster Vitalität, während sie andererseits auch schon Anzeichen schlimmen Verschleißes und unwiderruflichen Niedergangs erkennen lassen - Anzeichen, die sie laut Gilles Deleuze (1990) mit den anderen Einschließungsmilieus wie Heimen, Kasernen, Fabriken und dergleichen teilen, die durch den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ihrer Funktionalität beraubt und damit objektiv obsolet wurden. Im Grunde, so Deleuze, spüre oder wisse heute schon jeder, "daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben."  
hoffen, dass sie in the long run einmal unterliegen sie doch den Gesetzen von Entstehung, Wandel und VergehenSie unterliegen alle Institutionen der ''natural history'' von Entstehung, Entwicklung, Vergehen undaller gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie entstehen, sie wandeln sich, sie vergehen. Das gilt auch für die eng miteinander verwandten und verschränkten, aber doch nicht identischen Institutionen der Freiheitsstrafe und des modernen, d.h. auf Disziplinierung und Besserung abzielenden Gefängnisses (den Ursprung der ersteren könnte man in den oberitalienischen Städten des 12. Jahrhunderts verorten, den der letzteren im Zeitalter der von Michel Foucault so genannten Großen Transformation zwischen 1760 und 1840). Beide Institutionen - die Freiheitsstrafe wie auch das Gefängnis - bieten heute ein faszinierend widersprüchliches Bild. Besonders die Gefängnisse beeindrucken einerseits durch ihre ungebrochene Expansion als Zeichen höchster Vitalität, während sie andererseits auch schon Anzeichen schlimmen Verschleißes und unwiderruflichen Niedergangs erkennen lassen - Anzeichen, die sie laut Gilles Deleuze (1990) mit den anderen Einschließungsmilieus wie Heimen, Kasernen, Fabriken und dergleichen teilen, die durch den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ihrer Funktionalität beraubt und damit objektiv obsolet wurden. Im Grunde, so Deleuze, spüre oder wisse heute schon jeder, "daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben."  


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