Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential transzendierend-antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen zu dem zunächst noch fast undenkbar erscheinenden Erfolg führen sollte (Hochschild 2007).  
Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential transzendierend-antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen zu dem zunächst noch fast undenkbar erscheinenden Erfolg führen sollte (Hochschild 2007).  


Aus der Geschichte des Kampfes gegen den transatlantischen Sklavenhandel lässt sich für unser Thema vor allem eines lernen: Repressive Institutionen können so obsolet sein wie sie wollen - von alleine werden sie nie weichen. Dazu bedarf es zunächst und vor allem der Dekonstruktion ihrer legitimierenden Narrative. Im Fall des Strafvollzugs sind das die Geschichten vom quantitativen und qualitativen Erfolg der Institution. Und vom Strafvollzug als notwendigem Übel. Auf den ersten Blick sind alle drei nicht leicht zu widerlegen. Denn es stimmt ja: der moderne Strafvollzug (d.h. die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform) war und ist ein gigantischer organisatorischer Erfolg: was um 1795 mit einigen wenigen Zellen in Philadelphia (USA) begann, ist heute ein weltumspannendes Gefängnissystem mit über zehn Millionen Insassen an jedem beliebigen Tag des Jahres. Kein Wunder, möchte man denken, dass die weltweite Nachfrage nach Gefängnisplätzen zu immer größeren Neubauprogrammen führt und dass der Staat sich mancherorts inzwischen auch der zusätzlichen Unterstützung durch private Gefängnis-Unternehmen zu versichern sucht. In qualitativer Hinsicht präsentiert sich der Strafvollzug als ein lernfähiges System mit einer tadellosen Humanisierungsgeschichte: immerhin erkannte man den Irrtum, der in der anfänglichen Hoffnung auf Besserung durch strenge Einzelhaft lag, immerhin kam dann das auburnsche System, das irische Progressivsystem und der Einzug des Behandlungsgedankens und der Resozialisierung bis hin zu sozialtherapeutischen Abteilungen und Anstalten, halboffenen und offenen Formen des Vollzugs. Was will man mehr? Von Unmenschlichkeit keine Spur. Und worin, bitte schön, sollte denn die Alternative zum Gefängnis bestehen?   
Aus der Geschichte des Kampfes gegen den transatlantischen Sklavenhandel lässt sich für unser Thema vor allem eines lernen: Repressive Institutionen können so obsolet sein wie sie wollen - von alleine werden sie nie weichen. Dazu bedarf es zunächst und vor allem der Dekonstruktion ihrer legitimierenden Narrative. Im Fall des Strafvollzugs sind das die Geschichten vom quantitativen und qualitativen Erfolg der Institution. Und vom Strafvollzug als notwendigem Übel. Auf den ersten Blick sind alle drei nicht leicht zu widerlegen. Denn es stimmt ja: der moderne Strafvollzug (d.h. die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform) war und ist ein gigantischer organisatorischer Erfolg: was um 1795 mit einigen wenigen Zellen in Philadelphia (USA) begann, ist heute ein weltumspannendes Gefängnissystem mit über zehn Millionen Insassen an jedem beliebigen Tag des Jahres. Das sind mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Kein Wunder, möchte man denken, dass die weltweite Nachfrage nach Gefängnisplätzen zu immer größeren Neubauprogrammen führt und dass der Staat sich mancherorts inzwischen auch der zusätzlichen Unterstützung durch private Gefängnis-Unternehmen zu versichern sucht. In qualitativer Hinsicht präsentiert sich der Strafvollzug als ein lernfähiges System mit einer tadellosen Humanisierungsgeschichte: immerhin erkannte man den Irrtum, der in der anfänglichen Hoffnung auf Besserung durch strenge Einzelhaft lag, immerhin kam dann das auburnsche System, das irische Progressivsystem und der Einzug des Behandlungsgedankens und der Resozialisierung bis hin zu sozialtherapeutischen Abteilungen und Anstalten, halboffenen und offenen Formen des Vollzugs. Was will man mehr? Von Unmenschlichkeit keine Spur. Und worin, bitte schön, sollte denn die Alternative zum Gefängnis bestehen?   


Die Vorstellung vom quantitativen Erfolg des Gefängnisses lässt sich am einfachsten widerlegen. Denn die Nachfrage nach Haftplätzen kommt ja bekanntlich gerade nicht von denen, die dort resozialisiert werden sollen, sondern ist ein artifizielles Produkt der Definition und Verarbeitung von Kriminalität - nicht zuletzt Folge der Ineffektivität der Haft im Hinblick auf das künftige Legalverhalten der Gefangenen. Besonders unbarmherzige Gesellschaften - besonders solche mit einer markanten Sklavenhalter-Vergangenheit wie zum Beispiel die USA und Brasilien - pflegen harte und sozial exkludierende, also die Rückfälligkeit begünstigende Haftstrafen zu verhängen und damit einen sich selbst verstärkenden Mechanismus der Produktion und Reproduktion von immer höheren Gefangenenzahlen in Gang zu setzen. Das wuchernde Wachstum des Gefängnissystems in solchen Staaten ist ein Zeichen für mangelnde soziale Solidarität, für das Weiterwirken alter Rassen- und Klassenspaltungen und vieles mehr - aber kein Erfolgsnachweis in irgendeinem vernünftigen Sinne. Im Gegenteil: hohe Inhaftierungsraten sind immer auch Indizien für das Nicht-Funktionieren des Gefängnissystems. 


Andererseits muss der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs ernüchtern. Denn im Weltmaßstab spielen die Gefängnisse in Europa und Australien eine untergeordnete, diejenigen in Afrika, Asien und den Amerikas hingegen die entscheidende Rolle, weil sie es sind, in denen sich die überwältigende Mehrheit der Gefangenen befindet. Es ist das Ensemble der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Gefängnisse, das das Bild, die Realität und das Wesen des Strafvollzugs der Gegenwart ausmacht. Und dort sieht alles anders aus. Vor allem passt dort das Schema von Fortschritt und Humanisierung nicht. Eher schon scheint sich alles in einem Teufelskreis zu bewegen, wenn nicht sogar in zwei. Erstens ist man da wieder dort angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Anspruch auf Resozialisierung und ohne Empathie. Gestank, Misshandlung, Enge und Gewalt, die der Beschreibung spotten - in Afrika und Asien, in Lateinamerika und auf eigene Art auch in der ''mass incarceration'' in den USA. Hier schließt sich der Kreis von der Skandalisierung der bloßen Verwahrung im späten 18. Jahrhundert über das ''rehabilitative ideal'' und dessen Niedergang (Allen 1981) zurück zur kümmerungsbefreiten Massenverwahrung. Zweitens schließt sich aber auch der Kreis der Einzelhaft: das ''solitary system''####, Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.
Was die Vorstellung vom Gefängnis als einem zunehmend humaneren System angeht, so lohnt es sich, den Blick auf das Gesamtsystem und seine Entwicklung zu richten. Das Gesamtsystem des Gefängnisses besteht aus den Anstalten in Australien, Europa, Afrika, Asien und den Amerikas, wobei allerdings Australien und Europa als untypische und quantitativ eher unbedeutende Randbezirke außen vor bleiben können. Die gelebte Realität des Gefängnisses - die von der überwältigenden Mehrheit der Millionen Insassen erlebte und erlittene Realität - ist das, was sich in den üblichen afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Gefängnissen abspielt, was dort tagtäglich tatsächlich passiert. Und das hat mit Humanisierung und linearer Höherentwicklung nichts zu tun. Eher schon mit dem Bild eines sich schließenden Kreises. Die Quäker hatten einst das Zellensystem der Einzelhaft als Reaktion auf die unhygienischen scheint sich alles in einem Teufelskreis zu bewegen, wenn nicht sogar in zwei. Erstens ist man da wieder dort angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Anspruch auf Resozialisierung und ohne Empathie. Gestank, Misshandlung, Enge und Gewalt, die der Beschreibung spotten - in Afrika und Asien, in Lateinamerika und auf eigene Art auch in der ''mass incarceration'' in den USA. Hier schließt sich der Kreis von der Skandalisierung der bloßen Verwahrung im späten 18. Jahrhundert über das ''rehabilitative ideal'' und dessen Niedergang (Allen 1981) zurück zur kümmerungsbefreiten Massenverwahrung. Zweitens schließt sich aber auch der Kreis der Einzelhaft: das ''solitary system''####, Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.


ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen
ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen
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== Literatur ==
== Literatur ==
*Allen, Francis A. (1981) The Decline of the Rehabilitative Ideal: Penal Policy and Social Purpose. New Haven: Yale University Press
*Allen, Francis A. (1981) The Decline of the Rehabilitative Ideal: Penal Policy and Social Purpose. New Haven: Yale University Press
*Braithwaite, Johne (2001) Crime in a Convict Republic. Modern Law Review 64(1):11 - 50.
*Davis, Angela Y. Are Prisons Obsolete?
*Davis, Angela Y. Are Prisons Obsolete?
*Deleuze, Gilles (1990) Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. L'autre journal, Nr. I, Mai.
*Deleuze, Gilles (1990) Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. L'autre journal, Nr. I, Mai.
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