Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 13: Zeile 13:
Einerseits ist die die moderne Freiheitsstrafe - also die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform - ein Riesenerfolg. Und dies sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Qualitativ, weil sich sich hier eine zum Steinerweichen anrührende Fortschrittsgeschichte erzählen lässt, die von den unhygienischen, obszönen und lebensgefährlichen Bedingungen der prämodernen Gemeinschaftshaft, die John Howard (1777) beschrieben hatte, über die "Geburt des Gefängnisses" (Foucault 1976) im Zeichen strenger Einzelhaft und den deutlich sozialeren Stufenstrafvollzug bis zum heutigen Strafvollzugsgesetz, zu den halboffenen und offenen und den sozialtherapeutischen Anstalten reicht und damit eindringlich Zeugnis ablegt von der zunehmenden Humanisierung des Strafens - und quantitativ, weil das, was 1795 im endlich fertig gestellten Penitentiary-Anbau des Walnut Street Gefängnisses von Philadelphia mit ganzen 16 Einzelzellen anfing, sich mittlerweile über die ganze Welt verbreitet hat und an jedem beliebigen Tag des Jahres nicht weniger als zehn Millionen Menschen beherbergt, versorgt und bestraft - und das trotz der im globalen Maßstab überaus dramatischen Überfüllung mit immer noch steigender Tendenz, weil die Nachfrage nicht nachlässt, auch wenn gegenwärtig schon so viele Menschen wie noch nie hinter Schloss und Riegel sitzen.  
Einerseits ist die die moderne Freiheitsstrafe - also die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform - ein Riesenerfolg. Und dies sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Qualitativ, weil sich sich hier eine zum Steinerweichen anrührende Fortschrittsgeschichte erzählen lässt, die von den unhygienischen, obszönen und lebensgefährlichen Bedingungen der prämodernen Gemeinschaftshaft, die John Howard (1777) beschrieben hatte, über die "Geburt des Gefängnisses" (Foucault 1976) im Zeichen strenger Einzelhaft und den deutlich sozialeren Stufenstrafvollzug bis zum heutigen Strafvollzugsgesetz, zu den halboffenen und offenen und den sozialtherapeutischen Anstalten reicht und damit eindringlich Zeugnis ablegt von der zunehmenden Humanisierung des Strafens - und quantitativ, weil das, was 1795 im endlich fertig gestellten Penitentiary-Anbau des Walnut Street Gefängnisses von Philadelphia mit ganzen 16 Einzelzellen anfing, sich mittlerweile über die ganze Welt verbreitet hat und an jedem beliebigen Tag des Jahres nicht weniger als zehn Millionen Menschen beherbergt, versorgt und bestraft - und das trotz der im globalen Maßstab überaus dramatischen Überfüllung mit immer noch steigender Tendenz, weil die Nachfrage nicht nachlässt, auch wenn gegenwärtig schon so viele Menschen wie noch nie hinter Schloss und Riegel sitzen.  


Andererseits ist der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs überaus ernüchternd. Denn die überwältigende Mehrheit aller Gefangenen findet sich keineswegs in Europa oder Australien, sondern in Afrika, Asien und den Amerikas. Und in diesem Teil der Welt erweist sich die Humanisierungsgeschichte des Strafvollzugs als Illusion oder Manipulation. Statt einer Richtung nach oben sieht man hier etwas ganz Anderes, nämlich wie sich der Kreis schließt. Dort ist man wieder da angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Menschlichkeit und Empathie - unter hygienischen Verhältnissen, in einer Enge und Gewalthaltigkeit, die der Beschreibung spotten. Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer nicht in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Die greifen  zurück auf die finstersten Einzelhaft-Methoden der Quäker, nur diesmal ohne Gott, ohne gute Absichten und ohne Religion. Was bleibt, ist die Folter.
Andererseits ist der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs überaus ernüchternd. Denn die überwältigende Mehrheit aller Gefangenen findet sich keineswegs in Europa oder Australien, sondern in Afrika, Asien und den Amerikas. Und in diesem Teil der Welt erweist sich die Humanisierungsgeschichte des Strafvollzugs als pure Fata Morgane. Statt einer Richtung nach oben sieht man hier etwas ganz Anderes, nämlich wie sich der Kreis schließt. Dort ist man wieder da angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Menschlichkeit und Empathie - unter hygienischen Verhältnissen, in einer Enge und Gewalthaltigkeit, die der Beschreibung spotten. Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.
 
die ist der Fortschritt im Strafvollzug allenfalls ein Randaspekt in Randbereichen dessen, was heute die Realität des Gefängnisses ausmacht. Denn nicht in Europa und nicht in Australien befindet sich die große Mehrheit der erwähnten zehn Millionen Gefangenen, sondern in den Gefängnissen der Amerikas, Asiens und Afrikas. Und die Verhältnisse dort eher schlechter als 1777.
 


ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen
ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen
31.738

Bearbeitungen