Abolitio: Unterschied zwischen den Versionen

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Das lateinische Wort '''abolitio''' bezeichnete die Beendigung eines Strafverfahrens vor dem Urteilsspruch. Bestimmungen über die ''abolitio'' finden sich im [http://de.wikipedia.org/wiki/Corpus_iuris_civilis Corpus Iuris Civilis] des oströmischen Kaisers Justinian I. (527-565), und zwar in dem als Digesten oder [http://de.wikipedia.org/wiki/Pandekten Pandekten] bekannten Teil des CIC. Dort wird die ''abolitio'' in sämtlichen Fragmenten (Paragraphen) des 16. Kapitels des 48. Buches behandelt  ([http://droitromain.upmf-grenoble.fr/Corpus/d-48.htm#16 D. 48.16]), wobei die Vorschriften über die ''abolitio'' bei Ehebruchsverfahren besonders viel Raum einnehmen.
Das lateinische Wort '''abolitio''' bezeichnete die Beendigung eines Strafverfahrens vor dem Urteilsspruch. Bestimmungen über die ''abolitio'' finden sich im [http://de.wikipedia.org/wiki/Corpus_iuris_civilis Corpus Iuris Civilis] des oströmischen Kaisers Justinian I. (527-565), und zwar in dem als Digesten oder [http://de.wikipedia.org/wiki/Pandekten Pandekten] bekannten Teil des CIC. Dort wird die ''abolitio'' in sämtlichen Fragmenten (Paragraphen) des 16. Kapitels des 48. Buches behandelt  ([http://droitromain.upmf-grenoble.fr/Corpus/d-48.htm#16 D. 48.16]), wobei die Vorschriften über die ''abolitio'' bei Ehebruchsverfahren besonders viel Raum einnehmen.
Im Jahre der Veröffentlichung der Pandekten (533 n.Chr.) war die Institution der Abolition womöglich schon 500 Jahre alt. Sie gilt als Erfindung der römischen Kaiserzeit (frühe und hohe: 27 v. - 284 n. Chr; späte: 285 bis 476). Theodor Mommsen hielt die ''abolitio'' für quantitativ und qualitativ unbedeutend, da Hinweise auf diese Rechtsinstitution in den Quellen eher spärlich seien und die abolitio auch nicht in das streng prinzipiengeleitete römische Recht gepasst habe. Möglicherweise war hier allerdings - so die neuere Forschung - der Wunsch der Vater des Gedankens. Mommsen war mit den Imperfektionen des Rechts seiner Zeit unzufrieden und idealisierte womöglich das römische Recht als Objektivation von Bestimmtheit und Gerechtigkeit.  
Im Jahre der Veröffentlichung der Pandekten (533 n.Chr.) war die Institution der Abolition womöglich schon 500 Jahre alt. Sie gilt als Erfindung der römischen Kaiserzeit (frühe und hohe: 27 v. - 284 n. Chr; späte: 285 bis 476). Theodor Mommsen hielt die ''abolitio'' für quantitativ und qualitativ unbedeutend, da Hinweise auf diese Rechtsinstitution in den Quellen eher spärlich seien und die abolitio auch nicht in das streng prinzipiengeleitete römische Recht gepasst habe. Möglicherweise war hier allerdings - so die neuere Forschung - der Wunsch der Vater des Gedankens. Mommsen war mit den Imperfektionen des Rechts seiner Zeit unzufrieden und idealisierte womöglich die römische Strafrechtspflege als nahezu ''more geometrico'' funktionierend (Gamauf 2013: 299). Institutionen wie die abolitio mussten ihm wie systemwidrige Reste unsystematischer Willkür erscheinen.
 
Tatsache war jedoch, dass das römische Strafverfahren durch Privatanklagen in Gang gebracht wurde, die trotz der Strafdrohungen, die für Falschanklagen (calumnia) vorgesehen waren, zuhauf eingingen und mangels effektiver Vorschriften zum Vorantreiben und zum Abschluss des Verfahrens immer wieder das Rechtswesen zu paralysieren drohten.
 
 
 





Version vom 27. Juni 2014, 08:31 Uhr

Das lateinische Wort abolitio bezeichnete die Beendigung eines Strafverfahrens vor dem Urteilsspruch. Bestimmungen über die abolitio finden sich im Corpus Iuris Civilis des oströmischen Kaisers Justinian I. (527-565), und zwar in dem als Digesten oder Pandekten bekannten Teil des CIC. Dort wird die abolitio in sämtlichen Fragmenten (Paragraphen) des 16. Kapitels des 48. Buches behandelt (D. 48.16), wobei die Vorschriften über die abolitio bei Ehebruchsverfahren besonders viel Raum einnehmen. Im Jahre der Veröffentlichung der Pandekten (533 n.Chr.) war die Institution der Abolition womöglich schon 500 Jahre alt. Sie gilt als Erfindung der römischen Kaiserzeit (frühe und hohe: 27 v. - 284 n. Chr; späte: 285 bis 476). Theodor Mommsen hielt die abolitio für quantitativ und qualitativ unbedeutend, da Hinweise auf diese Rechtsinstitution in den Quellen eher spärlich seien und die abolitio auch nicht in das streng prinzipiengeleitete römische Recht gepasst habe. Möglicherweise war hier allerdings - so die neuere Forschung - der Wunsch der Vater des Gedankens. Mommsen war mit den Imperfektionen des Rechts seiner Zeit unzufrieden und idealisierte womöglich die römische Strafrechtspflege als nahezu more geometrico funktionierend (Gamauf 2013: 299). Institutionen wie die abolitio mussten ihm wie systemwidrige Reste unsystematischer Willkür erscheinen.

Tatsache war jedoch, dass das römische Strafverfahren durch Privatanklagen in Gang gebracht wurde, die trotz der Strafdrohungen, die für Falschanklagen (calumnia) vorgesehen waren, zuhauf eingingen und mangels effektiver Vorschriften zum Vorantreiben und zum Abschluss des Verfahrens immer wieder das Rechtswesen zu paralysieren drohten.





Arten

Unterschieden wurden drei Arten:

a) abolitio publica, d.h. Aufhebung der Anklage von Staats wegen in Veranlassung eines Festes oder freudigen Ereignisses. Sie ging vom Senat aus, ausnahmsweise auch vom Kaiser (die Anklage konnte aber nach einer bestimmten Zeit wieder aufgenommen werden).

b) abolitio privata, d.h. Aufhebung eines schwebenden Anklageverfahrens auf Wunsch des Anklägers (wer die Anklage fallen ließ, ohne diese Aufhebung erwirkt zu haben, war wegen tergiversatio strafbar).

c) abolitio ex lege, d.h. als Folge eines im Gesetze bezeichneten Umstandes, z. B. bei Tod oder Unfähigkeit des Anklägers.

Die A. beseitigte nur das schwebende Verfahren, nicht die Möglichkeit einer weiteren Verfolgung des Angeklagten wegen der ihm zur Last gelegten Tat durch denselben oder einen anderen Ankläger.

Für die völlige Befreiung des Angeklagten von weiterer Verfolgung bedurfte es eines beneficium generale oder einer indulgentia specialis.

Verbreitung

Die abolitio war ein Institution des römischen Rechts, die insbesondere für die Kaiserzeit (ab 27 v. Chr./bis ca. 350 n. Chr.) belegt ist. Abolitionen wurden vom Senat oder vom Kaiser erlassen.

Anders als noch Mommsen annahm, dürfte die abolitio im römischen Recht eine erhebliche Häufigkeit und nicht geringe Bedeutung gehabt haben - dies vor allem in Fällen von Anklagen, die Ehemänner gegen ihre Frauen wegen Ehebruchs erhoben. Die abolitio publica war eine Möglichkeit, die Sache ohne negative Folgen für den Ehemann einfach nicht weiter zu verfolgen.

Funktionen

Abolitionen hatten vor allem zwei Funktionen: erstens die Beförderung der Popularität eines Herrschers, bzw. Herrschaftssystems, und zweitens die Korrektur einiger Systemprobleme des Justizsystems.

Was diese Systemprobleme angeht, so tendierte das Prinzip der Privatklage zur Verstopfung des Justizapparats. Die Herrschaft des Privatklägers über den Verfahrensgang konnte die Erledigung erschweren. Abolitionen waren eine Gelegenheit, um hier Abhilfe zu schaffen und "Karteileichen" auszusortieren.

  • So ereiferte sich Kaiser Claudius in einer oratio vor dem Senat über die "Tyrannei der Ankläger" (Gamauf 2013: 301).
  • Zum Amtsantritt des Konsuls Cassio Dio unter Septimius Severus gab es 3000 offene Ehebruchsverfahren.

Literatur

  • Abolitio in de.wikisource = Rudolf Leonhard, Abolitio, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Band I, 1. In dem Beitrag finden sich als Quellen genannt:
  • Geib Gesch. d. r. Kriminalproz. 572–576. 585–588.
  • Rein röm. Kriminalrecht 273–276.
  • Rudorff röm. Rechtsg. II § 139 S. 460f.
  • Schulin Lehrb. d. Gesch. d. r. R. 562.