Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV): Unterschied zwischen den Versionen

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Die am 17. September 1888 von [[Franz von Liszt]], Adolphe Prins (Bruessel) und Gerardus Antonius van Hamel (Amsterdam) in Brüssel gegründete und war auch unter den Bezeichnungen International Union of Penal Law (I.U.P.L.) und Union Internationale de Droit Pénal (U.I.D.P.) bekannte '''Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV)''' nahm am 1.1.1889 ihre Arbeit auf.
Die IKV war die erste internationale Organisation auf dem Feld der Strafrechtsreform und wandte sich an alle - und in der Praxis vornehmlich an Juristen - die die bestehenden Einrichtungen zur Bekämpfung des Verbrechertums für verbesserungsbedürftig und –fähig hielten und diese auf wissenschaftlicher Basis zielbewusster und effektiver gestalten wollten.


Die 1888 gegründete Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV) engagierte sich für die Reform des Strafrechts und des Kriminaljustizwesens. Artikel 1 der geänderten Satzung von 1897 forderte die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel seiner Bekämpfung und erklärte, "dass sowohl das Verbrechen als auch die Mittel zu seiner Bekämpfung nicht nur vom juristischen, sondern ebenso auch vom anthropologischen und soziologischen Standpunkt aus betrachtet werden müssen".  
Die IKV rang von 1889 bis 1914 mit viel Engagement um ihre Reformziele. Der Erste Weltkrieg erschütterte den transnationalen Zusammenhalt. Die deutsche Landesgruppe der IKV arbeitete weiter für die Reform des deutschen Strafrechts, scheiterte dann aber am Aufstieg des Nationalsozialismus. Am 14. März 1924 wurden in Paris die englisch- und französischsprachigen Nachfolgeorganisationen (International Association of Penal Law, bzw. Association Internationale de Droit Pénal; I.A.P.L./A.I.D.P.) gegründet.


Das Ende der IKV wird mal auf 1932 (das Jahr des letzten Kongresses der deutschen Sektion), mal auf 1937 (förmliche Auflösung) datiert.


Die Bewertungen der Rolle der IKV sind geteilt. Während manche (z.B. Hans-Heinrich Jescheck) in der IKV eine Vorreiterin der kriminalpolitischen Liberalisierung im späten 20. Jahrhundert sehen, betonen andere (z.B. [[Leon Radzinowicz]]) die direkten und indirekten Verbindungslinien, die von der IKV zu den autoritären Strafrechts- und Unterdrückungssystemen des frühen 20. Jahrhunderts führen (faschistisches Italien, Drittes Reich, Stalinismus).


== Rahmenbedingungen ==


=== Gründer ===
==Programm==
Die Internationale Kriminalistische Vereinigung wurde von Franz von Liszt, Adolphe Prins und Gerardus Antonius van Hamel gegründet.  
Artikel 1 der geänderten Satzung von 1897 forderte die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel seiner Bekämpfung und erklärte, "dass sowohl das Verbrechen als auch die Mittel zu seiner Bekämpfung nicht nur vom juristischen, sondern ebenso auch vom anthropologischen und soziologischen Standpunkt aus betrachtet werden müssen".


'''''Franz von Liszt''''' (* 2. März 1851 in Wien, † 21. Juni 1919)
Im Mittelpunkt des Programms stand die Reform des Strafensystems und des Strafvollzugs, insbesondere die Bekämpfung der als verderblich angesehenen kurzzeitigen Freiheitsstrafen. Als Ersatz für die kurze Freiheitsstrafe war "Arbeitsstrafe ohne Einsperrung" - heute würde man von gemeinnütziger Arbeit sprechen - vorgesehen. Auch setzte sich die IKV für die Einführung der "bedingten Verurteilung" (= Strafaussetzung auf Bewährung) ein.


Der in Wien geborene Jurist war u.a. Professor für Strafrecht an Lehrstühlen in Gießen, Marburg, Halle und Berlin. Darüber hinaus war er Abgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag sowie einer der Mitbegründer des Liberalen Wahlvereins. Er gründete das „Kriminalistische Seminar“ und war Mitherausgeber der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“. 1882 hielt er die, unter dem Namen „Marburger Programm“ bekannt gewordene, epochemachende Rede „Der Zweckgedanke im Strafrecht“. Er gilt als Initiator und treibende Kraft bei der Gründung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung und prägte die so genannte moderne Schule.
Noch im 19. Jahrhundert formulierte die IKV die folgenden zentralen Anliegen:


'''''Adolphe Prins''''' (* 2. November 1845 in Brüssel, † 29. September 1919)
*Heranziehung anderer Mittel als nur der Strafe zur Bekämpfung der Verbrechen
*Benutzung der soziologischen und anthropologischen Forschungen
*Unterscheidung von Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrechern (sowie Unschädlichmachung der letztgenannten, sofern sie unverbesserlich sind)
*Beseitigung der Trennung des Strafvollzugs von der Strafrechtspflege
*Verbesserung der Gefängnisse
*Ersatz der kurzzeitigen Freiheitsstrafen
*Bemessung der Strafdauer bei langzeitigen Freiheitsstrafen auch nach den Ergebnissen des Strafvollzugs.  


Der belgische Rechtswissenschaftler und Soziologie war u.a. Generalinspekteur der belgischen Gefängnisse sowie Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und später Rektor der Freien Universität Brüssel. Er war Mitglied der königlichen Akademie Belgiens sowie des obersten Arbeitsrates. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ er durch sein gesetzgeberisches Wirken als Präsident der Gesetzgebungskommission.  
Die ersten Kongresse der IKV, die jeweils durch Gutachten und Berichte vorbereitet waren, wurden in Brüssel (1889), Bern (1890), Kristiania (1891) und in Paris (1893) abgehalten. Die Vereinigung, die auch sowohl ein französisches als auch ein deutsches Jahrbuch herausgab, zählte zur Zeit des Pariser Kongresses über 600 Mitglieder aus fast allen Staaten Europas, aus Nord- und Südamerika, Ägypten und Japan.


'''''Gerardus Antonius von Hamel''''' (* 7. Januar 1842 in Haarlem, † 2. November 1917)
=== Entwicklung ===
 
In den „Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“ (MittIKV) wurden insbesondere die Tagungsprotokolle der europaweiten Kongresse, sowie Aufsätze zu kriminologischen und kriminalpolitischen Themen veröffentlicht. Teilweise wurden die Ausgaben durch Beiträge aus anderen deutschen, italienischen oder französischen Fachzeitschriften ergänzt. Die Mitteilungen wurden zunächst der „Zeitschrift für die gesamte Strafwissenschaft“ beigelegt (1889 – 1904). Ab 1904 wurden die Mitteilungen dann eigenständig herausgegeben.
Der niederländische Strafrechtsprofessor war u.a. als stellvertretender Justiz-Offizier (Staatsanwalt) und Rechtsbeistand im Kriegsdepartment tätig. Er war Mitbegründer der Zeitschrift „Tijschrift voor Strafrecht“ sowie Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Liberalen Union.
 
 
 
=== Gründung und Entwicklung ===
Die Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV) wurde am 17. September 1888 in Brüssel gegründet und war auch unter den Bezeichnungen International Union of Penal Law (I.U.P.L.) und Union Internationale de Droit Pénal (U.I.D.P.) bekannt. Am 1. Januar 1889 nahm die Vereinigung offiziell ihre Arbeit auf.
 
Anstoß für die Gründung war der v.a. briefliche, aber auch persönliche Kontakt zwischen v. Liszt, Prins und van Hamel. Dieser Kontakt zeugte von einer weitgehenden Übereinstimmung ihrer Ansichten und so sollten mit vereinten Kräften die gemeinsamen Anschauungen nach außen vertreten werden. Die IKV wurde als erste internationale Organisation auf dem Feld der Strafrechtspflege gegründet und war für alle Personen gedacht, welche die Aufgabe in einer zielbewussten Bekämpfung des Verbrechertums sahen und die bestehenden Einrichtungen diesbezüglich für verbesserungsbedürftig und –fähig hielten.
Wissenschaftler in aller Welt verfolgten damals frei von nationalen Zwängen die Entwicklungen im In- und Ausland mit regem Interesse. Dies, und die Entstehung neuer Organisationsformen mit zunehmend internationaler Ausrichtung erzeugten eine „internationale Stimmung“. Ein optimales Forum zum Meinungs- und Interessenaustausch als auch zur Interessenvertretung war dabei die Internationale Kriminalistische Vereinigung.
Organ der Vereinigung waren die „Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“ (MittIKV). In den Mitteilungen wurden insbesondere die Tagungsprotokolle der europaweiten Kongresse, sowie Aufsätze zu kriminologischen und kriminalpolitischen Themen veröffentlicht. Teilweise wurden die Ausgaben durch Beiträge aus anderen deutschen, italienischen oder französischen Fachzeitschriften ergänzt. Die Mitteilungen wurden zunächst der „Zeitschrift für die gesamte Strafwissenschaft“ beigelegt (1889 – 1904). Ab 1904 wurden die Mitteilungen als eigenständige Literatur herausgegeben.


Das Jubiläumsjahr 1914, in dem das 25jährige Bestehen der Vereinigung gefeiert wurde, sollte zeitgleich das Ende der IKV einläuten. Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges war an eine wissenschaftliche Zusammenarbeit der verfeindeten Staaten nicht mehr zu denken. Von nun an gab es nur noch die während der Existenz der gesamten IKV gegründeten Landesgruppen. Die deutsche Landesgruppe existierte beispielsweise bis ins Jahr 1937 und arbeitete bis dahin vor allem an der deutschen Strafrechtsreform.
Das Jubiläumsjahr 1914, in dem das 25jährige Bestehen der Vereinigung gefeiert wurde, sollte zeitgleich das Ende der IKV einläuten. Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges war an eine wissenschaftliche Zusammenarbeit der verfeindeten Staaten nicht mehr zu denken. Von nun an gab es nur noch die während der Existenz der gesamten IKV gegründeten Landesgruppen. Die deutsche Landesgruppe existierte beispielsweise bis ins Jahr 1937 und arbeitete bis dahin vor allem an der deutschen Strafrechtsreform.
Nach Kriegsende wurde versucht, die Gesamtvereinigung wieder aufleben zu lassen. Trotz mehrfacher Versuche gelang eine Wiederbelebung der IKV jedoch nicht mehr. Stattdessen wurde am 14.03.1924 die „Nachfolgeorganisation“ Association Internationale de Droit Pénal (A.I.D.P.) bzw. International Association of Penal Law (I.A.P.L.) in Paris gegründet. Die A.I.D.P. ist bis zum heutigen Tag aktiv und verfolgt die Ziele der strafrechtsdogmatischen und kriminologischen Forschung - ganz im Sinne der IKV - ohne für eine bestimmte Strafrechtstheorie Partei zu ergreifen.
Nach Kriegsende wurde versucht, die Gesamtvereinigung wieder aufleben zu lassen. Trotz mehrfacher Versuche gelang eine Wiederbelebung der IKV jedoch nicht mehr. Stattdessen wurde am 14.03.1924 die „Nachfolgeorganisation“ Association Internationale de Droit Pénal (A.I.D.P.) bzw. International Association of Penal Law (I.A.P.L.) in Paris gegründet. Die A.I.D.P. ist bis zum heutigen Tag aktiv und verfolgt die Ziele der strafrechtsdogmatischen und kriminologischen Forschung - ganz im Sinne der IKV - ohne für eine bestimmte Strafrechtstheorie Partei zu ergreifen.


=== Mitglieder ===
=== Mitglieder ===
Die IKV begann ihre Arbeit im Jahr der Gründung mit 75 Mitgliedern. Seitdem konnte sie einen stetigen Anstieg verzeichnen. Im letzten schriftlichen Verzeichnis aus dem Jahre 1904 zählte die Vereinigung 1.122 Mitglieder.  
Die IKV begann ihre Arbeit im Jahr der Gründung mit 75 Mitgliedern. Seitdem konnte sie einen stetigen Anstieg verzeichnen. Im Verzeichnis aus dem Jahre 1904 zählte die Vereinigung 1.122 Mitglieder.  


Die Herkunft der Mitglieder erstreckte sich über Deutschland, Russland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Frankreich, Portugal, Spanien, Österreich, Ungarn, Kroatien, Niederlande, Belgien, Schweiz, Italien, Großbritannien, Vereinigte Staaten, Balkanstaaten, Finnland, Ägypten, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Australien und Japan. Die Reihenfolge der Aufzählung entspricht in etwa der Reihenfolge der Anzahl der Mitglieder des jeweiligen Landes.  
Die Mitglieder waren hauptsächlich Juristen (Richter, Rechtsanwälte, in der Verwaltung tätige Juristen), Strafanstaltsbeamten und Medizinern (v.a. Psychiater). Praktiker waren in der Mehrzahl. Im Gegensatz dazu waren die Professoren aber sowohl im Vorstand als auch als Redner auf den Kongressen deutlich überproportional vertreten. An den Versammlungen und Kongressen der IKV konnten auch Nicht-Mitglieder gegen ein Entgelt teilnehmen (v.a. Geistliche, Lehrer und Mitglieder von Fürsorgevereinen). Die meisten Mitglieder kamen aus Deutschland, Russland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Frankreich, Portugal, Spanien, Österreich, Ungarn, Kroatien und den Niederlanden sowie Belgien. Nennenswert waren aber auch noch die Mitgliedschaften aus der Schweiz, Italien, Großbritannien, den USA, ganz zu schweigen von Herkunftslaendern wie Aegypten, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Australien und Japan.


Die Jahresversammlung der IKV wurde an wechselnden Orten in verschiedenen Ländern abgehalten. Diese Versammlungen hatten auffälligerweise in dem jeweiligen Gastgeberland anschließend sowohl das Anwachsen der Mitgliederzahl als auch die Bildung eigener Landesgruppen zur Folge. Eigene Landesgruppen entstanden in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Norwegen, Portugal, Russland, Ungarn und der Schweiz.  
Die Jahresversammlung der IKV wurde an wechselnden Orten in verschiedenen Ländern abgehalten. Das ahtte in dem jeweiligen Gastgeberland anschließend sowohl das Anwachsen der Mitgliederzahl als auch die Bildung eigener Landesgruppen zur Folge (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Norwegen, Portugal, Russland, Ungarn und der Schweiz).  


Die Mitglieder bestanden hauptsächlich aus Juristen (Richter, Rechtsanwälte, in der Verwaltung tätige Juristen), Strafanstaltsbeamten und Medizinern (v.a. Psychiater). Zahlenmäßig bestand die Vereinigung aus deutlich mehr Praktikern als Theoretikern (v.a. Universitätsprofessoren). Im Gegensatz dazu waren die Professoren aber sowohl im Vorstand als auch als Redner auf den Kongressen deutlich überproportional vertreten. 
An den Versammlungen und Kongressen der IKV konnten auch Nicht-Mitglieder gegen ein Entgelt teilnehmen. Dies waren v.a. Geistliche, Lehrer und Mitglieder von Fürsorgevereinen.


== Standpunkt ==
== Standpunkt ==
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Im Gegensatz dazu schien jedoch in praktischen Fragen der Gesetzgebung eine bemerkenswerte Übereinstimmung der Mitglieder bestanden zu haben und so wurde trotz aller Verschiedenheit in den Grundfragen in der Vereinigung wirkungsvoll zusammengearbeitet.
Im Gegensatz dazu schien jedoch in praktischen Fragen der Gesetzgebung eine bemerkenswerte Übereinstimmung der Mitglieder bestanden zu haben und so wurde trotz aller Verschiedenheit in den Grundfragen in der Vereinigung wirkungsvoll zusammengearbeitet.


== Arbeit ==
== Arbeit ==
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Unter diesem Aufgabengebiet subsumierten sich alle Forschungen, die sich nicht mit den Ursachen und Gegenmitteln beschäftigen, aber kriminalwissenschaftlicher Natur sind. Bearbeitetet wurden hier Themen wie die Übertretungen (sog. Polizeidelikte), der Lustmord, die Psychologie der Zeugenaussage, die Ausbildung der Kriminalisten sowie die Ausbildung in den Hilfswissenschaften des Strafrechts.
Unter diesem Aufgabengebiet subsumierten sich alle Forschungen, die sich nicht mit den Ursachen und Gegenmitteln beschäftigen, aber kriminalwissenschaftlicher Natur sind. Bearbeitetet wurden hier Themen wie die Übertretungen (sog. Polizeidelikte), der Lustmord, die Psychologie der Zeugenaussage, die Ausbildung der Kriminalisten sowie die Ausbildung in den Hilfswissenschaften des Strafrechts.


Der internationale Charakter der Vereinigung hat sich im Bereich der Erforschung des Verbrechens besonders auf dem Gebiet der vergleichenden Strafrechtswissenschaft bewährt. Die Vereinigung schaffte es eine einheitliche Darstellung des Strafrechts fast aller Kulturländer der Erde zu geben. Sie veröffentlichte hierzu zwei Bände zum Thema „Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung“. Der erste Band bezog sich dabei auf das Strafrecht der Staaten Europas, der zweite Band auf das der außereuropäischen Staaten. Obwohl es genügend Material gab, erschien kein weiterer Band dieses Werkes. Nachträge über die Entwicklung der Gesetzgebung im In- und Ausland sowie kriminalpolitische Maßnahmen der einzelnen Staaten erfolgten dann durch Berichte in den Mitteilungen der IKV.
Der internationale Charakter der Vereinigung hat sich im Bereich der Erforschung des Verbrechens besonders auf dem Gebiet der vergleichenden Strafrechtswissenschaft bewährt. Die Vereinigung schaffte es, eine einheitliche Darstellung des Strafrechts fast aller Kulturländer der Erde zu geben. Sie veröffentlichte hierzu zwei Bände zum Thema „Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung“. Der erste Band bezog sich dabei auf das Strafrecht der Staaten Europas, der zweite Band auf das der außereuropäischen Staaten. Obwohl es genügend Material gab, erschien kein weiterer Band dieses Werkes. Nachträge über die Entwicklung der Gesetzgebung im In- und Ausland sowie kriminalpolitische Maßnahmen der einzelnen Staaten erfolgten dann durch Berichte in den Mitteilungen der IKV.


Die Untersuchung des Einflusses der neuen Schule auf die Grundbegriffe des Strafrechts fällt ebenfalls in diesen Bereich. Aufgrund der zu unterschiedlichen Überzeugungen der Mitglieder der Vereinigung konnte sich lediglich auf einige Thesen geeinigt werden. Gemeinsame Forderungen im Namen der IKV, die auf eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Strafrechtsystems abzielten, konnten wegen des Schulengegensatzes und der unterschiedlichen Auffassungsweise der notwendigen Begrifflichkeiten nicht gestellt werden.
Die Untersuchung des Einflusses der neuen Schule auf die Grundbegriffe des Strafrechts fällt ebenfalls in diesen Bereich. Aufgrund der zu unterschiedlichen Überzeugungen der Mitglieder der Vereinigung konnte sich lediglich auf einige Thesen geeinigt werden. Gemeinsame Forderungen im Namen der IKV, die auf eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Strafrechtsystems abzielten, konnten wegen des Schulengegensatzes und der unterschiedlichen Auffassungsweise der notwendigen Begrifflichkeiten nicht gestellt werden.


=== Erforschung der Ursachen des Verbrechens ===  
=== Erforschung der Ursachen des Verbrechens ===  
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Das Thema einer einheitlichen und wissenschaftlich fundierten Rückfallstatistik wurde von der IKV am intensivsten und erfolgreichsten bearbeitet. Die Vereinigung deckte nicht nur die Grundfehler der üblichen statistischen Methode auf, sondern entwickelte auch eine neue Methode, für die sie im Anschluss energisch Werbung machte. Durch die große Gründlichkeit bei der Bearbeitung dieser Frage leistete die Vereinigung Bedeutsames und hatte beispielsweise auf die deutsche Rückfallstatistik verändernden Einfluss.  
Das Thema einer einheitlichen und wissenschaftlich fundierten Rückfallstatistik wurde von der IKV am intensivsten und erfolgreichsten bearbeitet. Die Vereinigung deckte nicht nur die Grundfehler der üblichen statistischen Methode auf, sondern entwickelte auch eine neue Methode, für die sie im Anschluss energisch Werbung machte. Durch die große Gründlichkeit bei der Bearbeitung dieser Frage leistete die Vereinigung Bedeutsames und hatte beispielsweise auf die deutsche Rückfallstatistik verändernden Einfluss.  
Den Wunsch nach einer international vergleichbaren Kriminalstatistik konnte sich die IKV aber nicht erfüllen. Das Vorhaben scheiterte u.a. an der mangelnden Vergleichbarkeit der Länder. Zu unterschiedlich waren die Modalitäten bezüglich strafbaren Handelns. Das nächste Vorhaben, zumindest eine einheitliche nationale Kriminalstatistik zu erreichen, scheiterte ebenso.
Den Wunsch nach einer international vergleichbaren Kriminalstatistik konnte sich die IKV aber nicht erfüllen. Das Vorhaben scheiterte u.a. an der mangelnden Vergleichbarkeit der Länder. Zu unterschiedlich waren die Modalitäten bezüglich strafbaren Handelns. Das nächste Vorhaben, zumindest eine einheitliche nationale Kriminalstatistik zu erreichen, scheiterte ebenso.


=== Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel ===  
=== Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel ===  
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Im Arbeitsbereich der Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel beschäftigte sich die Vereinigung zudem mit der Notwendigkeit beziehungsweise der Umgestaltung kurzzeitiger Freiheitsstrafen im Sinne einer Verschärfung sowie ihre Ersetzung durch andere Strafen, wie z.B. Geldstrafen oder Zwangsarbeit ohne Einsperrung. Weitere Themen waren die Reform der Geldstrafe, das unbestimmte Strafurteil, Strafprozessuale Aufgaben, Mädchenhandel und Jugendkriminalität.  
Im Arbeitsbereich der Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel beschäftigte sich die Vereinigung zudem mit der Notwendigkeit beziehungsweise der Umgestaltung kurzzeitiger Freiheitsstrafen im Sinne einer Verschärfung sowie ihre Ersetzung durch andere Strafen, wie z.B. Geldstrafen oder Zwangsarbeit ohne Einsperrung. Weitere Themen waren die Reform der Geldstrafe, das unbestimmte Strafurteil, Strafprozessuale Aufgaben, Mädchenhandel und Jugendkriminalität.  


In vielen der genannten Gebiete hatte die IKV messbare Erfolge. Sie erarbeitete zahlreiche Entwürfe und Gegenvorschläge für die Reform der Gesetzgebung, veröffentlichte Fachliteratur, trug zu einer nationalen und internationalen Verständigung bei und nahm Einfluss auf die Kriminalpolitik.
In vielen der genannten Gebiete hatte die IKV messbare Erfolge. Sie erarbeitete zahlreiche Entwürfe und Gegenvorschläge für die Reform der Gesetzgebung, veröffentlichte Fachliteratur, trug zu einer nationalen und internationalen Verständigung bei und nahm Einfluss auf die Kriminalpolitik.
Bei manchen Themen konnte die IKV allerdings keine Einigung und dadurch keine Festlegung auf Forderungen erreichen. Dies lag zumeist an den zu unterschiedlichen Standpunkten der Mitglieder und den gegensätzlichen Grundhaltungen. Aber auch eine teilweise zu große Unterschiedlichkeit der Gutachten und eine stückweit unorganisierte Arbeitsweise der Vereinigung führten zur Ergebnislosigkeit bei der Bearbeitung mancher Themen.  
Bei manchen Themen konnte die IKV allerdings keine Einigung und dadurch keine Festlegung auf Forderungen erreichen. Dies lag zumeist an den zu unterschiedlichen Standpunkten der Mitglieder und den gegensätzlichen Grundhaltungen. Aber auch eine teilweise zu große Unterschiedlichkeit der Gutachten und eine zuweilen unorganisierte Arbeitsweise der Vereinigung führten zur Ergebnislosigkeit bei der Bearbeitung mancher Themen.  
In einer Gesamtbetrachtung hat die IKV aber als erste internationale Organisation auf dem Feld der Strafrechtspflege ihre selbstgesetzte Aufgabe der wissenschaftlichen Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel seiner Bekämpfung durchaus erfolgreich erfüllt. Sie hat als Forum für strafrechtswissenschaftliche Experten zur Kritik und Begutachtung der vorhandenen Kriminalpolitik und Strafgesetzgebung ebenso gedient, als sie ihre Rolle als „sachverständiger Berater“ des Staates erfüllte.  
In einer Gesamtbetrachtung hat die IKV aber als erste internationale Organisation auf dem Feld der Strafrechtspflege ihre selbstgesetzte Aufgabe der wissenschaftlichen Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel seiner Bekämpfung durchaus erfolgreich erfüllt. Sie hat als Forum für strafrechtswissenschaftliche Experten zur Kritik und Begutachtung der vorhandenen Kriminalpolitik und Strafgesetzgebung ebenso gedient, als sie ihre Rolle als „sachverständiger Berater“ des Staates erfüllte.  


Noch kurz vor Ausbruch des Krieges, der die Arbeit der IKV enden ließ, feierte die Vereinigung ihr 25jähriges Bestehen und kündigte an, sich in Zukunft um Themen wie die Ausbildung der Juristen und Reformfragen des Prozessrechtes sowie des materiellen Rechtes zu bemühen. Zu der ebenso angekündigten stärkeren Berücksichtigung des soziologischen Standpunktes bei der gemeinsamen Bearbeitung der Themen sollte es aber aufgrund der gegebenen politischen Ereignisse nicht mehr kommen.
Noch kurz vor Ausbruch des Krieges, der die Arbeit der IKV enden ließ, feierte die Vereinigung ihr 25jähriges Bestehen und kündigte an, sich in Zukunft um Themen wie die Ausbildung der Juristen und Reformfragen des Prozessrechtes sowie des materiellen Rechtes zu bemühen. Zu der ebenso angekündigten stärkeren Berücksichtigung des soziologischen Standpunktes bei der gemeinsamen Bearbeitung der Themen sollte es aber aufgrund der gegebenen politischen Ereignisse nicht mehr kommen.


== Literatur ==
== Literatur ==
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*Galassi, Silviana: Kriminologie im Deutschen Kaiserreich. Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung. Franz Steiner Verlag. Stuttgart, 2004.  
*Galassi, Silviana: Kriminologie im Deutschen Kaiserreich. Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung. Franz Steiner Verlag. Stuttgart, 2004.  
 
*Jescheck, Hans Heinrich (1980) Der Einfluß der IKV und der AIDP auf die internationale Entwicklung der modernen Kriminalpolitik, ZStW 92, S. 997 ff.
*Kesper-Biermann, Sylvia: Wissenschaftlicher Ideenaustausch und "kriminalpolitische Propaganda". Die Internationale Kriminalistische Vereinigung (1889-1937) und der Strafvollzug. In: Schauz, Désirée/ Freitag, Sabine (Hrsg.): Verbrecher im Visier der Experten. Kriminalpolitik zwischen Wissenschaft und Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Franz Steiner Verlag. Stuttgart, 2007.
*Kesper-Biermann, Sylvia (2007) Wissenschaftlicher Ideenaustausch und "kriminalpolitische Propaganda". Die Internationale Kriminalistische Vereinigung (1889-1937) und der Strafvollzug, in: Sabine Freitag/Désirée Schauz (Hrsg.): Verbrecher im Visier der Experten. Kriminalpolitik zwischen Wissenschaft und Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner, S. 79-97.  
 
*Kitzinger, Friedrich: Die Internationale Kriminalistische Vereinigung. Betrachtungen über ihr Wesen und ihre bisherige Wirksamkeit. C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung. München, 1905.
*Kitzinger Dr., Friedrich: Die Internationale Kriminalistische Vereinigung. Betrachtungen über ihr Wesen und ihre bisherige Wirksamkeit. C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung. München, 1905.
*Radzinowicz, Sir Leon (1991) The Roots of the International Association of Criminal Law and their Significance. A Tribute and a Re-assessment on the Centenary of the IKV, Freiburg (Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 45).
 
*Vogler, Richard (2005) A World View of Criminal Justice. London: Ashgate (S. 61 ff.).
*Würtenberger, Thomas: Organisationen und Institute. In: Sieverts, Rudolf/ Schneider, Hans Joachim (Hrsg.): Handwörterbuch der Kriminologie. Bd.2. Kriminalpolitik - Rauschmittelmißbrauch. Walter de Gruyter. Berlin, 1977.
*Würtenberger, Thomas: Organisationen und Institute. In: Sieverts, Rudolf/ Schneider, Hans Joachim (Hrsg.): Handwörterbuch der Kriminologie. Bd.2. Kriminalpolitik - Rauschmittelmißbrauch. Walter de Gruyter. Berlin, 1977.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
*http://www.penal.org/new/generale.php?/Doc_zone=QUI&langage=gb&ID_doc=225 (Stand 20.02.2009).
*http://www.penal.org/new/index.php?langage=gb (Stand 20.02.2009).


*IKV in: dt. Wikipedia [[http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Kriminalistische_Vereinigung]]
*http://www.penal.org/new/index.php
*http://www.aidpblog.org/about-aidp/
*http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=119625 (Stand 20.02.2009).
*http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=119625 (Stand 20.02.2009).
*http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Kriminalistische+Vereinigung (Stand 15.02.2009).
*http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Kriminalistische+Vereinigung (Stand 15.02.2009).


[[Kategorie:Strafrechtsgeschichte]]
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[[Kategorie:Kriminalpolitik]]
[[Kategorie:Kriminalpolitik]]
[[Kategorie:Leistungsnachweis]]
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