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Die IKV wollte mit ihrer Arbeit eine allmähliche Umgestaltung des geltenden Rechts, unabhängig von jeder Theorie und Glaubensfrage, erreichen. Ihr erklärtes Ziel war es auf der Ebene des wissenschaftlichen Ideenaustausches wirksam zu sein, aber auch ihren Erkenntnissen Eingang in die Kriminalpolitik zu verschaffen. | |||
Um dieses Ziel zu erreichen, bot die Vereinigung eine Plattform, die dazu dienen sollte, Theoretiker und Praktiker aller Kulturländer zu gemeinsamer Arbeit zu vereinen und neuen Gedanken im Strafrecht, Strafprozess und Strafvollzug den Weg zu bahnen. | |||
Hierzu veranstaltete die IKV internationale Kongresse, die in ein- bis vierjährigen Abstand vornehmlich in europäischen Hauptstädten stattfanden. Dort wurde die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Ideen-, Meinungs- und Erfahrungsaustausches und der Bearbeitung verschiedener Themen gegeben. Konferiert wurden meist mehrere Thesen, welche durch Gutachter und Berichte vorbereitet wurden und über deren Inhalt anschließend diskutiert und teilweise abgestimmt wurde. Am Ende der Kongresse stand meist die gemeinsame Besichtigung größerer Gefängnisse oder verwandter Einrichtung auf der Tagesordnung. So gab es beispielweise beim Hamburger Kongress für die Möglichkeit sich die Irrenkolonie Langenhorn sowie die Gefängnis- und Korrektionsanstalt Fuhlsbüttel anzusehen. | |||
Ergebnis der internationalen Kongresse waren meist allgemeine Direktiven oder Grundsätze und neu gewonnene Erkenntnisse in den bearbeiteten Bereichen. | |||
Den Landesgruppen der IKV kam die Aufgabe zu in Landesversammlungen die Ergebnisse und Reformfragen der internationalen Kongresse mit besonderer Berücksichtigung der einheimischen Verhältnisse zu prüfen und die Umsetzung dann unter den jeweils spezifischen Bedingen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vorzunehmen. Die auf internationaler Ebene gefassten Beschlüsse konnten die Landesgruppen zudem zur Legitimation eigener Forderungen in ihrem Heimatland nutzen. Die Landesgruppen bearbeiteten zudem landesspezifische Themen. Die jeweilige Kriminalpolitik und Gesetzgebung stand dabei im Vordergrund. | |||
Als Aufgabe stellte sich die IKV die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens und deren Ursachen sowie der Mittel ihrer Bekämpfung. Diese Dreiteilung der Aufgaben ist eher eine äußerliche. Die Arbeitsgebiete gingen mehrfach ineinander über und die zu bearbeitenden Themen wurden nicht unbedingt nach einer bestimmten Systematik, sondern eher nach dem Grad ihrer jeweiligen Aktualität ausgewählt. | |||
=== Erforschung des Verbrechens === | === Erforschung des Verbrechens === | ||
Unter diesem Aufgabengebiet subsumieren sich alle Forschungen, die sich nicht mit den Ursachen und Gegenmitteln beschäftigen, aber kriminalwissenschaftlicher Natur sind. | Unter diesem Aufgabengebiet subsumieren sich alle Forschungen, die sich nicht mit den Ursachen und Gegenmitteln beschäftigen, aber kriminalwissenschaftlicher Natur sind. Bearbeitetet wurden hier Themen wie Bereiche die Übertretungen, der Lustmord, die Psychologie der Zeugenaussage, die Ausbildung der Kriminalisten sowie die Ausbildung in den Hilfswissenschaften des Strafrechts. | ||
Der internationale Charakter der Vereinigung hat sich | Der internationale Charakter der Vereinigung hat sich im Bereich der Erforschung des Verbrechens besonders auf dem Gebiet der vergleichenden Strafrechtswissenschaft bewährt. Die Vereinigung schaffte es eine einheitliche Darstellung des Strafrechts fast aller Kulturländer der Erde zu geben. Sie veröffentlichte hierzu zwei Bände zum Thema „Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung“. Der erste Band bezog sich dabei auf das Strafrecht der Staaten Europas, der zweite Band auf das der außereuropäischen Staaten. Obwohl es genügend Material gab, erschien kein weiterer Band dieses Werkes. Nachträge zu dem Werk über die Entwicklung der Gesetzgebung im In- und Ausland und über kriminalpolitische Maßnahmen der einzelnen Staaten erfolgen dann durch Berichte in den Mitteilungen der IKV. | ||
Die Untersuchung des Einflusses der neuen Schule auf die Grundbegriffe des Strafrechts fallen auch in diesen Bereich. Aufgrund der zu unterschiedlichen Überzeugungen der Mitglieder der Vereinigung konnte sich lediglich auf einige Thesen geeinigt werden. Gemeinsame Forderungen, die auf eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Strafrechtsystems abzielten, konnten aufgrund des Schulengegensatzes und der unterschiedlichen Auffassungsweise der notwendigen Begrifflichkeiten im Namen der IKV nicht gestellt werden. | |||
=== Erforschung der Ursachen des Verbrechens === | === Erforschung der Ursachen des Verbrechens === | ||
In diesem Arbeitsgebiet kam es zur geringsten Betätigung der IKV. Im Interesse der Vereinigung standen hier die Themen Rückfall- und Kriminalstatistik sowie der Einfluss des Greisenalters auf die Kriminalität. | In diesem Arbeitsgebiet kam es zur geringsten Betätigung der IKV. Im Interesse der Vereinigung standen hier die Themen Rückfall- und Kriminalstatistik sowie der Einfluss des Greisenalters auf die Kriminalität. | ||
Das Thema einer einheitlichen und wissenschaftlich fundierten Rückfallstatistik wurde von der IKV am intensivsten und erfolgreichsten bearbeitet. Die Vereinigung deckte nicht nur die Grundfehler der üblichen statistischen Methode auf, sondern entwickelte auch eine neue Methode, für welche sie im Anschluss energisch Werbung machte. Durch die große Gründlichkeit bei der Bearbeitung dieser Frage leistete die Vereinigung Bedeutsames und hatte so verändernden Einfluss auf die deutsche Rückfallstatistik | |||
Den Wunsch nach einer international vergleichbaren Kriminalstatistik konnte sich die IKV aber nicht erfüllen. Das Vorhaben scheiterte u.a. an der Vergleichbarkeit der Länder. Zu unterschiedlich waren die Modalitäten bezüglich strafbarem Handeln. Das Vorhaben nun zumindest eine einheitliche nationale Kriminalstatistik zu erreichen, scheiterte ebenso. | Das Thema einer einheitlichen und wissenschaftlich fundierten Rückfallstatistik wurde von der IKV am intensivsten und erfolgreichsten bearbeitet. Die Vereinigung deckte nicht nur die Grundfehler der üblichen statistischen Methode auf, sondern entwickelte auch eine neue Methode, für welche sie im Anschluss energisch Werbung machte. Durch die große Gründlichkeit bei der Bearbeitung dieser Frage leistete die Vereinigung Bedeutsames und hatte so verändernden Einfluss nicht nur beispielsweise auf die deutsche Rückfallstatistik. | ||
Den Wunsch nach einer international vergleichbaren Kriminalstatistik konnte sich die IKV aber nicht erfüllen. Das Vorhaben scheiterte u.a. an der Vergleichbarkeit der Länder. Zu unterschiedlich waren die Modalitäten bezüglich strafbarem Handeln. Das Vorhaben nun zumindest eine einheitliche nationale Kriminalstatistik zu erreichen, scheiterte ebenso. | |||
=== Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel === | === Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel === | ||
Auf diese Aufgabe verwandte die Vereinigung den größten Zeitaufwand und Eifer. | Auf diese Aufgabe verwandte die Vereinigung den größten Zeitaufwand und Eifer. Sie beschränkte sich bei der Bearbeitung dieser Aufgabe nicht auf die Aufstellung eigener Reformforderungen, sondern untersuchte auch bereits durchgeführte Reformen auf deren Wirkungen und ihren Einfluss auf die Kriminalität. | ||
Gemeinsam konferierte Themen in diesem Bereich waren beispielsweise die Transportation, die Bettelei und Landstreicherei, das Internationale Verbrechen, die internationale Regelung über ein Auslieferungsverfahren, die Fürsorge für entlassene Häftlinge sowie die Rehabilitation und die verminderte Zurechnungsfähigkeit. | |||
In ähnliche Richtung ging eine These der Vereinigung, die später noch schlimme Ausmaße annehmen sollte. Bei dem Thema der Behandlung der Gemeingefährlichen wurde empfohlen, dass das Gesetz besondere Maßnahmen zum Schutze der sozialen Sicherheit gegen Delinquenten erlassen muss, die aus Gründen der Rückfälligkeit, des Erbguts oder der Lebensgewohnheiten gefährlich sind. Diesem Gedankengut bediente sich später die nationalsozialistische Propaganda und nutzte die Idee für ihre menschenverachtende Kriminalpolitik. | Zum Thema Rückfall trug die IKV mit einer neuen, präzisierten Klassifikation der Rückfälligen sowie mit einer Klärung der Begriffe Gemeingefährlichkeit und Rückfälligkeit sowie deren Abgrenzung zueinander bei. | ||
Dieses entwickelte sich im Laufe der Bearbeitung durch die IKV in Richtung der Frage des Schutzes der Gesellschaft. Hier waren u.a. Forderungen nach präventiven Sicherungsmaßnahmen ohne Gebundenheit an objektive Kriterien im Gespräch. In ähnliche Richtung ging eine These der Vereinigung, die später noch schlimme Ausmaße annehmen sollte. Bei dem Thema der Behandlung der Gemeingefährlichen wurde empfohlen, dass das Gesetz besondere Maßnahmen zum Schutze der sozialen Sicherheit gegen Delinquenten erlassen muss, die aus Gründen der Rückfälligkeit, des Erbguts oder der Lebensgewohnheiten gefährlich sind. Diesem Gedankengut bediente sich später die nationalsozialistische Propaganda und nutzte die Idee für ihre menschenverachtende Kriminalpolitik. | |||
Im Arbeitsbereich der Erforschung der zur Bekämpfung des Verbrechens geeigneten Mittel beschäftigte sich die Vereinigung zudem mit der Notwendigkeit beziehungsweise der Umgestaltung kurzzeitiger Freiheitsstrafen im Sinne einer Verschärfung sowie ihre Ersetzung durch andere Strafen, wie z.B. Geldstrafen oder Zwangsarbeit ohne Einsperrung. Weitere Themen waren die Reform der Geldstrafe, das unbestimmte Strafurteil, Strafprozessuale Aufgaben, Mädchenhandel und Jugendkriminalität. | |||
In vielen der genannten Gebiete hatte die IKV messbare Erfolge. Sie erarbeitete zahlreiche Entwürfe und Gegenvorschläge für die Reform der Gesetzgebung, veröffentlichte Fachliteratur und konnte Einfluss auf die Kriminalpolitik nehmen. | |||
Bei manchen Themen konnte die IKV keine Einigung und dadurch keine Festlegung auf Forderungen erreichen. Dies lag zumeist an den zu unterschiedlichen Standpunkten bei der Schulfrage und den gegensätzlichen Grundhaltungen. Aber auch eine teilweise zu große Unterschiedlichkeit der Gutachten und eine teilweise unorganisierte Arbeitsweise der Vereinigung führten zur Ergebnislosigkeit bei der Bearbeitung mancher Themen. | |||
In einer Gesamtbetrachtung hat die IKV als erste internationale Organisation auf dem Feld der Strafrechtspflege aber ihre selbstgesetzte Aufgabe, der wissenschaftlichen Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel seiner Bekämpfung, durchaus erfolgreich erfüllt. Sie hat als Forum für strafrechtswissenschaftliche Experten zur Kritik und Begutachtung der vorhandenen Kriminalpolitik ebenso gedient, als sie ihre Rolle als „sachverständiger Berater“ des Staates erfüllte. | |||
Noch kurz vor Ausbruch des Krieges, welcher die Arbeit der IKV enden ließ, feierte die Vereinigung ihr 25jähriges Bestehen und kündigte an, sich in Zukunft um Themen wie die Ausbildung der Juristen und Reformfragen des Prozessrechtes und des materiellen Rechtes zu bemühen. Zu der ebenso angekündigten stärkeren Berücksichtigung des soziologischen Standpunktes bei der gemeinsamen Bearbeitung der Themen sollte es aber aufgrund der gegebenen politischen Ereignisse nicht mehr kommen. | |||
== Literatur == | == Literatur == |
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