Vorverurteilung

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Pressefreiheit vs. Privatsphäre

Privatsphäre

"Die heutige Vorstellung einer Privatsphäre entstand mit dem Aufkommen des Bürgertums in der Neuzeit. Der Humanismus, Liberalismus, Anarchismus und die Idee der individuellen Menschenrechte stehen im Gegensatz zum Feudalismus, und später Kollektivismus, Faschismus und Kommunismus, die häufig im Namen des Gemeinwohls individuelle Freiheitsrechte zurückstellen, und mit Geheimpolizeien vor allem abweichende Meinungen in der Bevölkerung erforschen und verfolgen" Privatsphäre in: de.wikipedia.

Pressefreiheit

Massenmediale Veröffentlichungen haben aufgrund der Zugänglichmachung von Informationen für eine prinzipiell unbegrenzte Öffentlichkeit ein besonderes Gefährdungs- und Verletzungspotential in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte.

Abwägung

"Es ist schwierig eine effektive Strafverteidigung und einen konsequenten Schutz der Privat­sphäre zugleich zu erreichen. Meistens leidet das eine oder andere. Und die Strafverteidigung muss in solchen Fällen vorgehen" (Prinz).

Bei (potentiell) sensationellen Fällen ist es besonders schwierig, den Vorrang der Strafverteidigung durchzusetzen. Da sind die Juristen gefordert: Voltaire. Ethik und Professionalität der Juristen (Rechtsstaat vs. Demokratie: keine Abstimmung über Einführung von Folter etc.).

a. Öffentliches Interesse (= public watch dog) vs. Unterhaltung

Matthias Prinz (2011):

"Wenn die Presse in ihrer Funktion als "public watch dog" auftritt, also im öffentlichen Interes­se informiert oder Missstände anprangert, ist der Schutz der Pressefreiheit besonders wichtig. Wenn es nur um Unterhaltung geht, ist der Schutz des Einzelnen vor Eingriffen in seine Pri­vatsphäre wichtig. Man muss sich jeden Einzelfall genau ansehen und abwägen. Grundsätz­lich gilt, dass jeder Mensch ein Recht hat sein Privatleben unbeobachtet und in Ruhe zu füh­ren. Wenn die Medien ihn gegen seinen Willen ins Rampenlicht zerren und private Dinge of­fenbaren, ist das nach der Menschenrechtskonvention nur möglich, wenn ein berechtigtes öf­fentliches Interesse vorliegt."

Kann mein Lebensstil auch als nicht prominente Person dazu führen, dass ich vor Ge­richt anderes behandelt werde? Ja, im Einzelfall kann der Schutz geringer sein. Wenn sich z.B. jemand in der Politik beson­ders vehement gegen Abtreibung einsetzt, dann aber selbst abtreibt, könnte das unter Umstän­den entsprechende Berichterstattung rechtfertigen.


b. Ermittlungsverfahren vs. Hauptverhandlung

"In der Phase vor der Hauptverhandlung war das an­ders. Da war der Schutz von Herrn Kachelmann noch hö­her und die Berichterstattung teilwei­se rechtswidrig."

Fälle

Jörg Kachelmann und Andreas Türck

Winfried Hassemer erklärte, dass Kachelmann Unrecht geschehen sei, nicht zuletzt dadurch, dass die Staatsanwaltschaft offenbar ausgerechnet in der Phase, in der sich Kachelmann am wenigsten wehren konnte, Akten an die Presse reichte: "Dass Medien und eine schwache Staatsanwaltschaft auf diese Weise auf Kosten des Betroffenen kooperieren, kann nicht sein", sagte Hassemer. Gegen ein solches "Durchstechen" müsse entschiedener vorgegangen werden.

Christian Wulff

Jetzt, zwei Jahre nach seinem Rücktritt und angesichts seines Freispruchs, regt sich schlechtes Gewissen unter Journalisten. Am besten kommt in der selbstkritischen Rückschau noch der Boulevard weg. Mit ihren Recherchen über einen Privatkredit hatte „Bild“ die Affäre ins Rollen gebracht. Ein berechtigter Anfangsverdacht, sauber recherchiert, findet auch Aufdeckerlegende Hans Leyendecker von der „Süddeutschen“. Doch dann löste Wulffs Salamitaktik eine „Hatz“, einen „Skandalisierungsexzess“ aus, der „die Dimensionen verrutschen“ ließ. „Jeder wollte den größten Stein werfen.“
Ein ähnlich differenzierter Konsens zeichnet sich zur Rolle der Justiz ab: Die Staatsanwaltschaft musste den Vorwürfen aus den Medien nachgehen. Aber hätte sie nicht früher die Reißleine ziehen können, statt obsessiv zu ermitteln und sich in den einzigen gerichtsfesten Verdacht zu verbohren?
Denn offenbar besteht ein breites Missverständnis über das, was Medien zu tun haben. Es geht nicht darum, schwarze Schafe unter den Journalisten zu verteidigen, sondern soliden Journalismus.

Ulrich Hoeneß

Die Medien: Immer noch die vierte Gewalt im Staat oder spielen sie mittlerweile die erste Geige? ... Doch zahlen nicht alle – unabhängig vom Urteil – den gleichen hohen Preis? Ihre vermeintlichen Taten, ja ihr ganzes Leben samt Umfeld wird durch die Spalten der Presse und anderer Medien gezerrt – nicht immer ganz fair oder korrekt. Es gilt das Motto: Die Verurteilten treten ihre Strafe nicht im Gefängnis an, sondern in der Zeitung.
Andererseits: Ist dies nicht der Preis der Popularität? Wenn es ihnen gutgeht, stellen sich die Promis doch gerne in jedes Blitzlichtgewitter, warum also nicht auch, wenn es ihnen schlecht geht? Und trotz aller bei einigen vorzufindenden Larmoyanz gilt, wohl zu mindestens für B- und C-Promis, der Spruch “Besser eine schlechte Meldung als gar keine“. Auf einen anderen, bemerkenswerten Punkt weist Hans Mathias Kepplinger, diesmal Gast bei "Peter Hahne", in einem Beitrag für das „Journalistik Journal“ hin. Er betont darin, dass die massive Medienbeteiligung an Strafprozessen durchaus Einfluss nehmen kann auf den Verlauf der Verhandlungen und die Höhe der Strafe.

Staatsanwalt Anton Winkler


Zitate

Wir brauchen aber ein Verfahren, das die Vertraulichkeit von Informationen und vor allem das rechtsstaatliche Prinzip wahrt, das eine Vorverurteilung von Personen ausschließt. europarl.europa.eu

Bei einer derartigen derzeit stattfindenden oeffentlichen Vorverurteilung verliert die Unschuldsvermutung voellig ihre Bedeutung. meinlcapital.com ORF.at 2012

[...] staendige Verbreitung von unbelegten Informationen zu einer oeffentlichen Vorverurteilung fuer eine nicht begangene Straftat. meinlcapital.com

However, the Commission will, of course, do so in respect of the rule of law, which would not allow for conviction without due process or respecting the independence of the judicial authorities. europa.eu

Rechtsbehelfe

Gegen die besondere Art von Verletzungen der Persönlichkeitsrechte durch massenmediale Veröffentlichungen (Medienpersönlichkeitsrechtsverletzungen) stehen spezielle Rechtsbehelfe (sog. medienpersönlichkeitsrechtliche Rechtsbehelfe wie Ansprüche auf Gegendarstellung, Berichtigung, Geldentschädigung, Rückruf etc.) zur Verfügung. Nach Sarah Tacke (2009) stellt das Medienpersönlichkeitsrecht einen eigenen Rechtsbereich dar, der auch eine eigene Kodifizierung nahelegt (Tacke 2009: 2f.).

  • Feststellungsklage (Kostentragungspflicht des Medienunternehmers)
  • USA (Prinz 2011):

"Generell ist der Schutz so genannter „Public figures“ vor Ent­hül­lun­gen aus dem Privatleben geringer, das stimmt. Dafür ist der Schutz gegen unwahre Be­richt­er­stat­tung sehr viel größer, weil die Schadensersatzsummen viel höher sind als bei uns."

  • "Wie stoppt man Berichterstattung? Geht eine Meldung des Gerichts an die Redaktionen raus?

- Man kann die Medien vorab vor rechtswidriger Berichterstattung warnen. Wenn trotzdem be­richtet wird kann man einstweilige Verfügungen beantragen, die dann vom Gerichtsvollzieher zu­ge­stellt werden." (Prinz 2011)

  • Verliert man seinen Schutz, wenn man sich ständig in die Medien drängt?

Ja, und das halte ich auch für berechtigt. Themen und Fakten, die ich selbst in die Medien tra­ge, kann ich nicht am nächsten Tag wieder raus filtern. Wenn ich mich zu Johannes B. Kerner oder Reinhold Beckmann setze und über meine Eheprobleme berichte, kann ich nicht am nächs­ten Tag der BILD Zeitung verbieten, darüber zu schreiben. Dann ist der Schutz der Pri­vatsphäre durch eigenes Verschulden weg.

  • GB vs. D

In Deutschland hat man ein „Recht am gesprochenen Wort“, d.h. Tonbandmitschnitte dürf­ten nicht veröffentlicht werden. Hätte es bei uns einen Fall wie die heimlich mitge­schnittenen Telefonate von Charles und Camilla nicht gegeben? Doch, aber in Deutschland wär es strafbar.

Für wen? Für den der mitschneidet und für den der es veröffentlicht.

Der Journalist oder der Chefredakteur? Die Staatsanwaltschaft sucht die persönliche Verantwortlichkeit des Einzelnen, das können ei­ne Menge Leute sein. In einem Verlagshaus können mehrere in Betracht kommen.

…die dann welche Strafe zu erwarten haben? Bei Ersttätern eine Geld- oder Bewährungsstrafe. Das ist in § 201 des Strafgesetzbuches gere­gelt.

Fälle

Mit Verweis auf schwedische Prinzessin Madeleine von Frauenzeitschriften: (400.000)
Er gehe von einem langen Prozess aus, so Dresen zu SPIEGEL ONLINE, da nun endlich und zum ersten Mal jede einzelne Passage darauf überprüft werden müsse, ob sie die Persönlichkeitsrechte von Helmut Kohl "besonders schwerwiegend" verletze.

Kanzleien


Weblinks und Literatur

  • Prinz, Matthias & Butz Peters: Medienrecht – Die zivilrechtlichen Ansprüche; Beck Verlag, 1999

Siehe auch