Verfolgung von Journalisten in Mexiko

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Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder für Journalisten weltweit und belegt im Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen 2011/12 Rang 149 von 179 Staaten. Mexiko liegt somit nur einen Platz vor Afghanistan (150) bzw. drei Plätze vor dem Irak (152). [1] Die Bedrohung geht dabei zu einem großen Teil von den immer einflussreicher werdenden Drogenkartellen aus, deren Morde an unbequemen Medienschaffenden schon seit Jahren nicht mehr rechtlich geahndet werden. Dies führt zu zunehmender Einschüchterung und letztlich Selbstzensur der Medien. Journalisten wird von staatlicher Seite jedoch nicht nur adäquater Schutz verwehrt, teilweise werden sie auch aktiv durch die Polizei oder Behörden verfolgt, wenn sie Korruption oder Missstände aufzeigen.

Bedrohung durch Organisierte Kriminalität

Klassische Medien (Print, TV, Radio)

Radio und Fernsehen können als die wichtigsten Medien in Mexiko gesehen werden. Printmedien spielen auf dem mexikanischen Medienmarkt eher eine marginale Rolle. Der mexikanische Rundfunkmarkt wird von zwei großen Medienkonzernen (Televisa und TV Azteca) beherrscht, die gemeinsam 90 Prozent der kommerziellen Sendekonzessionen auf sich vereinigen und dabei einen Zuschaueranteil von über 95 Prozent im Fernsehen erreichen. Die Folgen dieser extremen Medienkonzentration werden von Journalisten kritisch betrachtet. So meint der Journalist Pedro Matías Arrazola in einem Gespräch: „Die meisten Mexikaner haben keine Ahnung, was im Land wirklich vor sich geht. Nach Gutdünken werden Nachrichten manipuliert oder ganz verschwiegen, um die Bürger im Ungewissen zu halten. Die Medien sind nicht vierte Gewalt, sondern die erste Gewalt.“[2] Televisa und Azteca spielten eine entscheidende Rolle im umstrittenen Präsidentschaftswahlkampf 2006. Eine Angst- und Schmutzkampagne gegen den linksliberalen Kandidaten Andrés Manuel López Obrador schreckte viele potentielle Wähler ab und so wurde der rechtskonservative Felipe Caldéron Präsident.

2006 rief Caldéron den Krieg gegen die Drogen aus und seitdem geraten Journalisten immer mehr zwischen die Fronten der Drogenkartelle und der staatlichen Organe. Es kann bereits von einem Versagen herkömmlicher Medien in Mexiko gesprochen werden. Die Regierung sieht die Hauptschuld für dieses Phänomen in der Drogenmafia und deren Gewalt gegen Journalisten. Diese Behauptung wird häufig unkritisch übernommen. Dabei stellten Untersuchungen von nicht-staatlichen Organisationen fest, dass Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit zu 65 Prozent von Funktionären des Staates, also Polizei und Militär, verübt werden. Medientätige sind immer mehr von staatlicher Gewalt betroffen. Wenn sie über Menschrechtsverletzungen der Armee und der Polizei oder schlimmer, über die Verstrickung der staatlichen Organe mit dem Drogenhandel berichten, werden sie in den Augen der Sicherheitskräfte Verbündete der Drogenmafia. Dadurch hat die Regierung die Möglichkeit unbequeme Journalisten einzuschüchtern und mundtot zu machen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht überraschend, dass keiner der Morde an Journalisten bis heute aufgeklärt wurde. Aus reinem Selbstschutz flüchten immer mehr Journalisten in die Selbstzensur oder ziehen es vor, ganz zu schweigen.[3]

Beispiele für Selbstzensur

  • Die Zeitung Vanguardia wendete sich 2010 an ihre Leserschaft und teilte dieser mit, dass die Gewalt in diesen chaotischen Zeiten auch in der Gemeinde verheerende Spuren hinterlassen habe. 35 Jahre habe die Zeitung versucht, ein Spiegelbild des täglichen Lebens zu sein. Die Redakteure fänden jedoch keine sicheren Bedingungen für freien und professionellen Journalismus mehr vor. Daher teilte die Redaktion mit, dass sie sich für das menschlich Wertvollste entschieden habe: das Leben. Es handelt sich um eine mehr oder weniger offene Kapitulation vor der Gewalt und eine Ankündigung, über bestimmte Themen nicht mehr zu berichten. Gleichzeitig forderte die Redaktion die Behörden auf ein Umfeld herzustellen, in dem auch kritischer Journalismus möglich ist.[4]
  • Im September 2010 wendete sich die Zeitung El Diario de Juárez in ihrem Leitartikel an die Drogenkartelle und forderte, die Gewalt gegen Journalisten des Blattes einzustellen, nachdem sie bereits zwei tote Reporter zu beklagen hatte. Die Journalisten fragten in ihrem Artikel offen: "Wir wollen, dass Sie uns erklären, was Sie von uns wollen - was wir veröffentlichen sollen und was wir nicht mehr veröffentlichen sollen"[5] Die Anweisungen, die von den Journalisten gefordert wurden, lenkten die Aufmerksamkeit auf die Vorgänge im Land und so wurde die Lage auch in der Bevölkerung wieder thematisiert.[6]
  • Im Juli 2012 ereignete sich ein Sprengstoffanschlag auf das Redaktionsgebäude der El Mañana in der Stadt Nuevo Laredo. Daraufhin beschloss die Redaktion, künftig nicht mehr über den Drogenkonflikt im Land und über die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Drogenkartellen und Sicherheitskräften zu berichten.[7]

Beispiele für die gefährliche Lage von Journalisten

Eine Untersuchung stellte fest, dass sich in einer Stichprobe mexikanischer Journalisten bei 68 % Symptome von Beklemmung im Umgang mit der Berichterstattung über den Drogenkrieg zeigten. 35 % litten unter einer Depression und bei 34 % konnte posttraumatischer Stress festgestellt werden. Posttraumatischer Stress ist eine der häufigsten Störungen im Zusammenhang mit Kriegszuständen. Die Zahlen mexikanischer Reporter liegen somit höher als die ihrer tschetschenischen, bosnischen und ruandischen Kollegen. [8]

  • Die Journalistin Ana Lilia Pérez arbeitet für die investigative Zeitschrift "Contralínea" ("Gegen den Strich") und hat in ihrer Arbeit in den letzten Jahren immer wieder Beziehungen zwischen Politikern und Drogenkartellen aufgedeckt. Doch ihre Veröffentlichungen führten dazu, dass sie ein Leben in Angst führen muss. Sie erhielt Morddrohungen, wurde tätlich angegriffen und abgehört. Zeitweise war die Journalistin nur mit kugelsicherer Weste und Leibwächtern unterwegs. Momentan (Juli 2012) hält sich Pérez in Hamburg auf, da sie auf Einladung der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte bis Juni 2013 in Deutschland verbrachte. Danach war sie Stipendiatin des PEN writers-in-exile.[9]
  • Der Journalist Jorge Luis Aguirre arbeitete bis 2008 bei fast allen Lokalzeitungen im Norden Mexikos. Er erhielt telefonisch Morddrohungen. Er selbst ging davon aus, dass die Drohungen vom Gouverneur initiiert wurden, da er über dessen Bestechlichkeit berichtet hatte. Er entschied sich dafür, mit seiner Frau in die USA zu fliehen. Aus El Paso, einer texanischen Grenzstadt, berichtete er dennoch in einem Online-Dienst weiter. 2010, zwei Jahre nach seiner Ankunft in den USA, erhielt der Journalist politisches Asyl. Damit war er der erste mexikanische Journalist dem politisches Asyl gewährt wurde.
  • Emilio Gutiérrez Soto bekam Morddrohungen, die vom Militär ausgingen. In seiner Arbeit bei verschiedenen Zeitungen berichtete er u.a. über Bestechungen und Erpressungen, die vom Militär verübt wurden. Nach der Berichterstattung wurde er von den Soldaten eingeschüchtert. Im Mai 2008 wurde sein Haus von maskierten Soldaten durchsucht, die einen Trümmerhaufen hinterließen. Im Juni floh der Journalist mit seinem 15-jährigen Sohn in die USA. Da er kein Visum für die USA besaß und Mexiko fluchtartig verließ, landete er im Gefängnis. Erst nach dem Amtsantritt von Barack Obama kam Soto aus dem Gefängnis und beantragte ebenfalls politisches Asyl.[10][11]

Entwicklung von Piratenradios

Während die herkömmlichen Medien ihre Aufgabe nur schwer bzw. gar nicht mehr erfüllen können, entstehen immer mehr alternative Informationsquellen, z.B. Radios ohne offizielle Sendelizenz. In Mexiko gibt es mittlerweile 150 bis 200 alternative Radios, die (da sie meist keine Lizenzen besitzen) Piratenradios genannt werden. Die Entstehung von Radio Zaachila ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Im Jahr 2006 begann im Bundesstaat Oaxaca Widerstand gegen das autoritäre und korrupte Regime des Gouverneurs Ulises Ruiz. Auch in der Kleinstadt Zaachila protestierten die Bewohner. Zusammengehalten wurde die Bewegung durch die Berichterstattung des besetzten Radios „Radio Universidad“, das aus der Hauptstadt sendete. Die Aktivisten in Zaachila gründeten in ihrer Gemeinde daraufhin ihren eigenen Sender. Obwohl der Aufstand Ende 2006 gewaltsam niedergeschlagen wurde, hat der Radiosender überlebt. Obwohl immer wieder Mitarbeiter von Radio Zaachila tätlich angegriffen wurden, der Sender durch Störsignale blockiert wurde und es zum gewaltsamen Abschalten der Radiostation durch die Polizei kam, führten die Aktivisten die Radiostation weiter. Dies verdeutlicht den Stellenwert und die Wichtigkeit freier Basismedien. Der Radiosender berichtete u.a. auch über ein umstrittenes Autobahnprojekt und alarmierte so rechtzeitig die Öffentlichkeit, die ihren Widerstand organisieren konnte, bevor die Regierung lokale Behörden und betroffene Gemeinden bestechen konnte. Jetzt liegt das Projekt bis auf weiteres auf Eis. Mit den Volks- oder Gemeinderadios nimmt sich die Gesellschaft ein Recht, das ihr zusteht: das Recht zu sprechen und auch untereinander frei zu kommunizieren.[12]

Social Media

Das Informationsvakuum, dass durch die Einschüchterung und Selbstzensur der herkömmlichen Massenmedien entstanden ist, wird zunehmend durch Social Media gefüllt. In vielen Städten herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände: Feuergefechte zwischen Militär und Drogenkartellen, Ausgangssperren, Straßenblockaden (narcobloqueos), Entführungen und drive-by shootings. Es besteht großer Informationsbedarf in der Bevölkerung - nicht zuletzt, da die persönliche Sicherheit betroffen ist. Da klassische Medien kaum mehr über den Drogenkrieg berichten, weichen viele auf anonyme, internetbasierte Dienste aus, um Informationen zu erhalten und zu teilen. In Internetforen werden Neuigkeiten ausgetauscht, über Twitter Kurzmeldungen innerhalb kürzester Zeit weiterverbreitet. Twitteraccounts, die auf Nachrichten über die Zustände auf den Straßen bzw. in bestimmten Städten spezialisiert sind, haben tausende Follower (z.B. @VerFollow für Veracruz, @MAGS_SP für Monterrey/San Pedro). Durch die Kennzeichnung mit bestimmten Stichworten (s.g. Hashtags) können Twitter-User Nachrichten in den Informationspool zu einem bestimmten Thema einspeisen. So werden etwa die Hashtags #carreteralaredo und #carreterareynosa (carretera = Autobahn) dazu benutzt, um nachkommende Autofahrer, die auf den entsprechenden Strecken unterwegs sind, über Gefahrensituationen (etwa Schießereien) zu informieren. Das Stichwort #verfollow wird verwendet, um sicherheitsrelevante Neuigkeiten über Veracruz zu kennzeichnen, #mtyfollow für Monterrey, #reynosafollow für Reynosa usw.[13]

Die Drogenkartelle scheinen sich durch diese Entwicklungen bedroht zu fühlen. Im September 2011 waren Benutzer der Flughafenautobahn von Nuevo Laredo mit dem Anblick zweier verstümmelter Leichen konfrontiert, die von einer Brücke über der Fahrbahn hingen.[14] Es handelte sich um zwei mutmaßliche Blogger, und eine Nachricht auf einem Plakat (narcomensaje) warnte die Nutzer bestimmter Webseiten, dass sie dasselbe Schicksal erwarte. Nur wenige Wochen später wurde eine weitere Bloggerin enthauptet aufgefunden, ihr Kopf auf einer Computertastatur platziert.[15] Sie hatte für eine Website namens Nuevo Laredo en Vivo gearbeitet, auf der sich die User über Sicherheitsthemen austauschen. Wie andere Seiten bietet auch Nuevo Laredo en Vivo ein "sistema de denuncia en linea", ein Onlineformular, mit dem anonym Anzeigen gestellt werden können. Rund einen Monat später wurde an der gleichen Stelle ein weiterer mutmaßlicher Social Media Nutzer enthauptet aufgefunden.[16]

Mit solchen Angriffen versuchen die Kartelle nicht nur gezielt einzelne Blogger auszuschalten, sondern vor allem Angst und Schrecken zu verbreiten, um dadurch eine Selbstzensur der Social Media Nutzer zu erreichen – ähnlich wie bei den herkömmlichen Massenmedien. Durch die Anonymität des Internets sind sie jedoch nicht so einfache Zielscheiben wie klassische Journalisten. Es gibt Anhaltspunkte, dass nicht alle Mordopfer tatsächlich aufgespürte Blogger waren (wie in den narcomensajes behauptet), sondern die Kartelle dies lediglich vorgeben, um ihre Macht zu demonstrieren und abzuschrecken.[17] Dennoch ist es laut einem Bericht von Stratfor wahrscheinlich, dass die Kartelle tatsächlich gezielt Computerspezialisten einsetzen, um Gegner im Netz zu jagen und ihre wahren Identitäten aufzudecken (narcohackers).[18]

Bedrohung durch den Staat

Die mexikanische Polizei gehört laut der Organisation Transparency International zu einer der korruptesten der Welt. Ein Ergebnis einer Studie des Ministeriums für öffentliche Sicherheit besagt, dass 70 % der Gemeindepolizisten lediglich die Grundschule absolviert haben. Außerdem beträgt das Grundeinkommen der Polizisten umgerechnet nur ca. 330 Euro. Das niedrige Einkommen macht die Polizisten empfänglich für Korruption und so verlangen sie fast gezwungenermaßen Schmiergelder, um ihre Familien versorgen zu können. So lassen sich viele Polizisten von Drogenkartellen engagieren und werden selbst Entführer, Erpresser oder Räuber. Die Bevölkerung hat daher kaum mehr Vertrauen in staatliche Institutionen.[19][20] Medienschaffende, die über Korruption, Umweltverschmutzung oder die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung berichten, werden oft zum Ziel von Polizei oder Militär. Ohnehin schon unter Druck durch die Organisierte Kriminalität, haben sie auch vonseiten des Staates Repressionen zu befürchten und geraten somit oft zwischen alle Fronten. Schätzungen von nicht-staatlichen Organisationen zufolge sind für mehr als die Hälfte der Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit Funktionäre des Staates verantwortlich.[21]

Einige der bekanntesten Fälle:

  • Internationale Aufmerksamkeit erregte der Tod des US-Dokumentarfilmers Brad Will im Oktober 2006. Er war in die Stadt Oaxaca gereist, um bei einem Lehrerstreik für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen Aufnahmen zu machen. Will und zwei Einheimische wurden durch Schüsse einer paramilitärischen Gruppe, die aufseiten der mexikanischen Regierung gegen die Protestierenden vorging, getötet.[22]
  • Sechs Journalisten verschiedener Zeitungen (José de Jesús Cortés, Arturo Pérez Alonso, Jesús Cruz, Alejandro Villafañe, Othon García und Esteban Marcial) wurden am 6. März 2012 in Santa Cruz Xoxocotlá im Bundesstaat Oaxaca von Polizeikräften misshandelt, wo sie über einen Polizeieinsatz gegen Dorfbewohner in einem Landstreit berichten wollten.[23]
  • Am 3. Februar 2012 wurde Joel Gonzáles, ein Reporter von El Diario in Ciudad Juarez, von Polizeibeamten angegriffen, verhaftet und mit dem Tode bedroht.[24] Er wollte über die willkürliche Durchsuchung und Verhaftung einer Autofahrerin in direkter Nähe des Redaktionsgebäudes berichten. Seine Verhaftung wurde mit Widerstand gegen die Staatsgewalt begründet, ein später aufgetauchtes Video einer Überwachungskamera von El Diario bewies, dass die Polizisten gelogen hatten. Es war der dritte Vorfall innerhalb nur einer einzigen Woche. Am 31. Januar war Raymundo Ruiz, ein Fotojournalist der Zeitschrift Proceso, von Polizisten angegriffen worden. Er fotografierte eine Polizeioperation, bei der drei Personen verhaftet wurden. Die Polizisten schlugen ihm so heftig ins Gesicht, dass er blutende Verletzungen an Mund und Nase davontrug. Am 29. Januar waren zwei Reporter, José Luis Gonzáles und Salvador Castro, unter vorgehaltenen Gewehren von der Polizei gezwungen worden, Fotos von ihrer Kamera zu löschen. Sie hatten Streifenpolizisten fotografiert, deren (Dienst-?) Nummern versteckt waren.
    Laut Roberto Delgado, dem Präsidenten der Journalistenvereinigung von Ciudad Juarez, gab es seit Mai 2011 15 Fälle von Gewalt und Amtsmissbrauch gegen Journalisten durch die kommunale Polizei.
  • Auch Social Media Nutzer geraten unter Druck. Internationales Aufsehen rief das harte Vorgehen der Justiz gegen die beiden so genannten "Twitter-Terroristen" bzw. "twitteroristas" Maria de Jesus Bravo Pagola und Gilberto Martinez Vera hervor, die im August 2011 falsche Twittermeldungen verbreitet hatten. Sie warnten in ihren Tweets, dass Drogengangs Schulen in Veracruz attackierten und Kinder entführten. Beide beteuerten später, die Gerüchte seien zu diesem Zeitpunkt schon im Umlauf gewesen und sie hätten die Nachricht lediglich ungeprüft weiterverbreitet.
    Als Reaktion auf die Meldungen brach eine öffentliche Panik aus, Eltern stürmten zu den Schulen ihrer Kinder, es gab etliche Verkehrsunfälle und Verkehrsbehinderungen aufgrund zurückgelassener Autos. Am nächsten Tag schickten viele Eltern ihre Kinder nicht zur Schule, und Gewerbetreibende beklagten massive Produktivitätseinbrüche aufgrund des Vorfalls. Die beiden Personen wurden verhaftet und wegen Terrorismus angeklagt, wofür ihnen bis zu 30 Jahre Haft drohten.
    Es kam daraufhin zu internationalen Protesten. Amnesty International warf der mexikanischen Regierung vor, das Recht auf Meinungsfreiheit zu verletzen, und dass der wirkliche Grund für die Panik schlicht die unerträglichen Zustände seien, die aufgrund des Drogenkrieges herrschten. Es fehle an vertrauenswürdigen Informationen, und die Leute versuchten einfach verzweifelt, sich solche zu beschaffen. Die Anklagen wurden schließlich wieder fallen gelassen, stattdessen wurde für entsprechende Fälle ein neuer Straftatbestand der "Störung der öffentlichen Ordnung" geschaffen.[25]
  • Im November 2011 kam es zur Verhaftung mehrerer Twitter-User im Zusammenhang mit dem tödlichen Helikopter-Absturz des mexikanischen Innenministers Francisco Blake Mora.
    Mario Flores Vargas (@MareoFlores) veröffentlichte mehrere sarkastische Tweets zu dem Vorfall, unter anderem "Secretario de Gobernación singing in the dead of night, take these broken wings and learn to fly…"[26], eine Anspielung auf den Beatles-Song "Blackbird". Er wurde daraufhin von Männern in fünf schwarzen, nicht gekennzeichneten Autos abgeführt. Angeblich wurde er während des folgenden Verhörs von der Außenwelt abgeschnitten, durfte keinen Anwalt hinzuziehen, und seinem Vater wurde verboten, ihn zu sehen.[27] Zwei ihm nahe stehende User wurden ebenfalls verhaftet, die sich in ihren Tweets kritisch über das Vorgehen der Polizei gegen Flores geäußert hatten.
  • Regina Martinez recherchierte jahrelang über Verstrickungen von Drogenkartellen und Behörden. Sie wurde im April 2012 in ihrem eigenen Haus gefoltert und erwürgt. Ihre Ermordung geschah einen Tag, nachdem ihr letzter Artikel über Komplizenschaft und Korruption in Behörden erschien. Der Direktor der Wochenzeitung Proceso, eine der letzten Zeitungen, die noch über die Drogenmafia, Korruption und lasche Polizeiermittlungen schreibt, bezweifelt, dass Regina Martinez von der Mafia ermordet wurde und glaubt eher daran, dass der Auftraggeber für den Mord in der regionalen Politik des Bundesstaates Veracruz zu finden wäre.[28]

Kritik der Straflosigkeit von Gewalt gegen Journalisten

Medienschaffende leben in Mexiko immer gefährlicher, seit die Gewalt im Zuge des Drogenkrieges eskaliert. Journalisten, die über die Kartelle und deren Partner in Politik, Wirtschaft, Polizei und Militär berichten, müssen damit rechnen, sich in Lebensgefahr zu begeben. Angaben der Nationalen Menschenrechtskommission sprechen davon, dass in den letzten zwölf Jahren 79 Journalisten gewaltsam zu Tode gekommen sind, weitere 14 sind verschwunden. Außerdem gab es seit 2009 26 Bombenanschläge und bewaffnete Angriffe auf Medienunternehmen.[29] Am 3. Mai 2012, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, wurden die sterblichen Überreste der Fotografen Guillermo Luna Varela, Gabriel Huge und Esteban Rodríguez in schwarzen Müllbeuteln in Veracruz entdeckt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen attestiert Mexiko eine Kultur der Gewalt gegen die Presse. 200 Medientätige nahmen die Todesfälle ihrer Kollegen und den Internationalen Tag der Pressefreiheit zum Anlass, ihren Unmut auf der Straße zu äußern. Mit einem Protestmarsch in Mexiko-Stadt forderten sie Aufklärung und machten die Regierung für den Tod der Journalisten mitverantwortlich. So kritisieren die Journalisten vor allem die Straffreiheit der Täter. In Mexiko liegt die Aufklärungsquote von Gewaltverbrechen bei zwei Prozent. Bei Reportern liegt die Aufklärungsquote sogar bei Null. Amnesty International fordert die Regierung auf, wirksame Ermittlungen und Schutz für die Familien der Opfer zu gewährleisten. Denn die Morde kamen nicht ohne Ankündigung: zwei der Toten standen bereits im vergangen Jahr (2011) auf der Todesliste des Organisierten Verbrechens. Der Staat unternahm gegen die Bedrohung jedoch nichts.[30]

Gesetz zum Schutz von Journalisten

Aufgrund der herrschenden Situation hat der mexikanische Kongress im April 2012 zwei Gesetze beschlossen, die den Schutz der Menschenrechte verbessern sollen. Eines der Gesetze soll für stärkeren Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten sorgen. Es schafft einen klaren rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden der Bundesstaaten, die wirksame Maßnahmen zum Schutz von gefährdeten Menschenrechtsaktivisten und Reportern installieren sollen. Das zweite Gesetz, das "Opfer-Gesetz" (Ley General de Víctimas) sieht die Verpflichtung staatlicher Stellen auf Bundes-, Bundesstaats- und Gemeindeebene vor, allen Opfern von Verbrechen Beistand, Unterstützung und Wiedergutmachung anzubieten. Das Recht der Betroffenen auf Schutz, Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Entschädigung soll gestärkt werden.[31] Konkret sieht das Gesetz die Schaffung einer staatlichen Stelle vor, die Opfer des organisierten Verbrechens und Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die durch die Sicherheitskräfte begangen wurden, in einer offiziellen Datenbank registriert. Die Betroffenen bzw. ihre Angehörigen sollen auch eine finanzielle Entschädigung erhalten.[32] Für die Wirksamkeit dieses Gesetzes wird laut Amnesty International entscheidend sein, dass staatliche Stellen ihre Verantwortung nicht auf einen Schutzmechanismus beschränken. Damit die Straflosigkeit für Bedrohungen, Angriffe und Morde an Journalisten sowie Menschrechtsverteidigern beendet werden, müssten konkrete Maßnahmen folgen. [33]
Wenige Wochen zuvor, im März 2012, war außerdem ein Zusatz zur mexikanischen Verfassung beschlossen worden, der Verbrechen gegen Journalisten als "Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit" zur Angelegenheit der Bundesbehörden macht. Den zuvor zuständigen lokalen Strafverfolgungsbehörden wird generell eine höhere Anfälligkeit für Korruption und Nachlässigkeit bei der Verfolgung von Gewalt gegen Medienschaffende zugeschrieben.[34]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Reporters Without Borders World Press Freedom Index 2011/12: http://www.rog.at/C_GENERAL_ANG.pdf
  2. http://www.medienheft.ch/de/nc/14/date/0000/00/00/mexiko-medienmacht-und-gewalt/select/blogs-web-20/article/8.html
  3. http://www.medienheft.ch/de/nc/14/date/0000/00/00/mexiko-medienmacht-und-gewalt/select/blogs-web-20/article/8.html
  4. http://www.vanguardia.com.mx/entresombras-589883-editorial.html
  5. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mexiko-zeitung-kapituliert-vor-drogenkartellen-a-718535.html
  6. http://www.epochtimes.de/kapitulation-mexikanischer-zeitung-vor-drogenkartellen-loest-landesweite-debatte-aus--620259.html
  7. http://derstandard.at/1341845141552/Mexikanische-Zeitung-stellt-Berichterstattung-ueber-Drogenkrieg-ein
  8. http://www.message-online.com/121/morales.html
  9. http://derstandard.at/1341845188272/Wir-erleben-in-Mexiko-eine-der-dunkelsten-Zeiten
  10. http://www.taz.de/!59258/
  11. http://www.cjfe.org/resources/protest_letters/mexican-journalist-emilio-guti%C3%A9rrez-soto-seeks-asylum-united-states
  12. http://www.medienheft.ch/de/nc/14/date/0000/00/00/mexiko-medienmacht-und-gewalt/select/blogs-web-20/article/8.html
  13. http://www.readwriteweb.com/archives/shouting_fire_in_a_crowded_hashtag_narcocensorship.php
  14. http://www.wired.com/dangerroom/2011/09/mexican-cartels-hang-disembowel-internet-snitches/
  15. http://www.borderlandbeat.com/2011/09/zetas-renew-attack-against-online.html
  16. http://www.borderlandbeat.com/2011/11/nuevo-laredo-man-tortured-and.html
  17. http://www.wired.com/dangerroom/2011/11/mexican-blogger-decapitated/
  18. http://www.stratfor.com/analysis/20111101-dispatch-implications-online-tactics-against-mexican-cartels
  19. http://bazonline.ch/panorama/vermischtes/Mexikanische-Polizisten-beim-Kidnappen-gefilmt/story/18025390
  20. http://www.das-parlament.de/2011/40-42/Beilage/001.html
  21. http://www.medienheft.ch/uploads/media/2010_BergerRoman_01.pdf
  22. http://friendsofbradwill.org
  23. http://www.unhcr.org/refworld/pdfid/4f645b332.pdf
  24. http://senderodefecal1.blogspot.de/2012/02/gorilas-de-la-policia-de-ciudad-juarez.html
  25. http://www.bbc.co.uk/news/world-latin-america-15010202
  26. http://uncut.indexoncensorship.org/2011/11/twitter-user-arrested-for-joking-about-helicopter-crash/
  27. http://sdpnoticias.com/nota/229875/Detienen_a_Mareo_Flores_por_bromear_en_Twitter_sobre_muerte_del_Secretario_de_Gobernacion.
  28. http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/medien_politik_wirtschaft/mexiko177.html
  29. http://www.taz.de/!92829/
  30. http://www.spiegel.de/politik/ausland/mexiko-journalisten-getoetet-im-drogenkrieg-a-831466.html
  31. http://www.amnesty.de/2012/5/2/mexiko-schutzmechanismus-fuer-menschenrechtsverteidiger-und-journalisten-muss-umgesetzt-wer
  32. http://www.bbc.co.uk/news/world-latin-america-17902965
  33. http://www.amnesty.de/2012/5/2/mexiko-schutzmechanismus-fuer-menschenrechtsverteidiger-und-journalisten-muss-umgesetzt-wer
  34. https://www.cpj.org/2012/03/mexican-senate-backs-federalizing-anti-press-crime.php