Völkerstrafgesetzbuch

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB; Bundesgesetzblatt I 2002, 2254) ist ein gegenüber dem Strafgesetzbuch und dem Gesetz über den Internationalen Strafgerichtshof eigenständiges Regelungswerk, das die Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht (inbesondere: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) durch die deutsche Justiz ermöglichen soll - und zwar ausdrücklich unabhängig von jedem personalen oder räumlichen Bezug zur Bundesrepublik Deutschland (§ 1 VStGB). Das heisst, dass der Generalbundesanwalt prinzipiell alle nach dem Inkrafttreten des VStGB am 30.06.2002 begangenen Straftaten gegen das Völkerrecht zu verfolgen hat, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde und weder die Täter noch die Opfer Deutsche sind.

Im Abschnitt über "Kriegsverbrechen gegen Personen" heisst es, dass "mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft" wird, wer "im Zusammenhang mit einem internatikonalen oder nichtinternationalen Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht geschützte Person tötet". Eine "Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren" erwartet, wer das Kriegsverbrechen des "Einsatzes verbotener Methoden" begeht, und das heißt, wer mit militärischen Mitteln vorsätzlich "einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht".

Die Vorschriften des (deutschen) Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB)

Das VStGB enthält folgende Strafvorschriften:

  • Völkermord, § 6 VStGB
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 VStGB
  • Kriegsverbrechen, §§ 8 - 12 VStGB

In Zusammenhang mit diesen Straftaten werden außerdem Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 13 VStGB) sowie Unterlassen der Meldung einer Straftat (§ 14 VStGB) durch einen militärischen oder zivilen Vorgesetzten bestraft.

Das Gesetz passt das deutsche materielle Strafrecht an die Regelungen des Rom-Statuts an und schafft damit die Voraussetzungen ihrer Verfolgung durch die deutsche Strafjustiz. Es schuf neue Strafbestimmungen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegs- und Bürgerkriegsverbrechen. Es überführt auch den Völkermordtatbestand aus dem deutschen Strafgesetzbuch (StGB) in das Völkerstrafgesetzbuch. Nach § 1 VStGB unterliegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dem Weltrechtsprinzip – d.h. die Strafbarkeit nach deutschem Recht erstreckt sich unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen sie begangen werden (erfasst sind also auch Auslandstaten zwischen ausländischen Staatsangehörigen).

Begleitregelung in der deutschen Strafprozessordnung (StPO)

§ 153 c Abs. 1 Satz 2: Bei Auslandstaten findet das Opportunitätsprinzip keine Anwendung; Verfolgungs-, Anklage- und Bestrafungspflichten der deutschen Polizei- und Justizbehörden bestehen grundsätzlich auch dann, wenn ein Völkerrechtsverbrechen im Ausland begangen worden ist (Legalitätsprinzip), aber es gilt der Grundsatz der Subsidiarität: Erst wenn die Strafverfolgung durch vorrangig zuständige Staaten oder einen internationalen Gerichtshof nicht gewährleistet wird oder nicht gewährleistet werden kann, greift die Auffangzuständigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden. Diese Abstufung rechtfertigt sich aus dem besonderen Interesse des Heimatstaates von Täter und Opfer an der Strafverfolgung sowie aus der regelmäßig größeren Nähe der vorrangig berufenen Gerichtsbarkeiten zu den Beweismitteln

Nach § 153 f StPO kann unter folgenden Voraussetzungen von einer Verfolgung abgesehen werden: Absatz 1: - Tat, die nach §§ 6 bis 14 VStGB strafbar ist und - Beschuldigter hält sich nicht im Inland auf und ein solcher Aufenthalt ist auch nicht zu erwarten; Absatz 2: - Tat weist keinen Bezug zum Inland auf (Nr. 1 und 2), - Tatverdächtiger hält sich nicht im Inland auf ein solcher Aufenthalt ist auch nicht zu erwarten (Nr. 3) und - Tat wird vor einem internationalen Gerichtshof oder durch den unmittelbar betroffenen Staat verfolgt (Nr. 4). Der Begriff der Verfolgung der Tat ist auf den Gesamtkomplex und nicht auf einen einzelnen Tatverdächtigen und seinen speziellen Tatbeitrag bezogen auszulegen. Abweichende Auffassung: rechtlich entscheidend ist ausschließlich, dass gegen den Beschuldigten kein Gerichtsverfahren eröffnet worden ist.

Bei Ausländern wird das Absehen von der Verfolgung unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2 und 4 aber auch zugelassen, wenn er sich zwar im Inland aufhält, jedoch seine Überstellung an einen internationalen Gerichtshof oder die Auslieferung an den verfolgenden Staat zulässig und tatsächlich beabsichtigt ist (Absatz 2 Satz 2). Dies muss erst recht gelten, wenn der verfolgende Staat uneingeschränkten Zugriff auf einen Tatverdächtigen hat, es mithin einer Auslieferung nicht bedarf. Entsprechendes gilt bei einem zu erwartenden zeitlich begrenzten Aufenthalt im Geltungsbereich des Völkerstrafgesetzbuches, wenn im bevorrechtigten Staat zu dem Gesamtkomplex Ermittlungen geführt werden. Auch in diesem Fall wären die Angezeigten nicht einer Strafverfolgung entzogen.

Implementierung

Für die Implementierung des VStGB ist die Bundesanwaltschaft (BAW) zuständig. Allerdings wurden der BAW keine zusätzlichen Personal- oder Sachmittel zugewiesen, um diese zusätzliche Aufgabe zu erfüllen. Stattdessen werden entsprechende Fälle von drei Mitarbeitern gleichsam nebenbei auch noch betreut. Während in Holland ein eigener "War Crimes Unit" mit 32 Mitarbeitern für derartige Delikte vorhanden ist, führte nicht zuletzt die Ressourcenknappheit in Deutschland dazu, dass in den Jahren 2002 bis 2007 nur in einem einzigen Fall ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen Bestimmungen des VStGB eingeleitet werden konnte. Der schwerer Menschenrechtsverstöße in verdächtige Ex-Innenminister von Usbekistan (Almatov) konnte z.B. unbehelligt ein- und ausreisen, obwohl die EU gegen ihn Reisebeschränkungen verhängt hatte. Die BAW erklärte, sie habe von seinem Aufenthalt erst nach seiner Ausreise überhaupt erfahren und leitete keine Ermittlungen ein. Wenig günstig wirkt es sich für die Implementierung auch aus, dass die BAW aus eigenem Ermessen von Verfolgung absehen kann. Die Grüne Partei verlangt daher eine Gesetzesänderung dahingehend, dass künftig ein Gericht einzuschalten sei, bevor die BAW von der Verfolgung absehen dürfe.

Verhältnis zum allgemeinen deutschen Strafrecht

Viel spricht dafür, dass es sich beim Völkerstrafgesetzbuch um ein Spezialgesetz handelt, das im Falle von Handlungen in bewaffneten Konflikten die Anwendung des StGB ausschließt: "Es regelt demnach abschließend alle Verbrechen, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten begangen werden" (Müller 2009). Die Bundesanwaltschaft würde den Fall abschließend bearbeiten. Andernfalls würde die BAW einen Fall zum Beispiel einstellen, dann aber die Akten an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft zurückschicken. Die würde prüfen, ob der jeweilige Soldat sich eines Tötungs-, Verletzungs- oder auch Umweltdelikts strafbar gemacht hat.

In der Begründung zum Völkerstrafgesetzbuch heißt es einerseits ausdrücklich, dass dieses "keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden." Andererseits sei aber zu beachten, "dass sie Vornahme völkerrechtlich zulässiger Kampfhandlungen, etwa die Tötung oder Verwundung gegnerischer Kombattanten im bewaffneten Konflikt, nach allgmeeinen Grundsätzen nicht strafbar ist" und deshalb auch nicht wegen Tötungsdelikten ermittelt werden könne. Dies gelte allerdings nur dann, wenn der Täter "die für ihn einschläigigen Regeln des völkerrechtlichen Kriegsführungsrechts eingehalten hat." Ein Beispiel aus der offiziellen Gesetzesbegründung: Wenn ein Pilot die vom Völkerrecht gebotenen Vorsichtsmaßnahmen nicht einhält und bei einem Angriff Zivilisten tötet, dann könne er sich nach deutschem Recht strafbar machen, "auch wenn das Völkerstrafrecht sein Verhalten nicht unter Strafe stellt". Die Frage ist natürlich, ob eine Kriegshandlung erlaubt sein kann, auch wenn sie fehlerhaft war - und ob sie, wenn sie völkerrechtlich erlaubt war, nach nationalem Recht strafbar sein kann.


Literatur

  • "Grüne: Völkerstraftäter besser verfolgen" In: FAZ, 19.11.2007: 4.
  • Müller, Reinhard (2009) Nach Kriegsrecht. Ein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein erscheint unwahrscheinlich. FAZ 19.11.09: 10.

Weblinks

  • Gesetzestext: http://bundesrecht.juris.de/vstgb/index.html
  • Fischer-Lescano, Andreas (2005) Rechtsrealität versus Realpolitik. Die Strafanzeige in Deutschland gegen Donald Rumsfeld wegen der Folterungen in Abu Ghraib. HSFK-Standpunkte. 1.2005: 1-12.

Erstellt auf der Grundlage von: http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerstrafgesetzbuch