Transsexuelle im Gefängnis

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Transsexuelle sind Menschen, welche die Geschlechtsmerkmale eines Geschlechts aufweisen, sich jedoch von der Zuordnung zu diesem Geschlecht zu lösen versuchen. In diesem weiten Sinne werden sie auch als Transgender bezeichnet. Transsexuelle im engeren Sinne streben eine operative Geschlechtsumwandlung an. Transsexualität in allen ihren Formen stellt eine Herausforderung für Vollzugsanstalten dar, die als „Männer“ bzw. „Frauenanstalten“ konzipiert sind.

Transsexualität

Transsexualität oder Transsexualismus ist nach herrschender medizinisch-psychiatrischer Definition „der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen“ (Internationale Definition der Krankheiten ICD-10, unter F 64). Menschen, die physisch weiblich sind, aber ein männliches Identitätsgeschlecht haben, werden als Frau-zu-Mann-Transsexuelle oder Transmänner bezeichnet; Menschen, die physisch männlich sind, aber ein weibliches Identitätsgeschlecht haben, bezeichnet man entsprechend als Mann-zu-Frau-Transsexuelle oder Transfrauen. Transsexuelle Menschen mit medizinischer oder juristischer Geschlechtsanpassung bezeichnen sich oft nicht mehr als transsexuell, sondern entweder als Mann mit transsexueller Vergangenheit bzw. als Frau mit transsexueller Vergangenheit oder einfach als Mann bzw. Frau. Diese Begriffsbestimmung liegt auch dem deutschen Transsexuellengesetz von 1980 zugrunde. Sie ist aber zunehmend umstritten, da sie die Komplexität menschlicher Identitätsbildung nicht zureichend erfasst, weshalb der Begriff „Transgender“ im Vordringen ist: „Damit ist Transsexualität in einem weiten Sinne gemeint, unabhängig von Namens- oder Personenstandsänderungen, hormonellen oder chirurgischen Massnahmen“ (Adamietz 2006, 371).

Transsexuellengesetz

Das Transsexuellengesetz von 1980 (in Kraft ab 1.1.1981) eröffnet die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen, den Vornamen ändern zu lassen (§§ 1 ff TSG: "kleine Lösung")). Nach einer geschlechtsverändernden Operation ("grosse Lösung") besteht darüber hinaus die Möglichkeit einer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit (§§ 8 ff TSG). Das Gesetz ist umstritten und vom Bundesverfassungsgericht teilweise für verfassungswidrig erklärt worden. In unserem Zusammenhang bedeutsam ist die Tatsache, dass das Gesetz Stadien eines Prozesses definiert und anerkennt, in dessen Rahmen sich Personen in ihrer sozialen Identität von einem Geschlecht zu einem anderen bewegen. Am Beispiel einer Transfrau, die eine lebenslange Freihheitsstrafe in einer Männeranstalt verbüßt, hat das BVerfG die Bedeutung der Namensänderung erläutert: Die Achtung vor der (in § 1 TSG) vorgesehenen Rollenentscheidung erfordere es, "eine Person nach Änderung ihres Namens ihrem neuen Rollenverständnis entsprechend anzureden und anzuschreiben" (BVerfG NJW 1997, 1632-34).

Strafvollzugsrecht

Das deutsche Strafvollzugsrecht unterscheidet nur zwischen "Männern" und "Frauen". Nach § 140 Abs. 2 StVollzG sind "Frauen" getrennt von "Männern" in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Dabei orientiert sich die einweisende Strafvollstreckungsbehörde am formalen Personenstand, ausgewiesen durch den Vornamen. Im Zweifel kann diese Geschlechtszuordnung im Rahmen des Aufnahmeverfahrens durch den Arzt anhand der primären Geschlechtsmerkmale überprüft werden. Damit ist dem Strafvollzugsrecht genüge getan. Die Möglichkeit eines Übergangs- und Schwebezustandes zwischen den Geschlechtern wird vom Gesetz nicht eingeräumt. In der Praxis ergeben sich deshalb vor allem bei Transfrauen typischerweise schwer lösbare Probleme, solange die angestrebte Operation und die amtliche Anerkennung der neuen Geschlechtszugehörigkeit nicht erfolgt sind. Probleme mit Transmännern im Strafvollzug sind dagegen kaum bekannt; ihre Unterbringung im Frauenvollzug entspricht dem Gesetz und führt dort auch kaum zu Auffälligkeiten.

Probleme der Vollzugspraxis

Es gibt zwar zahlreiche Veröffentlichungen über Transsexualität und andere Transgender-Phänomene, Veröffentlichungen über Transsexuelle im Strafvollzug sind aber bisher kaum bekannt. Transfrauen im Männervollzug sehen sich in ihrer weiblichen Identität durch die sie umgebenden Männer bestätigt. Zumeist wird ihnen jedoch die Aufrechterhaltung einer weiblichen Erscheinung in der Vollzugsanstalt durch Entzug der Hormonpräparate, durch Verbot des Tragens weiblicher Kleidung, durch die Verweigerung des Einkaufs von spezifisch weiblichen Kosmetika etc. unmöglich gemacht (vgl. dazu aber OLG Celle v. 9.2.2011 R&P 2011, 103-107). . Als Einzelgängerinnen in einer rein männlichen Umgebung sind sie auch kaum vor sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu schützen (siehe auch: Sexualität in Haft ; Gewalt in Haft). Zwar kann Transsexualität einen wichtigen Grund (i.S. von § 8 Abs. 1 StVollzG) für eine Verlegung in die Anstalt des angestrebten Geschlechtes darstellen, allerdings steht die Entscheidung darüber im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, welche "die jeweiligen Anstaltsverhältnisse und vollzugsorganisatorischen Gegebenheiten" berücksichtigen darf (LG Wiesbaden, Zeitschrift für Strafvollzug SH 1979, S. 88). Vereinzelte Versuche, Transfrauen, insbesondere wenn diese eine Namensänderung durchgesetzt haben, im Frauenvollzug unterzubringen, sind bisher an der fehlenden Rechtsgrundlage gescheitert (so KG NStZ 2003, 50-51; dazu jetzt ausführlich und kritisch Schammler 2008, 106-128). Die Unhaltbarkeit der Situation kann im Männer- wie im Frauenvollzug meist nur durch Feststellung der mangelnden Vollzugstauglichkeit (§ 455 StPO) oder durch Begnadigung gelöst werden.

Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung

In § 63 Satz 1 StVollzG heisst es, die Vollzugsbehörde, solle mit Zustimmung des/der Gefangenen "ärztliche Behandlung, namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchführen lassen, die seine soziale Eingliederung fördern". Diese Möglichkeit kann gerade auch von Transfrauen und Transmännern genutzt werden, welche die kleine Lösung des TSG § 1 hinter sich gebracht haben und nunmehr die grosse Lösung des TSG § 8 anstreben (OLG Karlsruhe NW 2001, 3422-3425). Der Anstaltsarzt wird hier sinnvoller Weise Kontakt mit Spezialisten aufnehmen müssen. Die Kosten müssen grundsätzlich vom Vollzug getragen werden, wenn die Operation als eine gesundheitliche Eingliederungsmaßnahme anerkannt wird. Eine Eigenbeteiligung an den Kosten kommt nur in Frage, wenn dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der betreffenden Gefangenen gerechtfertigt ist "und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird" (§ 63 Satz 2 StVollzG).

Fazit

Transsexuelle, aber auch andere Transgender-Identitäten sind im Strafvollzugsgesetz nicht vorgesehen. Ihre Existenz in Vollzugsinstitutionen ist jedoch nicht zu leugnen. Die dadurch entstehenden Probleme führen, vor allem im Falle von Transfrauen, zu erheblichen Irritationen. Vor der nötigen gesetzlichen Neuregelung (Vorschläge dazu bei Schammler 2008, 185-196) ist Aufklärung und behutsamer Umgang mit den Betroffenen erforderlich.

Literatur

  • Laura Adamietz Transgender ante portas? Anmerkungen zur fünften Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Transsexualität (Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvL 3/03). In: Kritische Justiz 2006
  • Schammler, Anja: Transsexualität im Strafvollzug. Die Störung der geschlechtlichen Identität von Strafgefangenen als strafvollzugsrechtliches Problem. Berlin: BWV 2008.

Link

OLG Celle zum Tragen von Frauenkleidung im Männervollzug