Thug (oder Thag) ist ein englisches (ursprünglich: indisches) Wort für einen Rowdy (Schläger) und wird auch in der HipHop-Szene als Selbstbezeichnung von Rappern benutzt. Ursprünglich meinte das Wort den Angehörigen eines Netzwerks von Geheimbünden in Nord- und Zentralindien, die sich der Göttin Kali verpflichtet fühlten und sich auf die perfekt organisierte Erdrosselung von Reisenden spezialisiert hatten. Dieses Netzwerk war die sog. Thuggee (oder ţagī, Hindi: ठग्गी). Die Ursprünge der Thuggee liegen im Dunkeln und werden gelegentlich im 13. Jahrhundert vermutet; gesicherte Aufzeichnungen existieren für einen Zeitraum von ca. 150 Jahren bis in die 1750er Jahre. In den 1870er Jahren galten die Thugs als besiegt und das Phänomen als verschwunden. In Filmen und Romanen geht es oft um angeblich im Verborgenen weiter existierende Thug-Gruppen.

Das Erfolgsgeheimnis der Thugs bestand darin, sich als Mitreisende in große Reisegruppen einzuschleichen, die lange Reisen vorhatten, das Vertrauen der Mitreisenden zu erwerben und dann eines Nachts dann jeweils zu zweit oder dritt ein Mitglied der Reisegruppe zu erdrosseln und seinen Leichnam in einem bereits vorbereiteten Grab verschwinden zu lassen. Die Fluss-Thags brachten ihre Opfer auf eigens ausgerüsteten Booten entlang des Ganges um und warfen die Toten in den Fluss. So galten die Opfer als mysteriös verschwunden, nicht aber unbedingt als ermordet.

Eine systematische Verfolgung der Thugs durch die englische Kolonialverwaltung ab 1835 und die Veränderung der Reisegewohnheiten ließen den alten Modus Operandi der Thugs immer inadäquater erscheinen und führten letztlich zur Aufgabe der Praxis.

Tradition und Institution

Ganze Familienstammbäume finden sich in den Gruppen der Thugs über die Jahrhunderte wieder. Allerdings war der Zugang zu den Thugs limitiert: es gab komplexe geheime Initiationsriten. Es handelte sich um eine geschlossene Gesellschaft.

 
Gruppe von Thugs (ca. 1894)

Die Praktiken

Thugs waren in ganz Indien aktiv, auch im Süden des Landes. Ihr Vorgehen erforderte Arbeitsteilung, Planung, Disziplin und eine Skrupellosigkeit.

Der Modus Operandi bestand darin, sich eine Karawane anzuschließen und von den Mitreisenden gutgläubig akzeptiert zu werden. Es konnte lange dauern, bis die Thugs das Vertrauen aller Mitreisenden gewonnen hatten. Erst dann suchte man einen passenden Rast- oder Übernachtungsplatz und den richtigen Moment, um die Mitreisenden zu erdrosseln und zu berauben. Die Kenntnis über die geeigneten Tötungsorte (sog. beles) gehörte zum Wissensvorrat der Geheimgesellschaften.

Die Methode des Erdrosselns hatte praktische Vorteile. Sie war schnell, unblutig und geräuscharm. Es hieß, bei einem geübten Erdrosseler seien die Opfer schon tot, ehe sie die Erde berührten. Auch erforderte sie keine auffälligen Waffen: normale Kleidungsstücke wie die in Indien traditionelle Leibbinde (kamarband, Kummerbund) waren gut geeignet. Üblich war es, dass zwei oder drei Thugs jeweils einen Reisenden erdrosselten - einer hielt die Hände, der andere die Füße, der dritte erdrosselte ihn - und sich dann des Leichnams durch Beerdigung (oder mittels eines Brunnens oder Flusses) entledigten. Wegen des Erdrosselns nannte man die Thugs auch Phansigars (hindi "Schlingenmacher") oder stranglers.

Der Tötungsakt erfolgte meist in der Nacht, während die anderen Thugs Musik oder andere Geräusche machten, um die Tötung nicht auffallen zu lassen.

Die Thugs vermieden es, in der Umgebung ihrer Wohnorte tätig zu werden, auch wenn dies reiche Beute versprach. Sie töteten zudem bevorzugt Reisende, die sich weit weg von ihren Heimatorten befanden - dies erfuhren sie durch geschicktes Ausfragen -, so dass die Nachricht von ihrem Verschwinden lange brauchen würde und die Wahrscheinlichkeit verringerte, dass man eine Expedition zur Aufklärung ihres Verschwindens losschickte.

Religion

Thuggee-Gruppen konnten Hindus, Sikhs oder Moslems sein, doch im allgemeinen verehrten sie alle religionsübergreifend die Hindu-Göttin Kali (oder Durga), die von ihnen als Bhavani bezeichnet wurde. Andererseits machten aber die Thugs nur einen winzigen Bruchteil aller Verehrer der Göttin Kali aus.

Rekrutierung

  • 1. Familientradition (Vater-Sohn)
  • 2. Aufnahmeersuchen (ähnlich wie Aufnahme in Eliteregiment, Burschenschaft ...)
  • 3. Adoption durch die Gruppe (Kinder von Opfern wurden in die Bande aufgenommen)
  • 4. Unterweisung durch einen Guru, Prüfung von Zuverlässigkeit, Mut, Disziplin und Aufnahmeritual

Umfang

Die Thugs praktizierten die Meuchelmorde mindestens 150 Jahre lang, möglicherweise aber auch über rund 500 Jahre. Die Zahl der Opfer wird auf mindestens 50.000 innerhalb der letzten 150 Jahre des Treibens der Thugs geschätzt (Mike Dash), während die Maximalschätzungen bei rund 2 Millionen Opfern liegen (Guinness Book of Records). Der Bandenführer und spätere Kronzeuge Behram gab die Beteiligung an 931 Tötungen an. Bis 1840 kam es zu 3.689 Festnahmen, von denen 466 zur Hinrichtung führten (13%), 1.564 zu lebenslanger Deportation (43%), 933 zu lebenslanger Haft (25%), 81 zu zeitlich befristeten Strafen (1%), 86 zu Freilassung unter Auflagen (2%). 97 Thags wurden als Kronzeugen freigesprochen (3%), 56 als Kronzeugen zugelassen (2%), 12 entkamen (0,3%), 208 starben vor ihrer Verhandlung in der Haft eines natürlichen Todes (6%). [1]

Bekämpfung

Verdienste um die erfolgreiche Bekämpfung erwarb sich der Kolonialbeamte William Henry Sleeman[2], Leiter des 'Thuggee and Dacoity Dept.' (1835). Voraussetzungen für den Erfolg waren

  • Kenntnis der einheimischen Sprache und Gebräuche
  • Aufdeckung der Arbeitsweise der Thugs
  • Informationsverbreitung über die jeweils neuesten Methoden der Thugs
  • Kronzeugenprogramm
  • Eine gut organisierte Thuggee-Abteilung der Polizei
  • Datensammlung und -auswertung über Tatorte, Tatenzeiten, Tatumstände.
  • Unschädlichmachung von Tausenden von Thugs durch Inhaftierung, Ausweisung oder Hinrichtung.

Illegale Mittel der Informationsbeschaffung, z.B. Folter, kamen niemals zum Einsatz, wie Sleeman gegenüber seinen Vorgesetzten und den Gerichten immer wieder betonte; sämtliche Polizeiverhöre hatten die Prüfung vor den herkömmlichen Gerichten und Berufungsinstanzen zu bestehen, wo die Fälle nach Vorlage der Akten und eigener Verhöre nochmals prüften und dann entschieden. Es gab keine Sondergerichtsbarkeit oder Sondergesetze gegen das Thag-Unwesen.

Sog. "weiche" Faktoren spielten für den Erfolg eine bedeutende Rolle:

  • gesetzliches, transparentes Vorgehen bei der Planung und Durchführung der Aktionen,
  • Akzeptanz bei der Bevölkerung und bei den Thags selbst
  • Vertrauensbildung durch Verlässlichkeit von Zusagen,
  • Einhalten des Instanzenweges,
  • Anwendung legaler Verhörmethoden,
  • psychologische Faktoren (die Thags waren durch den iqbal, den nachhaltigen "Erfolg" der Beamten, demotiviert)

In den 1870ern waren die Thugs ausgelöscht. Obwohl der im Zusammenhang mit der Thugs-Bekämpfung erlassene "Criminal Tribes Act of 1871" nach der indischen Unabhängigkeit außer Kraft gesetzt wurde, existiert das Konzept von "kriminellen Stämmen" und "kriminellen Kasten" auch heute noch. Das "Thuggee and Dacoity Department" wurde 1904 vom Central Criminal Intelligence Department abgelöst.

Zweifel

Martine van Woerkens (2002) hält die Thugs zu einem Gutteil für ein Produkt der kolonialen Imagination der Briten (The Strangled Traveler: Colonial Imaginings and the Thugs of India). Mike Dash (Thug: the true story of India's murderous cult) geht auf die konstruktivistische These von den Thugs als Erfindung der Briten ein, sieht sie aber durch empirische Belege als widerlegt an. Er selbst wiederum bezweifelt die religiöse Motivation der Thugs und sieht die Gründe für ihr Tun mehr in ihrer bitteren Armut. Allerdings räumt er die Existenz spezieller Rituale bei den Thugs ein.

Thugs in Romanen und Filmen

Romane

  • Philip Meadows Taylor (1839) Confessions of a Thug. Der Protagonist des Romans, Ameer Ali, gleicht dem wirklichen Thug Syeed Amir Ali.
  • John Masters, The Deceivers
  • George Bruce (1968) The Stranglers: The cult of Thuggee and its overthrow in British India
  • Dan Simmons (1985) Song of Kali
  • Mark Twain geht auf Thuggee in Kapiteln 9 und 10 von "Following the Equator: Volume II", 1897, THE ECCO PRESS, ISBN 0-88001-519-5, ein.
  • Arthur Conan Doyle geht in seinem Sherlock Holmes Roman "The Adventure of the Crooked Man" auf die Thuggee ein

und streift das Thema auch schon in seiner (Vor-Holmes-) Kurzgeschichte "The Mystery of Uncle Jeremy's Household" (1887)

  • In dem Roman "The Thirteenth Manifestation: the Song of Kali Ma" (2006) lässt Josephine Dunne Thugs von einem unterirdischen Kali-Tempel unter den Bergen zwischen Pakistan und Indien aus operieren.

Filme

  • 1939: Gunga Din
  • 1984: Indiana Jones and the Temple of Doom (.. und der Tempel des Todes).
  • 1956: Around the World in Eighty Days
  • 1959: The Stranglers of Bombay
  • 1968: Sangharsh (nach einer Geschichte von Mahasweta Devi)
  • 1988: The Deceivers
  • 1954: I Misteri della Giungla Nera (mit Lex Barker)

Literatur

    • William Henry Sleeman: Die Thags oder Phansigars von Indien. Geschichte von Aufstieg und Entwicklung einer außergewöhnlichen Mörderzunft. Mit den "Notizen über die Thags" von Captain P.A. Reynolds aus dem Jahr 1837. Vollstdge. Ausg. Aus d. Engl.übs. u. hg. von Thomas Kohl. Mainz : Gutenberg Buchhandlung 2009. - Dt.Übs. von William Henry Sleeman: The Thugs or Phansigars of India: Comprising a history of the rise and progress of that extraordinary fraternity of assassins; and a description of the system which it pursues, and of the measures which have been adopted by the Supreme Government of India for its suppression. Compiled from original and authentic documents published by Captain W. H. Sleeman, Superintendent of Thug Police. 2 Bde. in 1. Philadelphia : Carey & Hart 1839.
  • Dash, Mike Thug: the true story of India's murderous cult ISBN 1-86207-604-9, 2005
  • Dutta, Krishna (2005) The sacred slaughterers. Book review of Thug: the true story of India's murderous cult by Mike Dash. In the Independent (Published: 8 July 2005)text
  • Paton, James 'Collections on Thuggee and Dacoitee', British Library Add. Mss. 41300
  • Woerkens, Martine van The Strangled Traveler: Colonial Imaginings and the Thugs of India (2002),

Weblinks

  • Acting in the "Theatre of Anarchy": 'The Anti-Thug Campaign' and Elaborations of Colonial Rule in Early-Nineteenth Century India by Tom Lloyd (2006) in PDF file format
  • Parama Roy: Discovering India, Imagining Thuggee. In: idem, Indian Traffic. Identities in Question in Colonial and Postcolonial India. University of California Press 1998. (in html format)
  • http://www.thuggee-sleeman.de


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  1. Zahlen nach Tuker, S.88.
  2. http://de.wikipedia.org/wiki/Sleeman