Therapeutische Gemeinschaft


Das Modell der Therapeutischen Gemeinschaft ist ein Ansatz, der sich eignet, das soziale Miteinander von Behandlern und Klienten in vielen Bereichen im Hinblick auf die anvisierten Therapieziele zu optimieren, eine Implementierung in totalen Institutionen wie forensische Kliniken, Entziehungs- und Haftanstalten erscheint jedoch problematisch.



Therapeutische Gemeinschaft

Trotz erster Bestrebungen bereits zu Beginn des 19.Jahrhunderts, neue Formen der Einbeziehung von Patienten in den therapeutischen Prozess zu entwickeln, ist die eigentliche methodische Ausformung des Prinzips der Therapeutischen Gemeinschaft erst in den vierziger Jahren des 20.Jahrhunderts anzusiedeln. In der Folge haben Sozialtherapeutische Einrichtungen einige Prinzipien der Therapeutischen Gemeinschaft aufgegriffen und in ihre Arbeitsweise integriert.


Definition/Prinzipien der Therapeutischen Gemeinschaft

Das Modell der Therapeutischen Gemeinschaft wurde während des 2.Weltkrieges von Jones und Main in britischen psychiatrischen Krankenhäusern unabhängig voneinander entwickelt, wobei es vor allem um den Abbau hierarchischer Strukturen in Krankenhäusern ging. Ziel war eine Verbesserung der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen Personal und Patienten sowie eine stärkere Nutzung des Einfluss der Peergroup auf das Individuum.

In Anlehnung an psychoanalytische Vorstellungen fasste Main (1946) den Lebensrahmen einer Therapeutischen Gemeinschaft auf als Möglichkeit, über die damit gegebenen sozialen Anforderungen zu einer Stärkung der so genannten Ich-Funktionen zu kommen.

Nach Jones (1959) ging es bei der Therapeutischen Gemeinschaft darum, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen von Patienten und Personal bewusst für eine Intensivierung der Behandlung einzusetzen, indem vor allem der Patient nicht mehr nur passiv der Therapie unterworfen war, sondern aktiv den therapeutischen Prozess mitgestaltete.

Meszaros (1960) beschrieb die Therapeutische Gemeinschaft als einen sich selbst regulierenden sozialen Mechanismus, der dazu dient, ein korrigierendes soziales Klima zu installieren, das die Möglichkeit bietet, irrationale Befürchtungen aus früheren sozialen Bezügen neu zu erleben und abzubauen.

Auch Whiteley (1996) betonte im Hinblick auf seine Arbeit in der Henderson Klinik mit zuvor jahrelang in Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken oder Nachsorgeeinrichtungen zwangsweise Untergebrachten diesen Aspekt und hob als wesentliche Voraussetzung die freiwillige Teilnahme der Bewohner einer Therapeutischen Gemeinschaft hervor.

Letztlich gemeinsamer Grundgedanke der Konzepte Therapeutischer Gemeinschaften ist demzufolge, dass alle am therapeutischen Prozess Beteiligten bemüht sind, dazu beizutragen, dem Einzelnen möglichst ohne äußeren Zwang ein Höchstmaß an sozialer Erfahrung mit entsprechenden Lernmöglichkeiten zu eröffnen, um auf diese Weise das therapeutische Ziel zu erreichen bzw. ihm zumindest nahe zu kommen, wobei der jeweilige soziale Reifungsgrad der „Patienten“ einer Therapeutischen Gemeinschaft bestimmt, wie sich die Aufgaben in der Gruppe und die Verantwortlichkeiten für die Gruppe verteilen. Das Prinzip der Therapeutischen Gemeinschaft ist damit eine Grund- und Ausgangsposition, aus der sich je nach Orientierung eine Vielfalt therapeutischer Interventionsmöglichkeiten ergeben, die sich sowohl im Hinblick auf den Einzelnen als auch in Bezug auf die Gruppe äußerst variabel einsetzen lassen (Kayser, Krüger et.al. 1973).


Therapeutische Gemeinschaft in der Praxis

Die Therapeutische Gemeinschaft wurde zwar für den stationären/klinischen Bereich konzipiert, schloss aber mit ein, bei Patienten mit einer Vorgeschichte von Substanzmissbrauch, Prostitution und Kriminalität auch für den Abbau antisozialer Verhaltensweisen zu sorgen (Jones 1953), da einige kontrollierte Studien für einen positiven Einfluss der Therapeutischen Gemeinschaft auf das Ausmaß zukünftiger krimineller Verhaltensweisen sprachen. So ergaben z.B. Nachuntersuchungen, dass 40% der aus der Henderson Klinik Entlassenen ohne Rückfall und Wiedereinweisung in psychiatrische Kliniken blieben.

In der BRD entstanden aus den Selbsthilfegruppen zur Behandlung der Drogenabhängigkeit Anfang der 70iger Jahre des 20. Jahrhunderts ab Mitte der 70iger Jahre mit zunehmender Professionalisierung in diesem Bereich zahlreiche unterschiedliche Formen Therapeutischer Gemeinschaften, die teilweise innerklinisch, meist jedoch außerklinisch mit häufig pädagogischer oder psychosozialer Ausrichtung arbeiteten. Im Weiteren sind Therapeutische Gemeinschaften heute zu finden in den Bereichen Heilpädagogik, Behindertenarbeit und Jugendhilfe.

1968 wurden von Jones für die Gründung Therapeutischer Gemeinschaften in Haftanstalten 21 Prinzipien formuliert, welche sich sowohl auf Mitarbeiter als auf Inhaftierte gleichermaßen bezogen und die teilweise Abkehr von traditionellen Haftanstaltsregeln mit Übergabe von Verantwortung und Einflussmöglichkeiten an die Therapeutische Gemeinschaft forderten sowie einen gemeinschaftlichen vertrauten Umgang untereinander und weitestgehende Transparenz. Verschiedene Studien belegten, dass Therapeutische Gemeinschaften zu mehr Ordnung und Sicherheit sowie weniger Regelverstößen in Hafteinrichtungen beitrugen, wobei sich die Ergebnisse einiger speziell für Straftäter mit Alkohol- oder Drogenproblematik entwickelten Programme nicht unbedingt auf Täter ohne Substanzmissbrauch in der Vorgeschichte übertragen ließen. Offen blieb zudem, ob ein über Therapeutische Gemeinschaften im Gefängnissetting erreichbares prosoziales Verhalten auch zu einem Rückgang von Wiederholungsstraftaten nach Entlassung führte, was unter Bedingung eines Nachsorgeprogramms optimistischer gesehen wurde.

Eine Studie von Wexler über 1428 männliche Strafgefangene, die in therapeutische Gemeinschaften, Beratungsgespräche oder eine Milieutherapie einbezogen waren, ergab einen signifikanten Rückgang von Wiederholungsstraftaten aufgrund der Teilnahme an einer Therapeutischen Gemeinschaft (Kröber et al. S.398), wobei dieser positive Effekt bis zu einer Programmteilnahme von zwölf Monaten zunahm und danach stagnierte. Keine Ergebnisse wurden erfasst hinsichtlich der Reduktion des Suchtmittelkonsums bei Abhängigen und die Auswirkungen auf Psychopathie, was später durch Rice et al. (1992) und Harris et al. (1994) erfolgte, die in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis kamen, dass psychopathische Gefangene (gemäß der Definition von Hare) nach ihrer Teilnahme an einer Therapeutischen Gemeinschafte im Gegensatz zu nicht-psychopathischen Straftätern eine höhere Rate an Wiederholungsstraftaten aufwiesen.


Grenzen der Therapeutischen Gemeinschaft

Zusammenfassend stellt sich die Frage, ob und inwieweit letztlich die Prinzipien der Therapeutischen Gemeinschaft auf solch totale Institutionen wie Haftanstalten, Drogen- und forensische Kliniken übertragbar sind. Dies erscheint in Drogen- und forensischen Kliniken zumindest noch ansatzweise möglich, doch lassen die Rahmenbedingungen von Haftanstalten hier wohl eher keinen Spielraum und schon Jones selbst bezeichnete in diesem Zusammenhang seine Prinzipien als zu theoriegeleitet, prozessorientiert und idealisiert. In Haftanstalten wirken innere und äußere Zwänge wie feste Einschlusszeiten, hierarchische an Sicherheitskriterien orientierte Anordnungs- und Weisungsstrukturen und dahinter stehende von der öffentlichen Meinung mitgetragene Gesetzesvorgaben, die den Prinzipien einer Therapeutischen Gemeinschaft nachhaltig entgegenstehen. Aufgrund dieses offensichtlichen Widerspruchs dürfte es äußerst schwierig sein, mit den Betroffenen in dem durch eine Haftanstalt gegebenen künstlichen und minimalisierten Lebensraum angemessen im Sinne einer Therapeutischen Gemeinschaft zu arbeiten bzw. die notwendige Vertrauensbasis zu schaffen, um potentielle Teilnehmer zur Mitarbeit zu gewinnen. Es ist daher zu erwarten, dass unter den Bedingungen totaler Institutionen die Gruppenkohäsion nachhaltig beeinträchtigt wird, ähnlich wie bei Therapeutischen Gemeinschaften in ambulanten Settings, deren Mitarbeiter und Klienten nur zu bestimmten Zeiten einbezogen sind, was Behandlungsabbrüche begünstigt. Auf Seiten des involvierten Personals wäre zudem ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit Häftlingen und Patienten zu leisten, was flankierende Maßnahmen wie z.B. Schulungen, Supervision etc. in deutlich gesteigerter Intensität notwendig machen würde und unter den bislang gegebenen Voraussetzungen sicher wenig realisierbar erscheint.

Abschließend sollte noch eine Kritik an Therapien in Haftanstalten erwähnt werden, die zwar eine extreme Position darstellt, aber letztlich auch für eine mögliche Therapeutische Gemeinschaft im Gefängnissetting zu gelten hat. Eisenberg moniert eine „Therapeutisierung der Gefängnisse“ sowie eine damit einhergehende „Pathologisierung der Täter“, was aus seiner Sicht auf Seiten der Gefangenen Widerstände oder Unterwerfung, jedoch nur selten eine Korrektur der vorhergehenden Lebensausrichtung bewirkt.


Literatur

  • Eisenberg, Götz: Thesen zur Therapeutisierung des Gefängnisses und der Bedeutung von „zweckfreien“ Kultur-Projekten, unveröffentlichtes Manuskript
  • Etschmann, Ulrich: Zur Bedeutung des Alltags in der Therapeutischen Gemeinschaft. In: Rehabilitation Suchtkranker – mehr als nur Psychotherapie, Schriftenreihe des Fachverbandes Suchte e.V. Band 24, Geesthacht: Neuland 2001
  • Heckmann, Wolfgang: Selbsthilfe und therapeutische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, Jahrgang 10,1987 Nr. 3/4 Doppelnummer, S. 47-54
  • Kayser, H., Krüger, H. et al.: Gruppenarbeit in der Psychiatrie, Erfahrungen mit der therapeutischen Gemeinschaft, Georg Thieme Verlag (Stuttgart) 1973
  • Kröber, Hans-Ludwig, Dölling, Dieter, Leygraf, Norbert.(Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 3. Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie. Steinkopff Verlag (Heidelberg) 2006
  • Whiteley, J.Stuart, Innerer und äußerer Zwang in der therapeutischen Gemeinschaft, In: Recht und Psychiatrie, 1996, Band 14, Seiten 155-163
  • Woodward, Roland: Neues aus England: die therapeutische Gemeinschaft für Lebenslängliche im Gefängnis Gartree, In: Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe , 1996, 45/5, Seiten 303-305
  • Yablonsky, Lewis, Die Therapeutische Gemeinschaft, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1990


Weblinks