Systemtheorie und Terrorismus

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Der Systemtheoretiker Peter Fuchs (2004) sieht im Terrorismus kein primäres Subsystem der modernen Gesellschaft, wohl aber ein parasitäres, das die Inadressabilität der Gesellschaft ausnutzt, um sich zu profilieren und zu perpetuieren.

Terror als soziales System

Wie andere soziale Systeme auch, ist der Terrorismus eine vom Bewusstsein losgelöste kommunikative Verkettung; er ist also körperlos in dem Sinn, dass er sich auf seine Umwelt durch Kommunikation bezieht. Als System entsteht er durch Grenzziehung und Konstituierung einer Differenz von Innen und Außen; auch unterscheidet er sich von anderen Systemen und der Umwelt durch seinen eigenen Code, der sich von dem des Rechts (Recht/Unrecht), der Wirtschaft (Zahlung/Nichtzahlung), der Kunst (schön/hässlich) usw. unterscheidet. Als soziales System unterscheidet sich der Terrorismus von anderen sozialen Systemen durch seine spezifische Kommunikation. Mit Dirk Baecker ist Fuchs der Ansicht, dass Terror zunächst jegliche Kommunikation abbricht und sie genau damit fortsetzt.

So wird durch den Schrecken, die die Gewalttat Terror auslöst, Kommunikation abgebrochen, um dann über diesen Abbruch gesellschaftliche Kommunikation zu erzwingen. Im Umkehrschluss beutet dies, dass der Terror ohne die Reaktion, die er durch den Abbruch der Kommunikation herstellt, nicht existieren kann. Daraus folgt: ohne massenmediale Beobachtung wäre ein terroristisches Attentat keine Mitteilung und somit keine Kommunikation.

Funktion

Die Frage nach einer Funktion des Terrors ist schwer zu beantworten, da man, wenn man Terror als soziales System begreift, feststellen muss, dass soziale Systeme quasi funktionslos sind. Stattdessen stellt eine Funktion in der Systemtheorie die Problemkonstruktion eines Beobachters dar. D. h. ein Beobachter beobachtet ein soziales Phänomen und entwirft dazu eine spezifische Problemkonstruktion, um mögliche Lösungen für das Problem zu entwerfen. Anhand der Lösungen ist es dann möglich, das jeweilige Phänomen zu deuten.

Um die Funktion des Terrors zu bestimmen ist es also notwendig, das Problem mit anzugeben auf das sich die Funktion des Terrors beziehen lässt. Wenn es Teil der terroristischen Operation ist, Kommunikation abzubrechen, dann lässt sich die Logik des Abbruchs darin begründen, dass keine Kommunikation mit der Gesellschaft möglich ist. Auf der primären Ebene der gesellschaftlichen Differenzierung existiert nämlich kein Kommunikationspartner.

So adressiert die terroristische Gewalt jemanden, der nicht gemeint sein kann. So ist der Schrecken der terroristischen Gewalt namenlos: es handelt sich um ein blindes Zuschlagen, das unkontrollierbare Effekte in der Gesellschaft und in den Funktionssystemen auslöst.

Diesen Zusammenhang zwischen Inadressabilität der Funktionssysteme und Terrorismus bezeichnet Fuchs als die Funktion des Terrors.

Da weder die Gesellschaft noch die Funktionssysteme durch den Terror direkt erreicht werden können (weil sie nicht ansprechbar sind), entwickelt der Terror einen Umweg, der auf die physische und psychische Umwelt der Gesellschaft abzielt.

Code

Der binäre Code mit dem das System Terror operiert ist Schuld / Unschuld. Die Seite der Schuld, so Fuchs, wird markiert durch die Gesellschaft und ihre Differenzierung in Subsysteme, ohne direkten Ansprechpartner. Die Seite der Unschuld ist die Welt bestimmter Personen und Dinge. Diese quasi unschuldige Welt, so Fuchs, nimmt eine stellvertretende Rolle ein. Sie stellt die Projektionsfläche der Gegenseite für Schuld dar. Das System Terror attackiert die Schuld, in dem es die Gesellschaft angreift. Aber der Angriff geht ins Leere, da die Gesellschaft keinen bestimmten Adressaten hat. Somit trifft der Anschlag Unschuldige. So findet das System Terror niemals eine Bestätigung, es sei denn dadurch, dass die gesellschaftliche Kommunikation, inspiriert durch die Massenmedien, eskaliert.

Kontingenzformel

Um eine derartige kommunikative Eskalation der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, muss das System Terror seine Brutalität mit jedem Anschlag steigern. Fuchs führt an dieser Stelle den Begriff der Kontingenz ein, der besagt, dass etwas für einen Beobachter so, aber auch anders sein kann. Im Hinblick auf das System Terror wählt Fuchs den Begriff Gnadenlosigkeit als Kontingenzformel. Demnach darf das System Terror alles sein außer gnädig oder barmherzig.

Zusammenfassung

Zunächst ist es möglich, so Fuchs, dass Terror ein soziales System darstellt. So besitzt der Terror eine gesellschaftliche Funktion, einen binären Code ein Medium und eine Kontingenzformel.

Abschließend hält Fuchs seine Arbeitshypothese vom Terror als einem primären Subsystem der modernen Gesellschaft zwar für zu gewagt, hält es aber für gerechtfertigt, vom Terror als einem parasitären System zu sprechen, womit er meint, dass Terror die Inadressabilität der Gesellschaft ausnutzt, um sich anhand dieses Problems zu profilieren und zu perpetuieren.

Literatur

  • Fuchs, Peter: Das System Terror. Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne. Bielefeld, transcript Verlag, 2004
  • Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Band 1 und 2. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1998
  • Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie. 2. Auflage, Heidelberg, Carl-Auer-Systeme Verlag, 2004

Links