Sport im deutschen Jugendstrafvollzug

(Weitergeleitet von Sport im Gefängnis)

Obwohl schon der 1951 als Sportverein für Strafgefangene gegründete "SG Marienschloss" dem Sport eine Funktion im Rahmen der Resozialisierungsbemühungen zuwies, galt Sport im deutschen Jugendstrafvollzug noch lange Zeit als eine dem eigentlichen Strafzweck zuwiderlaufende unzulässige Belohnung, bzw. als eine besondere Vergünstigung. Noch heute gibt es - nicht zuletzt beim Anstaltspersonal - Vorbehalte der Art, dass Sport, der doch an sich etwas Schönes darstelle, dem noch Schuld- und Sühnegedanken widerspreche.


Nach der Verabschiedung der "Charta des Deutschen Sports" im Jahre 1966 verbreitete sich der Gedanke, dass Sport generell für die Integration randständiger gesellschaftliche Gruppen und speziell für die Resozialisierung von Straftätern nutzbar gemacht werden könne. Verstärkt wurde diese Tendenz 1972 durch die "Soziale Offensive des Sports", bei der unter dem Motto "Sport für alle" insbesondere von der Deutschen Sportjugend (innerhalb des Deutschen Sportbundes DSB) die gesellschaftspolitische Mitverantwortung für soziale Randgruppen betont wurde. Seither bildet der Bereich Sport im Jugendstrafvollzug einen Schwerpunkt der Arbeit der Deutschen Sportjugend (Tolksdorf 2006).

Ziele

Bei den unterschiedlichen kriminalpolitischen Konzepten der Parteien und der Umsetzung im Jugendstrafvollzug auf Landesebene lassen sich folgende wesentliche Ziele des Sports im Vollzug elaborieren:

1. Sport als Ausgleich

2. Sport als soziales Trainings- und Lernfeld

3. Sport als Hilfsmittel zur Wiedereingliederung

4. Sport als Diagnosemittel für die Vollzugsplanung

Wirkungsweisen

Sport kann im kompensatorischen Sinn physische und psychische Anforderungen im Jugendstrafvollzug erfüllen. Grundsätzlich gilt hierbei, dass in der modernen Sportwissenschaft der Mensch als eine Einheit aus Körper, Geist und Seele in Wechselwirkung zur Umwelt betrachtet wird. Dies deckt sich mit den neueren Erkenntnissen aus dem Bereich der Neurologie aus der Mitte der 1990er Jahre.

Für die sozialwissenschaftliche Praxis im Strafvollzug bedeutet dies, dass auch bei rein körperlichem Training der Inhaftierte als Ganzes angesprochen wird und sich somit Veränderungen bezüglich des allgemeinen Wohlbefindens ergeben.

Diese Erkenntnis hat sich jedoch noch nicht vollständig durchgesetzt, so dass immer noch zwischen physischen und psychischen Zielen unterschieden wird. Physisch wird insbesondere der präventive Gesundheitssport in den Bereichen Herz- Kreislauftraining, Rückenschule sowie zur Gewichtsreduktion betont, um die Folgen der Inhaftierung, die in diesem Fall in der Bewegungsarmut zu sehen sind, auszugleichen. Im psychischen Bereich kann Sport helfen, Aggressionen abzubauen, die Isolation der Inhaftierung zu durchbrechen, indem Kontakte zu Mithäftlingen aufgebaut werden, allgemein gesprochen können innere Spannungen reduziert werden.

Besondere Bedeutung erhält der Sport in der Adoleszenzphase, die von Verunsicherung, der Suche nach Identität sowie Aktivität und Erprobung geprägt wird.

Sport bietet gleichzeitig ein soziales Trainings- und Lernfeld. Im Sport gibt es eine Art Universalethik. D.h., dass z.B. Fußballspielen und Boxen die gleichen anerkannten Regeln bei Christen, Juden oder Muslimen überall auf der Welt haben. In diesem „Mikrokosmos“ kann demnach auch interkulturell die Einhaltung von Werten und Normen im sozialen Kontext zum Teil neu erlernt werden. Sportregeln sind überschaubar und direkt nachvollziehbar. So schützt die Wettkampfordnung beim Amateurboxen den Gegner ebenso, wie sie der eigenen Person Sicherheit gibt. Beim Sport im Jugendstrafvollzug können ebenfalls eigene Regeln aufgestellt und in der Praxis überprüft werden. Mit diesen Regeln, die sich auf das Verhalten bei Niederlagen oder Pünktlichkeit beim Training und ggf. daraus resultierender Sanktionen etc. beziehen können, kann sich der Jugendliche identifizieren, da er bei der Aufstellung selbst beteiligt war. Es sind evtl. Fortschritte bei der Akzeptanz von Werten und Normen vom Konkreten zum Abstrakten leichter möglich. Im Sport ist das Individuum auch bei Individualsportarten immer auf andere angewiesen, sei es nur darum, um sich mit ihnen im sportlichen Wettkampf zu messen. Der Inhaftierte kann die Erfahrung machen, dass er auf andere angewiesen ist und kann im „Schutzraum“ des Sports lernen, Teil einer Gruppe zu werden. Konflikte können unter den strengen Fairness-Regeln des Sports gelöst werden.

Besondere Möglichkeiten bietet die handlungsorientierte Methode der Erlebnispädagogik, die nach GRUPE und PROHL Sportwissenschaft zugeordnet wird. Durch erlebnispädagogische Maßnahmen können Menschen im Jugendstrafvollzug vor physische und psychische Herausforderungen gestellt werden. Insbesondere das Teamtraining bzw. das soziale Lernen steht hier im Vordergrund.

Sport kann weiterhin eine Möglichkeit zur Wiedereingliederung bieten. Dies setzt allerdings voraus, dass Außenkontakte, die durch Turniere usw. entstehen können, nicht der Tendenz zum Opfer fallen, härter zu bestrafen und Barrieren auf- statt abzubauen. Beispiele für Resozialisierungsbemühungen durch Sport finden sich u.a. bei der Jugendvollzugsanstalt in Siegburg oder in der Justizvollzugsanstalt Erlenhof in Euskirchen. Hier finden bspw. Projekte im Boxen und Fußball statt. So trainieren Sportler wie Nationalspieler Lukas Podolski, Box-Weltmeister Felix Sturm oder die Kickbox-Weltmeisterin Dr. Christine Theiss Inhaftierte im Boxen und Fußball.


Daneben trainieren Justizvollzugsbeamte gemeinsam mit jugendlichen Inhaftierten und Außenstehenden Amateurboxen oder es werden Inhaftierte zum Fußballschiedsrichter nach dem Motto vom „Regelbrecher zum Regelhüter“ ausgebildet.

Dadurch, dass in Mannschafts- und Kampfsportarten Entscheidungen spontan und daher ohne vorheriges Kalkül getroffen werden müssen, wird einerseits die Fähigkeit geschult, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, andererseits besteht die Möglichkeit für einen geschulten Trainer und Pädagogen, durch Beobachtung des Verhaltens des Inhaftierten bei diesen Sportarten, bei denen er sich nicht dauerhaft verstellen kann, eine Diagnose für die weitere Vollzugsplanung zu erstellen.

Organisation

In den unterschiedlichen Bundesländern haben sich diverse Organisationsstrukturen entwickelt. Auf der Grundlage der Initiative der Deutschen Sportjugend entstanden Zusammenschlüsse von Sportorganisationen und Justizverwaltungen in Form von Arbeitsgruppen. Im Oktober 2010 fand erstmals ein bundesweites Vernetzungstreffen der Sportlehrer im Jugendstrafvollzug in Frankfurt am Main statt. Die Sportlehrer stellen als Fachdienst eine Schnittstelle zu anderen Abteilungen dar.

Zwei Jahrzehnte koordinierte die Deutsche Sportjugend dieses Netzwerk im Jugendstrafvollzug. Heute richtet die Arbeitsgruppe Sport und Strafvollzug eine jährliche bundesweite Fachtagung aus.

Viele Jugendstrafanstalten verfügen über gute Sportanlagen mit entsprechender Ausstattung. Wo diese noch nicht existieren, werden bei der Planung von Umbaumaßnahmen Sporthallen meist berücksichtigt.

Die Personalsituation kann wie folgt dargestellt werden: Sportlehrer werden nicht überall eingestellt. Aus Kostengründen werden weniger qualifizierte Justizvollzugsangestellte zu Übungsleitern auf geringerem Niveau zusätzlich qualifiziert. Ferner ziehen einige Justizministerien externe Berater zur Planung und Durchführung sportpädagogischer Maßnahmen heran.

Probleme, offene Fragen

Ob Sport positive Auswirkungen auf das aktuelle und künftige Sozialverhalten von jugendlichen Straftätern hat, ist bisher nicht hinreichend erforscht worden. Allgemein gilt, dass die Art der Inszenierung des Sports, die institutionelle Einbindung, die Bezugspersonen, die Organisationskultur und die Sportart entscheidende Rahmenbedingungen bilden.

Soll Sport zu gezielten Verhaltens- und Einstellungsänderungen führen, müssen die Inhalte der sportlichen Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Inhaftierten abgestimmt werden, was sicherlich über den Kompetenzbereich der meisten Inhaber einer einfachen Trainerlizenz hinausgeht. Hier wird mehr erwartet als die reine Vermittlung sportlicher Techniken und Taktiken: Sozial- und sportpädagogische Kompetenzen sind die Grundlage für einen effektiven Einsatz des Sports im Jugendstrafvollzug.

In einigen Bundesländern werden Kampfsportarten wie z.B. Boxen abgelehnt, in anderen, wie weiter oben dargestellt, gezielt gefördert. Ob Kampfsport gerade gewaltbereiten Straftätern noch mehr „Handwerkszeug“ mit auf den Weg gibt oder auf der anderen Seite gerade Inhaftierten zu mehr Selbstdisziplin verhilft, ist stark umstritten. Die relativ junge Wissenschaftsdisziplin der Budopädagogik bemüht sich hier um entsprechende Forschungsergebnisse. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wird der Schwerpunkt im Jugendstrafvollzug auf den Gesundheitssport gelegt. Kraft- und Kampfsport werden abgelehnt, hingegen gibt es in Nordrhein-Westfalen Justizvollzugsbeamte, die mit Inhaftierten boxen und scheinbar gute Erfahrungen damit machen.

Insgesamt dürfte das 2008 bundesweit in Kraft getretene Jugendstrafvollzugsgesetz genügend Möglichkeiten des gezielten Einsatzes sportpädagogischer Maßnahmen im Vollzug durch Fachpersonal zu bieten. Bei entsprechend sorgfältigen Einzelfallanalysen wäre es dann auch nicht erforderlich, bestimmte Sportarten kategorisch für den Vollzug abzulehnen.


Literatur

Heckmair, B. / Michl, W. (1998) Erleben und Lernen. Einstieg in die Erlebnispädagogik. Verlag Luchterhand. Neuwied, Kriftel, Berlin.

Prohl, R. (2006) Grundriss der Sportpädagogik. Verlag Limpert. Wiebelsheim.

Sohn, Werner (2006) Manche haben nur Heimspiele: Erfahrungen mit sportlichen Aktivitäten in deutschen Justizvollzugsanstalten. Vorläufige Ergebnisse einer Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle.

Wolf, Norbert (1999) Sportpädagogik und Selbstkonzept im Strafvollzug. Pfaffenweiler: Centaurus.

Wolters, J.-M. et al. (2008) Budopädagogik. Kampf-Kunst in Erziehung, Therapie und Coaching.Verlag Ziel. Augsburg.

Webseiten

  • Tolksdorf, Klaus Jürgen (2006) Sport im Strafvollzug. [[1]]

http://www.express.de/regional/bonn/box-training-im-jugend-knast/-/2860/4764518/-/index.html

http://www.merkur-online.de/sport/mehr-sport/fotostrecke-kickbox-weltmeisterin-theiss-trainiert-knast-959475.html

http://www.dsj.de/cgi-bin/showcontent.asp?ThemaID=321

http://www.dsj.de/downloads/Publikationen/2010/dsj_jugendstrafvollzug_20100929.pdf