Tabakverbot: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
8.070 Bytes hinzugefügt ,  14:20, 11. Apr. 2019
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 2: Zeile 2:


== Osmanisches Reich ==
== Osmanisches Reich ==
Am 2. September 1633 brach im Istanbuler Stadtteil Cibali ein Brand aus, der womöglich durch den Funkenflug eines Tabakrauchers verursacht worden war und ein Fünftel aller Häuser der Stadt, die zum größten Teil aus Holz waren, vernichtete.
Der junge Sultan Murad IV., der gerade noch dabei war, sich durch despotisches Durchgreifen als fähiger Alleinherrscher zu etablieren und sich seinen späteren Beinamen („der Grausame“) zu verdienen, nutzte die Krise nach dem Brand zur weiteren Stärkung der Staatsautorität.
Unter dem Einfluss seines streng fundamentalistischen (salafistischen) Beraters Kadızade Mehmed Efendi begnügte er sich nicht mit der gebetsmühlenhaften Wiederholung früherer Rauchverbote, die schon 1609, 1610, 1614 und 1618 keine nachhaltige Wirkung gezeitigt hatten, sondern tat alles, um endlich Resultate zu sehen. Dass diese überaus konservative Strömung sich auch vehement gegen Musik und Tanz der Derwische sowie den Genuss von Alkohol und Kaffee wandte, erlaubte dem Sultan auch Razzien gegen Tavernen und Kaffeehäuser, von denen er annahm, dass sie als Gesprächs-Orte für Opfer der Brandkatastrophe und andere Unzufriedene zugleich einen Hort potentieller Opposition darstellten. Sein Hauptaugenmerk aber galt dem Tabak.
Er führte die Todesstrafe für Handel, Besitz und Konsum von Tabak ein und schritt auch selbst zur Tat. In gewöhnliche Strassenkleidung gehüllt fahndete er in den entsprechenden Stadtvierteln des nachts nach Personen, die ihm entweder Tabak anboten oder selbst rauchten. Dann gab er sich zu erkennen und schlug den Betroffenen an Ort und Stelle den Kopf ab. Das machte ihm keinerlei Schwierigkeiten, da er nach übereinstimmenden Berichten bärenstark war und ständig weiter trainierte.
Sein religiöser Berater bestand auch darauf, Tavernen und Kaffeehäuser zu schließen oder am besten ganz zu zerstören. Dem Sultan war das nur recht, vermutete er an diesen Orten doch noch am ehesten die Artikulation von Unzufriedenheit und Aufsässigkeit.
Die Anti-Drogen-Kampagnen waren vielleicht nicht die wichtigsten des Sultans. Wichtiger waren ihm die wahren Kriege. Und doch ließ er die Tabakfrage zu keinem Zeitpunkt aus den Augen – auch nicht während seiner Feldzüge. Im persischen Krieg von 1638 versäumte er es nicht, 20 Janitscharen hinrichten zu lassen, nachdem man bei ihnen Tabak gefunden hatte. 
Mit dieser Haltung handelte er ganz im Sinne der Lehre seines Beraters, die so große Kreise ziehen sollte, dass sich bald eine ganze Bewegung bildete, die man nach dem Namen ihres Gründers als die Kadizade bezeichnete und sich außer durch die Bekämpfung von Tabak, Kaffee und Alkohol auch durch ihre Todfeindschaft gegenüber dem mystisch-spirituellen Sufismus auszeichnete, dessen Musik und Derwischtänze ihr ein besonderer Dorn im Auge war.
Nach dem Tod Murads IV. gewann die Kadizade immer mehr an Einfluss und Machtbewusstsein, begann dann aber aufgrund ihres immer selbstherrlicheren Agierens selbst als Bedrohung wahrgenommen zu werden und staatliche Unterstützung zu verlieren.
Zur Zeit dieser Krise ihres Einflusses wagte ein Schüler Mehmed Efendis, den Eifer der Kadizade mit einem Appell an die Vernunt zu bremsen. Im fünften Kapitel seines Hauptwerks über Die Waage der Wahrheit (1656) klassifizierte der Gelehrte Katip Çelebi den Tabak unter kanonischen Gesichtspunkten als mekruh – also unrein, aber nicht sündig. Auch erklärte er, dass der Rauch des Tabaks gar nicht unangenehm sei, wenngleich man dasselbe nicht vom Geschmack sagen könne, den er im Mund des Rauchers hinterlasse. Ein völliges Verbot des Rauchens sei nicht klug, weil es kaum durchgesetzt werden könne und den Nachteil habe, das Rauchen von der Öffentlichkeit in das Innere der Häuser zu verdrängen, wodurch die Brandgefahr sogar noch erhöht werde. Deshalb sei es das Beste, die Frage des Rauchens oder Nichtrauchens jedem Einzelnen zu überlassen. 
Nach dem Großen Brand von 1660, der die Stadt Istanbul diesmal sogar zu zwei Dritteln zerstörte, schlug das Pendel noch einmal in Richtung einer strikten Prohibition zurück. Unter dem Einfluss des Predigers Vâni Mehmed Efendi sah man die neuerliche Katastrophe zunehmend als Zeichen göttlichen Zorns. Dass unverhältnismäßig viele Synagogen und Kirchen abgebrannt waren, wurde als Aufforderung interpretiert, deren Wiederaufbau zu verbieten und sich künftig wieder strenger an die Worte des Propheten zu halten. Das bedeutete Kampf gegen Sufis, deren Grabmäler man schändete und deren Hauptvertreter man verjagte oder hinrichtete, aber auch eine stärkere Abgrenzung gegen Juden und Christen und ein Wiederaufflammen der radikalen Bekämpfung von Tabak und Kaffee.
Die Episode des Tabakverbots durch die fundamentalistische Kadizade und die von ihnen beeinflussten Herrscher ging mit dem Tod des Predigers Vâni 1685 zu Ende. Schon drei Jahre später wurde Tabakrauchen durch die Einführung einer Besteuerung faktisch legalisiert.
   


:The first Ottoman firman (decree) against the use of tobacco appeared in 1609, showing that smoking it had spread from the larger cities into surrounding towns and villages. According to research conducted by Dr. Fehmi Yılmaz, the reason given for issuing the firman was the amount of time it took to smoke tobacco that kept men from working as well as it causing illness and raising the number of deaths. Moreover the city’s buildings were constructed of wood for the most part and fires frequently broke out. The fire of 1633 was specifically blamed on tobacco. Other firmans followed in 1610, 1614 and 1618, demonstrating that smoking tobacco could not be stamped out. Cultivating the tobacco leaf also spread because it was more profitable to sell it than some more traditional crops, thus upsetting the established food chain.
:The first Ottoman firman (decree) against the use of tobacco appeared in 1609, showing that smoking it had spread from the larger cities into surrounding towns and villages. According to research conducted by Dr. Fehmi Yılmaz, the reason given for issuing the firman was the amount of time it took to smoke tobacco that kept men from working as well as it causing illness and raising the number of deaths. Moreover the city’s buildings were constructed of wood for the most part and fires frequently broke out. The fire of 1633 was specifically blamed on tobacco. Other firmans followed in 1610, 1614 and 1618, demonstrating that smoking tobacco could not be stamped out. Cultivating the tobacco leaf also spread because it was more profitable to sell it than some more traditional crops, thus upsetting the established food chain.
Zeile 10: Zeile 28:
   
   
== Zaristisches Russland ==
== Zaristisches Russland ==
Aus dem Russland zur Zeit des Moskauer Reichs (1547-1721) ist vor allem die Strafe des Aufschlitzens der Nasenflügel sowie das Nase-Abschneidens für mehrfachauffällige Konsumenten von Schnupftabak überliefert. Die Vorschrift, die so Gezeichneten „nach den Torturen und der Bestrafung“ des Landes zu verweisen, „damit Andere lernen, es nicht zu tun“, machte die Tabak-Kriminellen zu lebenden Instrumenten der Abschreckung.
Dreierlei kam im Falle der russischen Tabak-Prohibition zusammen: erstens musste Tabak importiert werden und galt als wirtschaftlicher Verlustbringer, zweitens sah die Kirche darin eine womöglich von feindlichen Kräften gesteuerte Untergrabung von Anstand und Glauben, und drittens galt das Rauchen spätestens seit einer Feuersbrunst in Jaroslawl im Jahre 1609 als Quelle von Bränden und Unglücken aller Art.
Als sich die Gewohnheit immer weiter ausbreitete und schließlich im Februar 1627 ein Hilferuf aus Sibirien eintraf, in dem der Gouverneur die Überschuldung vieler Soldaten wegen ihres Tabak-Konsums beklagte, erließ Zar Michael I. umgehend das erste Tabakverbot, das vor allem ausländischen Händlern die Ausweisung androhte. Als sich das als nicht genügend erwies, kam es 1633-34 zu einer deutlichen Verschärfung. Zwar scheint die nunmehr angedrohte Todesstrafe nicht angewandt worden zu sein, doch existiert eine Vielzahl von Belegen für öffentliche Folterungen und Auspeitschungen. Die orthodoxe Kirche vermutete im Tabak-Import sogar eine teuflische List. Das Gesetzbuch von Zar Alexej Michailowitsch aus dem Jahr 1649 sollte dann nicht weniger als 11 Artikel zum Tabak enthalten. Die Bestimmungen begannen mit dem Hinweis auf die Weitergeltung der Todesstrafe gegenüber Ausländern und Einheimischen für Handel und Besitz von Tabak. Konsumenten sollten bei der ersten und zweiten Rückfälligkeit „viele Male gefoltert“ und öffentlich ausgepeitscht werden. Wer aber darüber hinaus noch weiter ertappt werde, der solle die erwähnte Strafe des Nase-Aufschlitzens, bzw. -Abschneidens erleiden und derart verstümmelt ausgewiesen werden, „damit andere lernen, es ihnen nicht nachzutun“.
Zar Peter der Große leitete eine allgemeine Wende hin zum Westen ein und benutzte als Symbol für seinen Bruch mit der russischen Tradition auch den Tabak. Er selbst wurde Pfeifenraucher und erlaubte einem ersten Händler den Verkauf von Tabak ab 1. Dezember 1696. 1698 kam es nach Verhandlungen mit William III. in Utrecht zu einem Vertrag, der acht englischen Händlern den Import einer bestimmten Menge Tabaks ab 1699 erlaubte. Die orthodoxe Kirche hatte weiterhin größte moralische Vorbehalte gegen das Rauchen – und nun auch gegen diesen Zar – und setzte ihre Kampagnen noch längere Zeit fort, ohne aber ein erneutes Tabakverbot erreichen zu können.
Während die Abwehrfront gegenüber der neuen Droge in den meisten Staaten nicht länger als ein oder zwei Jahrzehnte hielt, verharrte das Moskauer Reich immerhin von 1627 bis 1696 im Modus der Prohibition. Immerhin nahezu rekordverdächtige sieben Jahrzehnte.
*Matthew P. Romaniello & Tricia Starks, eds. (2009) Tobacco in Russian History and Culture: The Seventeenth Century to the Present. New York, London: Routledge, Taylor & Francis.
*Matthew P. Romaniello & Tricia Starks, eds. (2009) Tobacco in Russian History and Culture: The Seventeenth Century to the Present. New York, London: Routledge, Taylor & Francis.
*Matthew P. Romaniello, Muscovy's Extraordinary Ban on Tobacco, in: Romaniello & Starks 2009, 9-25.
*Matthew P. Romaniello, Muscovy's Extraordinary Ban on Tobacco, in: Romaniello & Starks 2009, 9-25.
31.738

Bearbeitungen

Navigationsmenü