Kriminalprognose: Unterschied zwischen den Versionen

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731 Bytes hinzugefügt ,  00:59, 13. Feb. 2008
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Manche Verfahren mit rückfallprognostischen Aspekten - wie etwa das Level of Service Inventory (LSI-R) oder das Youth Level of Service/Case Management Inventory (YLS/CMI) - dienen eher der Diagnose der Behandlungsbedürfnisse und dem Risikomanagement. Hier geht es weniger darum, die Rückfallwahrscheinlichkeit einzuschätzen, als darum, Bedingungen so zu verändern, dass es möglich wird, den Rückfall zu vermeiden.
Manche Verfahren mit rückfallprognostischen Aspekten - wie etwa das Level of Service Inventory (LSI-R) oder das Youth Level of Service/Case Management Inventory (YLS/CMI) - dienen eher der Diagnose der Behandlungsbedürfnisse und dem Risikomanagement. Hier geht es weniger darum, die Rückfallwahrscheinlichkeit einzuschätzen, als darum, Bedingungen so zu verändern, dass es möglich wird, den Rückfall zu vermeiden.


(4) Zuverlässigkeit von Verfahren
(4) Zuverlässigkeit von Methoden und von Gutachten


Vor allem für statistische Verfahren gilt: Noch ist die Erprobungsphase bei vielen Verfahren noch nicht abgeschlossen. Besonders die deutschen Versionen angloamerikanischer Instrumente befinden sich meist noch im Prozess systematischer Validierung. Die statistischen Verfahren haben zudem typischerweise mit der sog. Mittelfeld-Problematik zu tun. Die meisten Probanden werden sich dank der Normalverteilungskurve in der Mitte wiederfinden, wo sie keine eindeutige Prognose erhalten ("Tendenz zur Mitte"). Die juristische Entscheidung ist aber eine Ja/Nein-Entscheidung und erfordert eine klare Wertung. Der Nutzen statistischer Verfahren ist damit für die große Zahl "mittlerer Fälle" eher gering. Darüber hinaus ist mangels Kreuzvalidierungen in unabhängigen Stichproben bei den quantitativen Verfahren die richtige Gewichtung einzelner Prädiktoren keineswegs gesichert.
Vor allem für statistische Verfahren gilt: Noch ist die Erprobungsphase bei vielen Verfahren noch nicht abgeschlossen. Besonders die deutschen Versionen angloamerikanischer Instrumente befinden sich meist noch im Prozess systematischer Validierung. Die statistischen Verfahren haben zudem typischerweise mit der sog. Mittelfeld-Problematik zu tun. Die meisten Probanden werden sich dank der Normalverteilungskurve in der Mitte wiederfinden, wo sie keine eindeutige Prognose erhalten ("Tendenz zur Mitte"). Die juristische Entscheidung ist aber eine Ja/Nein-Entscheidung und erfordert eine klare Wertung. Der Nutzen statistischer Verfahren ist damit für die große Zahl "mittlerer Fälle" eher gering. Darüber hinaus ist mangels Kreuzvalidierungen in unabhängigen Stichproben bei den quantitativen Verfahren die richtige Gewichtung einzelner Prädiktoren keineswegs gesichert.
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Vor allem für klinische Prognosen gilt: die Qualität von Prognosegutachten wird häufig und gravierend von methodischen Unzulänglichkeiten (Pseudotheorien, Zirkelschlüsse, schwammige Begriffe), von sozialen und moralischen Vorurteilen, von einer negativen Beziehung zwischen Gutachtern und Probanden sowie von sachfremden Rollenkonzepten der Gutachter bezüglich ihrer Stellung im Strafprozess beeinträchtigt (Verrel 1995, Wolff 1995).
Vor allem für klinische Prognosen gilt: die Qualität von Prognosegutachten wird häufig und gravierend von methodischen Unzulänglichkeiten (Pseudotheorien, Zirkelschlüsse, schwammige Begriffe), von sozialen und moralischen Vorurteilen, von einer negativen Beziehung zwischen Gutachtern und Probanden sowie von sachfremden Rollenkonzepten der Gutachter bezüglich ihrer Stellung im Strafprozess beeinträchtigt (Verrel 1995, Wolff 1995).


 
Fehlerhafte Individualprognosen können sich auf zwei sehr unterschiedliche Weisen auswirken. Zum einen kann eine irrtümlich günstige Prognose zukünftige, theoretisch vermeidbar gewesene Opfer nach sich ziehen und negative Folgen auch für den Gutachter zeitigen (z.B. § 839a BGB; Ausschluss von künftigen Begutachtungen). Zum anderen kann eine Freiheitsentziehung aufgrund einer irrtümlich ungünstigen Prognose unnötigerweise fortgesetzt werden. Da irrtümlich günstige Prognosen erkannt und oft auch skandalisiert werden, während irrtümlich ungünstige Prognosen mangels Freilassung der Inhaftierten nicht erkannt werden können, besteht ein starker Anreiz für eine restriktive, eher "falsche Positive" in Kauf nehmende Gutachtenpraxis.
(5) Zuverlässigkeit von Gutachten


Obwohl die Gütekriterien von Gutachten im Prinzip bekannt sind, weisen Gutachten in der Praxis immer wieder erhebliche Mängel auf. Ob Schuldfähigkeits- oder Prognosegutachten: immer wieder fehlen Familien-, Sexual-, Eigen- und Deliktanamnesen, Angaben zum Krankheitsverlauf und testpsychologische Befunde; Vorbefunde werden unkritisch übernommen, die Auslösetat wird nicht hinreichend (z.B. im Hinblick auf psychotrope Substanzen) analysiert, der jüngere Entwicklungsverlauf des Begutachteten, seine Außenkontakte und Zukunftsperspektive werden nicht berücksichtigt. In diesem Sinne "schlecht" oder "sehr schlecht" sind sicherlich nicht alle Gutachten, wohl aber ein großer Teil - vielleicht die Hälfte.  
Obwohl die Gütekriterien von Gutachten im Prinzip bekannt sind, weisen Gutachten in der Praxis immer wieder erhebliche Mängel auf. Ob Schuldfähigkeits- oder Prognosegutachten: immer wieder fehlen Familien-, Sexual-, Eigen- und Deliktanamnesen, Angaben zum Krankheitsverlauf und testpsychologische Befunde; Vorbefunde werden unkritisch übernommen, die Auslösetat wird nicht hinreichend (z.B. im Hinblick auf psychotrope Substanzen) analysiert, der jüngere Entwicklungsverlauf des Begutachteten, seine Außenkontakte und Zukunftsperspektive werden nicht berücksichtigt. In diesem Sinne "schlecht" oder "sehr schlecht" sind sicherlich nicht alle Gutachten, wohl aber ein großer Teil - vielleicht die Hälfte.  
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