Normgenese: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Normgenese ist aus Sicht der Kritischen Kriminologie von zentraler Bedeutung. Mit ihrer Hilfe lassen sich Fragen nach den Prozessen, Wirkungsweisen und beteiligten Akteuren (Benefiziare / Malefiziare) der Gesetzgebung beantworten. Infolge normativer und kultureller Differenzierung moderner Gesellschaften, sowie des rapiden Wandels von Rechtsnormen, lehnt die „neue Kriminologie“ die Annahme eines gesellschaftsübergreifenden Konsenses (vgl. Konsensmodell) ab und führt partikulare Interessen als Begründung eines Konfliktmodells an. Dazu schreiben Henner Hess und Sebastian Scheerer: „In akephalen Gesellschaften, die die längste Zeit der Menschheitsgeschichte bestimmten, gab es keine zentrale Instanz, die mit zwingender Autorität sagen konnte, was richtig und was falsch sei. [...] Erst an dem Punkt der sozialen Evolution, wo Konflikte um Güter und Positionen nicht mehr im Interesse aller geregelt wurden, sondern wo es einigen Gesellschaftsmitgliedern gelang, die bisherigen Kontrollen zu durchbrechen und sich privilegierte Positionen zu verschaffen, wo Herrschaft politisch als institutionalisierte Macht und ökonomisch als Herrengewalt an den entscheidenden Wirtschaftsmitteln entstand, kam es zu jener drastischen Änderung  von Konflikten und Konfliktregelungen, aus der sich die Phänomene Recht (als durch Erzwingungsstäbe garantierte Normen), Verbrechen (als Verstöße gegen solche Rechtsnormen) und Kriminalstrafen (als Sanktionierungen von Verbrechen) entwickelten.“ (Hess; Scheerer, 2003, S. 69-92)
Die Normgenese ist aus Sicht der Kritischen Kriminologie von zentraler Bedeutung. Mit ihrer Hilfe lassen sich Fragen nach den Prozessen, Wirkungsweisen und beteiligten Akteuren (Benefiziare / Malefiziare) der Gesetzgebung beantworten. Infolge normativer und kultureller Differenzierung moderner Gesellschaften, sowie des rapiden Wandels von Rechtsnormen, lehnt die „neue Kriminologie“ die Annahme eines gesellschaftsübergreifenden Konsenses (vgl. Konsensmodell) ab und führt partikulare Interessen als Begründung eines Konfliktmodells an. Dazu schreiben Henner Hess und Sebastian Scheerer: „In akephalen Gesellschaften, die die längste Zeit der Menschheitsgeschichte bestimmten, gab es keine zentrale Instanz, die mit zwingender Autorität sagen konnte, was richtig und was falsch sei. [...] Erst an dem Punkt der sozialen Evolution, wo Konflikte um Güter und Positionen nicht mehr im Interesse aller geregelt wurden, sondern wo es einigen Gesellschaftsmitgliedern gelang, die bisherigen Kontrollen zu durchbrechen und sich privilegierte Positionen zu verschaffen, wo Herrschaft politisch als institutionalisierte Macht und ökonomisch als Herrengewalt an den entscheidenden Wirtschaftsmitteln entstand, kam es zu jener drastischen Änderung  von Konflikten und Konfliktregelungen, aus der sich die Phänomene Recht (als durch Erzwingungsstäbe garantierte Normen), Verbrechen (als Verstöße gegen solche Rechtsnormen) und Kriminalstrafen (als Sanktionierungen von Verbrechen) entwickelten.“ (Hess; Scheerer, 2003, S. 69-92)
Normen entfalten eine regulative Wirkung, die verschiedene Gesellschaftsmitglieder möglicherweise unterschiedlich stark tangiert. Sinngemäß folgend dem Bonmot:
Normen entfalten eine regulative Wirkung, die verschiedene Gesellschaftsmitglieder möglicherweise unterschiedlich stark tangiert. Sinngemäß folgend dem Bonmot:
„Die großartige Gleichheit vor dem Gesetz verbietet den Reichen wie den Armen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln oder Brot zu stehlen“  (Anatole France, „Le lys rouge“, 1894). Die Kritische Kriminologie interessiert daher die Frage nach den geistigen Vätern heutiger Normen und deren gesellschaftlicher Verortung. Welche Auswirkungen mögen von der Tatsache der - jeher durch Oberschichtsangehörige geprägten - Gesetzgebungsorgane ausgehen? Was bedeutet dies für den Fokus dieser Normen? Kann es zur Bildung eines „blinden Fleckes“ kommen? Opp formuliert: „In modernen Industriegesellschaften werden viele Normen und Maßnahmen zu deren Durchsetzung von Institutionen oder Personen gesetzt, die zur Regulierung bestimmter Verhaltensweisen legitimiert sind. Solche Institutionen können Parlamente oder Behörden sein, aber auch Vorstände von Unternehmen, Freizeitclubs oder Abteilungen einer Organisation. [...] Charakteristisch für diese Art der Normentstehung ist, dass die Normen nicht nur (oder überhaupt nicht) die Normsender, sondern andere Gruppen binden sollen“ (Opp, 1983, S. 205).
„Die großartige Gleichheit vor dem Gesetz verbietet den Reichen wie den Armen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln oder Brot zu stehlen“  (Anatole France, „Le lys rouge“, 1894). Die Kritische Kriminologie interessiert daher die Frage nach den geistigen Vätern heutiger Normen und deren gesellschaftlicher Verortung. Welche Auswirkungen mögen von der Tatsache der - jeher durch Oberschichtsangehörige geprägten - Gesetzgebungsorgane ausgehen? Was bedeutet dies für den Fokus dieser Normen? Kann es zur Bildung eines „[http://de.wikipedia.org/wiki/Blinder_Fleck_%28Psychologie%29 blinden Fleckes]“ kommen? Opp formuliert: „In modernen Industriegesellschaften werden viele Normen und Maßnahmen zu deren Durchsetzung von Institutionen oder Personen gesetzt, die zur Regulierung bestimmter Verhaltensweisen legitimiert sind. Solche Institutionen können Parlamente oder Behörden sein, aber auch Vorstände von Unternehmen, Freizeitclubs oder Abteilungen einer Organisation. [...] Charakteristisch für diese Art der Normentstehung ist, dass die Normen nicht nur (oder überhaupt nicht) die Normsender, sondern andere Gruppen binden sollen“ (Opp, 1983, S. 205).
Normen, insbesondere in ihrer Gestalt als Strafgesetze haben eine herrschaftssichernde, auf Machterhalt ausgerichtete Komponente. Die Kritische Kriminologie betrachtet hier die Mechanismen derer sich der Gesetzgeber (z.B. durch „symbolische Politik“) bedient, um Massenloyalität qua Strafgesetz zu gewährleisten.
Normen, insbesondere in ihrer Gestalt als Strafgesetze haben eine herrschaftssichernde, auf Machterhalt ausgerichtete Komponente. Die Kritische Kriminologie betrachtet hier die Mechanismen derer sich der Gesetzgeber (z.B. durch „symbolische Politik“) bedient, um Massenloyalität qua Strafgesetz zu gewährleisten.


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