Soziale Schließung

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Durch die soziale Schließung etabliert sich eine soziale Einheit in Abgrenzung von ihrer personalen Umwelt. Die (Möglichkeit der) Zugehörigkeit zu dieser Einheit wird an das Vorhandensein bestimmter Merkmale geknüpft. Kehrseite der sozialen Schließung ist die soziale Ausschließung: all diejenigen, die über die Teilhabevoraussetzungen nicht verfügen, sind ausgeschlossen.

Funktionen sozialer Schließung sind:

  • Bestandssicherung und Wohlfahrt des Kollektivs
  • Existenzsicherung und Wohlfahrt der Mitglieder (Anspruch des Individuums auf solidarische Hilfe) )
  • Monopolisierung von Chancen und Einkünften gegenüber potentieller Konkurrenz (Heilberuf darf nur von Ärzten mit entsprechenden Abschlüssen ausgeübt werden).

Formelle und informelle Schließung

Mittel formeller Schließung: Mitgliedschaftsvoraussetzungen (Gewerkschaft, Arbeitgeberverband, Betriebsrat, Hauseigentümerverband ...)

Mittel informeller Schließung: Meidung von Kontakten, Hilfen und Teilhabe-Offerten gegenüber jenen, denen die Mittel zur Partizipation fehlen; Geheim- und Sondersprachen.

Epochen der Schließung

  • Die historisch folgenreichste soziale Schließung waren die Prozesse der Machtbildung, die den Übergang von herrschaftsfreien Gesellschaften zu staatlichen verfassten Klassengesellschaften markierten - also die Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols mit all den Prozessen der Exklusion potentieller und aktueller Opponenten und Konkurrenten. Erst auf dieser Grundlage konnten die weiteren großen Schließungsprozesse, also die private Aneignung von Land und Kapital, stattfinden.
  • Historische Tendenzen in Richtung auf mehr Gleichheit unter den Menschen manifestieren sich als Übergang von kollektiven zu individuellen Schließungen. Über Zugehörigkeiten, Chancen und Rechte entscheiden immer weniger ererbte und andere kollektive Merkmale (Herkunft, Rasse, Religion etc.) als vielmehr individuelle credentials wie z.B. Zeugnisse, individuelle Fähigkeiten etc. Die Stärke von Inklusionstendenzen zeigt sich auch an den Maßnahmen, die zur Neutralisierung der indirekten Bestimmungskraft kollektiver Merkmale ergriffen werden. So ist es kein Geheimnis, dass die Chancen auf den Erwerb bestimmter credentials' positiv mit kollektiven Merkmalen korrelieren. Um diesen indirekten Wirkungsfaktor zu neutralisieren, kann man entweder die Barrierewirkung der credentials selbst relativieren, oder man kann durch affirmative action denjenigen besondere Hilfen zu deren Erlangung bieten, die von ihrer Herkunft (oder anderen Kollektivmerkmalen her) benachteiligt sind.

Konflikte

Soziale Schließungen werden dann problematisch, d.h. zum Gegenstand von Konflikten, wenn

  • neue soziale Schließungen die alte Ordnung und deren soziale Schließungen herausfordern und ersetzen wollen (Entstehung von Herrschaft; Revolutionen) oder
  • neue Teilhabeerwartungen sich bemerkbar machen (Sklavenbefreiung; Frauenemanzipation; Entkolonialisierung)

Formeller Ausschluss ist eine Waffe im Kampf um die Gestaltung der sozialen Ordnung. Vor der Entstehung von Herrschaft traf der formelle Ausschluss diejenigen, die privilegierte Positionen erreichen und auf Dauer stellen, also Herrschaft errichten, wollten. Seit der Staatsentstehung trifft der formelle Ausschluss militärische und ideologische Herausforderer der Herrschaft: äußere und innere Feinde, Ketzer, Dissidenten usw. In abgeschwächter Form trifft der formelle Ausschluss diejenigen, die sich zwar nicht frontal gegen die Ordnung stellen, deren Regeln aber gravierend missachten, also Straftäter und Leute, die andere Normen (etwa berufsständischer Art) verletzen.

Literatur

  • Hess, Henner (2009) Seid umschlungen, Millionen. Unveröff. Manuskript. Heidelberg.