Ähnlich stellt sich die Situation in Singapur dar. Häufig wird jedoch dem Stadtstadt eine Ausnahmestellung zugesprochen, die vor allem darin bestehe, dass Singapur zwar ingesamt nicht die Kriterien einer liberalen Demokratie erfüllt, aber als Rechtsstaat gelten kann. Versteht man unter Rechtsstaatlichkeit aber mehr als nur eine funktionierende Strafgerichtsbarkeit und ein Erwartungssicherheit garantierendes Wirtschaftsrecht, zeigen sich bald Lücken in der Argumentation. Ein Staat, der elementare Bürgerrechte, wie die Meinungs- und Pressefreiheit, einschränkt, die Justiz bewusst einsetzt, um die Arbeit der legalen politischen Opposition zu behindern, und mehrfach die Verfassung de facto mit dem primären Ziel ändert, einem bestimmten politischen Akteur überproportionale Vorteile bei Wahlen zu verschaffen (in diesem Fall der regierenden People's Action Party - PAP), kann bei näherem Hinsehen kaum als Rechtsstaat gelten. Auch in Singapur ist evident, dass die politische Herrschaftselite Recht und Gesetz zum Zwecke des Machterhalts in ihrem Sinne gestaltet und interpretiert und, wann immer ihr dies nötig erscheint, revidiert. In Singapur (und in etlichen anderen Ländern der Region) gilt die Formel rule by law, not rule of law [29] . Interessanterweise scheint es aber gerade das singapurische Modell zu sein, das etlichen politische Eliten innerhalb der Region als besonders attraktiv und letztlich erstrebenswerter als die Verwirklichung rechtsstaatlicher Demokratie erscheint. Die Kombination einer demokratischen Fassade mit einem gewissen Grad an Rechtssicherheit bei gleichzeitiger Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und einer Machtkonzentration in den Reihen der Exekutive und Bürokratie gilt manchen Akteuren in Vietnam, Kambodscha und andernorts (vor allem in der VR China) als besserer Garant politischer Stabilität, wirtschaftlicher Entwicklung und damit nicht zuletzt internationaler Wertschätzung als die (aus einer solchen Perspepektive) mit vielen Unwägbarkeiten verbundene rechtsstaatliche Demokratie.