Schweigepflicht von Psychologen im Strafvollzug

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Die Schweigepflicht von Psychologen im Strafvollzug dient der erfolgreichen Behandlung von Gefangenen und damit der Rückfallprävention. Sie betrifft Psychologen (und Sozialpädagogen und -arbeiter), die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Gefangenen Kenntnisse über höchstpersönliche Lebensumstände, Gefühle und Gedankenwelten einschließlich krankhafter physischer oder psychischer Aspekte erlangen, an deren Geheimhaltung der Gefangene unter Umständen ein überragendes Interesse hat. Ein Gefangener, der sich der Vertraulichkeit seiner Äußerungen nicht sicher sein kann, wird sich nicht so leicht öffnen, sondern eher bestrebt sein, eine möglichst gute Fassade zu präsentieren, um günstige Beurteilungen zu erhalten. Mit eine solchen Instrumentalisierung der Psychologen im Strafvollzug ist aber weder der Verarbeitung der Tat noch der Rückfallvorbeugung gedient.

Allgemeine Regelungen

Ganz allgemein (= nicht nur auf den Strafvollzug bezogen) bestimmt deshalb das Gesetz, dass ein Psychologe, der seine Schweigepflicht verletzt, eine Straftat begeht. Er wäre - genauso wie ein Arzt, der seine Schweigepflicht verletzt - wegen Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 1 StGB strafbar. Mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht diese Vorschrift jeden, der "unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis" offenbart, das ihm etwa als "Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung" oder als "staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen" anvertraut oder sonstwie bekannt wurde.

Eine wichtige Ausnahme von der Schweigeplicht betrifft die Kenntnis von geplanten schweren Straftaten. Ob innerhalb oder außerhalb des Gefängnisses: wenn ein Psychologe von der Planung einer schweren Straftat erfährt, dann muss er das melden. Das gilt, wohlgemerkt, nicht für alle geplanten Straftaten, wohl aber für Mord, Totschlag und einige weitere besonders schwere Delikte, die in § 138 StGB aufgelistet sind. Wenn also ein Gefangener seinem Psychologen mitteilt, dass er eine solche Wut auf seine Ex-Frau habe, dass er ihr bei nächster Gelegenheit etwas antun wolle, dann hat die Verhütung der Straftat Vorrang vor der Schweigepflicht. Deshalb bestimmt § 138 StGB, dass hier eine Offenbarungspflicht des Psychologen besteht - andernfalls riskiert er wegen "Nichtanzeige einer geplanten Straftat" eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe.

Insofern ist die Grenze zwischen Schweigepflicht und Offenbarungspflicht bereits im allgemeinen Strafgesetz geregelt. Es wäre denkbar, es auch im Strafvollzug dabei zu belassen. Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, hier eine Sonderregelung zu treffen. Um diese geht es im Folgenden.

Sonderregelung für den Strafvollzug

1998 wurde (mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes; BGBl. I 1998: 2461 ff.)

  1. die Existenz einer innerbehördlichen Schweigepflicht gesetzlich anerkannt (in § 182 Abs. 2 Satz 1 wird ausdrücklich bekräftigt, daß die Schweigepflicht der therapeutischen Fachdienste auch innerhalb der Vollzugsbehörde gilt), zugleich aber auch
  2. den Psychologen eine Offenbarungspflicht gegenüber der Anstaltsleitung auferlegt, "soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist."

Der Hinweis auf die Aufgaben der Vollzugsbehörde ist sehr unbestimmt und wird gelegentlich für verfasungswidrig gehalten. Heinz Schöch (1999) meint, dass diese Bestimmung verfassungskonform - unter Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen und der Psychologen und der Allgemeinheit an einer wirksamen Therapie - ausgelegt werden muss. Schöch schlägt vor:

die Offenbarungspflicht der Psychologen betrifft nur solche Tatsachen, aber auch alle solche Tatsachen, die zu einer sofortigen Änderung des Vollzugsplans führen müßten, weil sie erhebliche Gefahren für die Resozialisierung oder die Begehung aktueller Straftaten während des Vollzugs indizieren. Soweit hingegen die personenbezogenen Tatsachen nur den Innenraum der Therapie betreffen, also keine erhebliche Relevanz für den Vollzugsplan oder für das Leben oder die Gesundheit des Gefangenen oder Dritter haben, bleibt die Schweigepflicht erhalten.

Diese Tatsachen dürfen

  1. nur in der jeweils schonendsten Form offenbart werden, und
  2. es muß z.B. auf detaillierte Informationen über die sadistischen Phantasien eines aggressiven Sexualtäters verzichtet werden, wenn z.B. die Information genügt, daß der Gefangene seine deliktische Problematik noch nicht bewältigt hat.

Auf jeden Fall muss dem Gefangenen schon vor Beginn der Behandlung (z.B. mittels Formblatts) klar gemacht werden, daß bei der intramuralen Behandlung keine uneingeschränkte Schweigepflicht besteht.

Die Sankelmarker Thesen

In Schleswig-Holstein orientieren sich Bosinski et al. (2002, 2004) an den sog. Sankelmarker Thesen, die nur eine standardisierte Form der Meldung über den Stand der Therapie an die Anstaltsleitung oder an den mit der Prognose zum 2/3-Termin beauftragten Gutachter vorsehen. Diese Thesen behandeln allerdings nur die Schweigepflicht für das Verhältnis der Straf- und Maßregelvollzugsanstalten gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Strafvollstreckungskammer. Der behördeninterne Bereich (Anstaltspsychologen im Verhältnis zur Anstaltsleitung u.ä.) wird ausgespart.

Gesetzestext von § 182 StVollzG (Schutz besonderer Daten)

(1) Das religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis eines Gefangenen und personenbezogene Daten, die anläßlich ärztlicher Untersuchungen erhoben worden sind, dürfen in der Anstalt nicht allgemein kenntlich gemacht werden. Andere personenbezogene Daten über den Gefangenen dürfen innerhalb der Anstalt allgemein kenntlich gemacht werden, soweit dies für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt erforderlich ist; § 180 Abs. 8 bis 10 bleibt unberührt.
(2) Personenbezogene Daten, die den in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannten Personen von einem Gefangenen als Geheimnis anvertraut oder über einen Gefangenen sonst bekanntgeworden sind, unterliegen auch gegenüber der Vollzugsbehörde der Schweigepflicht. Die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannten Personen haben sich gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Der Arzt ist zur Offenbarung ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekanntgewordener Geheimnisse befugt, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerläßlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Sonstige Offenbarungsbefugnisse bleiben unberührt. Der Gefangene ist vor der Erhebung über die nach den Sätzen 2 und 3 bestehenden Offenbarungsbefugnisse zu unterrichten.
(3) Die nach Absatz 2 offenbarten Daten dürfen nur für den Zweck, für den sie offenbart wurden oder für den eine Offenbarung zulässig gewesen wäre, und nur unter denselben Voraussetzungen verarbeitet oder genutzt werden, unter denen eine in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannte Person selbst hierzu befugt wäre. Der Anstaltsleiter kann unter diesen Voraussetzungen die unmittelbare Offenbarung gegenüber bestimmten Anstaltsbediensteten allgemein zulassen.
(4) Sofern Ärzte oder Psychologen außerhalb des Vollzuges mit der Untersuchung oder Behandlung eines Gefangenen beauftragt werden, gilt Absatz 2 mit der Maßgabe entsprechend, daß der beauftragte Arzt oder Psychologe auch zur Unterrichtung des Anstaltsarztes oder des in der Anstalt mit der Behandlung des Gefangenen betrauten Psychologen befugt sind.

Fallbeispiele

(1) Vorrang der Offenbarungspflicht: Der Anstaltsarzt stellt bei Gefangenem Hämatome und Rippenbruch fest. Der Gefangene erklärt, dass die Mitgefangenen ihm weitere Prügel angekündigt hätten. - Konkrete Gefahr für Gefangenen, daher Offenbarungspflicht.

(2) Schweigepflicht bezüglich eines unantastbaren Kernbereichs der therapeutischen Beziehung: 27 Jahre alter Gefangener mit 4 Vorstrafen wegen Körperverletzung und Erpressung berichtet in der Therapie, dass er mit 17 einmal seine 13jährige Stiefschwester vergewaltigt habe. - Bei einem Sexualstraftäter wäre das ggf. eine Sache, die zu offenbaren wäre; hier aber keine Vollzugsplanrelevanz.

(3) Offenbarungspflicht bei vollzugsplanrelevanten Gefahren für die Resozialisierung oder weitere Straftaten: Räuber will seine scheidungswillige Ehefrau beim nächsten Urlaub zur Rede stellen. - Das ist Alarmsignal für einen Lockerungsmissbrauch durch neue Strafaten oder durch Flucht.

Literatur