Resolution deutscher Strafrechtsprofessoren (BtMG)

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Wortlaut

Resolution deutscher Strafrechtsprofessorinnen und –professoren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

A. Notwendigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit des Betäubungsmittelgesetzes

Die Unterzeichnenden wollen den Gesetzgeber auf die unbeabsichtigten schädlichen Nebenwirkungen und Folgen der Kriminalisierung bestimmter Drogen aufmerksam machen. Sie wollen das Parlament anregen, bezüglich dieser Thematik seinem verfassungsrechtlichen Auftrag im Allgemeinen und den wissenschaftlich begründeten Prinzipien von Strafgesetzgebung und Kriminalpolitik im Besonderen durch die Einrichtung einer Enquête-Kommission Rechnung zu tragen. Sowohl aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse besteht die dringende Notwendigkeit, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts zu überprüfen und gegebenenfalls Vorschläge zu Gesetzesänderungen aus solcher Evaluation abzuleiten.

Eine solche Initiative mag vielen von Ihnen unangebracht und aussichtslos erscheinen, wo doch das Bundesverfassungsgericht in seiner Cannabis-Entscheidung 1994 die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelstrafrechts grundsätzlich bestätigt hat. Gleichwohl gibt es aus unserer Sicht 17 Jahre danach Anlass diese Thematik neuerlich auf die rechtspolitische Agenda zu setzen. Zum Einen zeigt sich weltweit die Erfolglosigkeit strafrechtlicher Bekämpfung von Drogennachfrage und -angebot. Zum Anderen sind derzeit Auswüchse der Kriminalisierung zu beobachten, welche erst Recht parlamentarisches Nachd enken erfordern. Nur zwei Beispiele: Die Finanzierung des Taliban-Terrorismus in und aus Afghanistan erfolgt allen Erkenntnissen zufolge weitgehend über den Schwarzmarkt mit Heroin und Haschisch. Und: Tausende von Toten in dem aktuellen "Krieg der Drogenkartelle" in Mexiko sind weitgehend den Kartellkämpfen um exorbitante Profite auf dem Schwarzmarkt zuzurechnen. Der Schwarzmarkt generiert eine extreme und globalisierte Schattenwirtschaft mit weiterer Folgekriminalität und destabilisierenden Auswirkungen auf globale Finanzmärkte ebenso wie nationale Volkswirt schaften. Angesichts effektiver informeller Geldtransfersysteme (z.B. Hawala-System) kann Geldwäschekontrolle nicht funktionieren. Demgegenüber zeigen alle wissen schaftlichen Erkenntnisse, dass die Gefährdungen durch bislang illegale Drogen ebenso wie solche durch Medikamente und Alkohol besser durch gesundheitsrechtliche Regulierung mit akzessorischer ordnungs- oder strafrechtlicher Sanktionierung sowie mit adäquaten Jugendhilfemaßnahmen zu bewältigen wären.

Ein weiterer Anlass für unsere Initiative: diverse Quasi-Feldexperimente mit der liberalisierten Zugänglichkeit oder Vergabe von bislang illegalen Drogen (z.B. Niederlande, Schweiz, Spanien, Portugal) ergaben, dass die befürchtete Ausweitung des Drogenkonsums ausbleibt. Außerdem hat sich das drogenpolitische Klima in den bislang im repressiven Drogenregime federführenden U.S.A. stark zu verändern begonnen. Beispielhaft seien genannt: am 10.12.2009 die Einrichtung eines Ausschusses des Repräsentantenhauses zur Untersuchung des Scheiterns der Drogenpolitik, diverse auf YOUTUBE anzusehende Reden von U.S.-Professoren und -Polizeifunktionären (siehe Links www.schildower-kreis.de), die am 2.11. stattfindende Volksbefragung zur Freigabe von Cannabis )“Proposition 19“) in Kalifornien, die zunehmende Legalisierung von Cannabis als Medizin (bislang in 16 U.S.-Bundesstaaten). Die Obama- Regierung hat stillschweigend den Paradigmen-Wechsel vom "Krieg gegen die Drogen" zu gesundheitspolitischen Strategien vollzogen.

Die Notwendigkeit der Einrichtung einer Enquête-Kommission des Bundestages ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber gemäß dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip der Verfassung hinsichtlich geltender Gesetze eine Überprüfungspflicht hat und auf deutliche Veränderungen in der sozialen Wirklichkeit und in der Wissen-schaft reagieren muss.


B. Thesen zur Begründung

Die strafrechtliche Drogenprohibition ist gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch.

1. Mit der Drogenprohibition gibt der St aat seine Kontrolle über Verfügbarkeit und Reinheit von Drogen auf.

Nicht die Wirkung der Drogen ist das Pr oblem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. Die über wiegende Zahl der Drogenkonsumen- ten lebt ein normales Leben. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert. Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen.

2. Der Zweck der Prohibition wird systematisch verfehlt.

Prohibition soll den schädlichen Konsum bestimmter Drogen verhindern. Tatsächlich kann sie dieses Ziel nicht erreichen. Das zeigen alle wissenschaftlich relevanten Untersuchungen. Sogar die Evaluation des 10-Jahres-Programms der UNO zur Drogenbekämpfung kommt im Jahr 2008 zu diesem Schluss. Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig dramatisch die gesundheitlichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen. Selbst in totalitären Regimen und Strafansta lten kann Drogenkonsum nicht verhindert werden.

3. Die Prohibition ist schädlich für die Gesellschaft.

. Sie fördert die organisierte Kr iminalität und den Schwarzmarkt. . Sie schränkt Bürgerrechte ein und korru mpiert den Rechtsstaat. Durch massive Machtanballung bei Kartellen und Mafia nimmt die Gefahr eines Scheiterns der Zivil- gesellschaft zu. Stimuliert durch gigant ische Profite aus dem Drogenschwarzmarkt entstehen veritable Kriege zwis chen Drogenkartellen und in Reaktion darauf sowohl eine Quasi-Militarisierung der Polizei al s auch quasi-polizeiliche Funktionen des Mili- tärs. Auch dadurch erodieren staatliche Grundstrukturen. . Sie hat desaströse Auswirkungen auf Anbau- und Transitländer. . Sie behindert eine angemessene medizinische Versorgung.

4. Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig

. Die Bürger werden Opfer der Beschaffungskriminalität. . Jedes Jahr werden Milliardenbeträge fü r die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsf ürsorge eingesetzt werden könnten. . Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen, die er bei einem legalen Angebot hätte.

5. Die Prohibition ist schädlich für die Konsumenten

. Konsumenten werden diskriminiert, strafrec htlich verfolgt und in kriminelle Karrie- ren getrieben. Weil es sich um „opferlose “ Kontrolldelikte handelt, welche lediglich proaktiv – und damit Unterschichtangehör ige und Migranten benachteiligend – ver- folgt werden. . Es gibt keinen Verbraucher- und Jugend schutz. Riskante Konsumformen werden gefördert und die Konsumenten werden gef ährlichen Krankheiten ausgesetzt (z.B. AIDS, Hepatitis C). . Normales jugendliches Experimentierverhalt en wird kriminalisiert und das Erlernen von Drogenmündigkeit erschwert. Junge Me nschen werden dauerhaft stigmatisiert und ihre Lebenschancen werden gemindert.


C. Fazit

Der Staat darf die Bürger durch die Drogenpolitik nicht schädigen. Es ist deshalb notwendig, Schaden und Nutz en der Drogenpolitik unvoreinge- nommen wissenschaftlich zu überprüfen. Als Kriminalwissenschaftler fühlen wir uns in besonderem Maße verantwort- lich für die Einhaltung stra frechtstheoretischer Prinzipien und für die Zurück- haltung des Staates in der Anwendung der ultima ratio gesellschaftlicher Steuerung. Deshalb appellieren wir an die Abgeor dneten des Deutschen Bundestages, nicht nur dem Fraktionszwang zu folgen, sondern auch ihrer individuellen Verantwortung.


Für den Initiativkreis:

Prof. Dr. L. Böllinger (Sprecher)


Folgende Professorinnen und Professoren sind bisher Träger der Initiative:


1. Prof. Dr. Albrecht H.J. (MPI Freiburg) 2. Prof. Dr. Albrecht, Peter (Uni Basel) 3. Prof. Dr. Ambos, Kai (U Göttingen) 4. Prof. Dr. Bernsmann, Klaus (U Bochum) 5. Prof. Dr. Böllinger, Lorenz (U Bremen) 6. Prof. Dr. Burkhardt, Björn (U Mannheim) 7. Prof. Dr. Bussmann, Kai (U Halle) 8. Prof. Dr. Dencker, Friedrich (U Münster) 9. Prof. Dr. Dessecker, Axel (U Göttingen) 10. Prof. Dr. Dünkel, Frieder (U Greifswald 11. Prof. Dr. Eder, Maria (U Salzburg) 12. Prof. Dr. Eser, Albin (U Freiburg, MPI) 13. Prof. Dr. Fabricius, Dirk (U Frankfurt/M) 14. Prof. Dr. Feest, Johannes (U Bremen) 15. Prof. Dr. Feltes, Thomas (U Bochum) 16. Prof. Dr. Freund, Georg (U Marburg) 17. Prof. Dr. Frommel, Monika (U Kiel) 18. Prof. Dr. Giehring, Heinz (U Hamburg) 19. Prof. Dr. Gropp, Walter (U Gießen) 20. Prof. Dr. Haft, Fritjof (U München) 21. Prof. Dr. Hamm, Rainer (U Frankfurt/M) 22. Prof. Dr. Hardtung, Bernhard (U Rostock) 23. Prof. Dr. Hefendehl, Roland (U Freiburg) 24. Prof. Dr. Heinrich, Bernd (U Berlin) 25. Prof. Dr. Heinrich, Manfred (U Kiel) 26. Prof. Dr. Hellmann, Uwe (U Potsdam) 27. Prof. Dr. Herzog, Felix (U Bremen) 28. Prof. Dr. Hilgendorf, Eric (U Würzburg) 29. Prof. Dr. Hochmayr, Gudrun (U Frankfurt/O) 30. Prof. Dr. Jerouschek, Günter (U Jena) 31. Prof. Dr. Joerden, Jan (Europa-Uni Frankfurt/O) 32. Prof. Dr. Kinzig, Jörg (U Tübingen) 33. Prof. Dr. Klesczewski, Diethelm (U Leipzig) 34. Prof. Dr. Krahl, Matthias (U Frankfurt/M) 35. Prof. Dr. Kühne, Hans Heiner (U Trier) 36. Prof. Dr. Kury, Helmut (MPI Freiburg) 37. Prof. Dr. Lesch, Heiko (U Bonn; Rechtsanwalt) 38. Prof. Dr. Lüderssen, Klaus (U Frankfurt/M) 39. Prof. Dr. Mehle, Volkmar (U Bonn) 40. Prof. Dr. Meyer-Goßner, Lutz (U Marburg; VRi.BGH aD) 41. Prof. Dr. Müller-Dietz, Heinz (U Saarland) 42. Prof. Dr. Müller, Egon (U Saarland) 43. Prof. Dr. Mueller, Henning (U Regensburg) 44. Prof. Dr. Müssig, Bernd (U Bonn, Rechtsanwalt) 45. Prof. Dr. Murmann, Uwe (U Göttingen) 46. Prof. Dr. Nestler, Cornelius (U Köln) 47. Prof. Dr. Neubacher, Frank (U Köln) 48. Prof. Dr. Neumann, Ulfried (U Frankfurt/M) 49. Prof. Dr. Nix, Christoph (Konstanz) 50. Prof. Dr. Ostendorf, Heribert (U Kiel) 51. Prof. Dr. Paeffgen, H.-U. (U Bonn) 52. PrDz.Dr. Pollähne, Helmut (U Bremen) 53. Prof. Dr. Prittwitz, Cornelius (U Frankfurt/M 54. Prof. Dr. Putzke, Holm (U Passau) 55. Prof. Dr. Quensel, Stephan (U Bremen) 56. Prof. Dr. Renzikowski, Joachim (U Halle) 57. Prof. Dr. Rolinski, Klaus (U Regensburg) 58. Prof. Dr. Rosenau, Henning (U Augsburg) 59. Prof. Dr. Rzepka, Dorothea (U Frankfurt/M) 60. Prof. Dr. Roxin, Claus (U München) 61. Prof. Dr. Schall, Hero (U Osnabrück) 62. Prof. Dr. Scheerer, Sebastian (U Hamburg) 63. Prof. Dr. Scheil, Andreas (U Innsbruck) 64. Prof. Dr. Schild, Wolfgang (U Bielefeld) 65. Prof. Dr. Schmoller, Kurt (U Salzburg) 66. Prof. Dr. Schroeder, Friedrich C. (U Regensburg) 67. Prof. Dr. Schroth, Ulrich (U München) 68. Prof. Dr. Schuenemann, Bernd (U München) 69. Prof. Dr. Schulz, Lorenz (U Frankfurt/M) 70. Prof. Dr. Schwaighofer Klaus (U Innsbruck) 71. Prof. Dr. Sessar, Klaus (U Hamburg) 72. Prof. Dr. Sonnen, Bernd-Rüdeger (U Hamburg) 73. Prof. Dr. Thoss Peter (U Bremen) 74. Prof. Dr. Tondorf, Günter (RA, U Köln) 75. Prof. Dr. Triffterer, Otto (Paris-Lodron-Univ.) 76. Prof. Dr. Venier, Andreas (U Innsbruck) 77. Prof. Dr. Villmow, Bernhard (U Hamburg) 78. Prof. Dr. Vormbaum, Thomas (Fernuni Hagen) 79. Prof. Dr. Walter, Michael (U Köln) 80. Prof. Dr. Walter, Tonio (U Regensburg) 81. Prof. Dr. Weidemann, Jürgen (U Bochum) 82. Prof. Dr. Weßlau, Edda (U Bremen) 83. Prof. Dr. Wittig, Petra (U München) 84. Prof. Dr. Wolter, Jürgen (U Mannheim) 85. Prof. Dr. Wolters, Gereon (U Bochum) 86. Prof. Dr. Zaczyk, Rainer (U Bonn) 87. Prof. Dr. Zielinski, Diethart (U Hannover) 88. Prof. Dr. Zwiehoff, Gabriele (FernU Hagen)


Angeschlossen haben sich:

  • Dr. Kühling, Jürgen (RiBVerfG a.D.)
  • Neue Richtervereinigung – Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten e.V. (www.nrv-net.de)

Weblinks und Literatur