Reinhard Gehlen

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Reinhard Gehlen (* 3. April 1902 in Erfurt; † 8. Juni 1979 in Berg am Starnberger See) war im "Dritten Reich" als Wehrmachtsgeneral für die Militärspionage und -abwehrspionage in Osteuropa zuständig und bekleidete zwischen 1956 und 1968 in der Bundesrepublik Deutschland das Amt des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND).

"Gehlens größte strategische Leistung war persönlicher Art, als er im März 1945 die Unterlagen der FHO auf Mikrofilm bannen und in den österreichischen Alpen vergraben ließ und seine Dienste den Amerikanern anbot. Deren Militärgeheimdienst G-2 griff zu ("Operation Rusty"), weil er über geringe Kenntnisse der Stärken und Schwächen des einstigen Verbündeten Sowjetunion verfügte und Gehlen ein V-Leute-Netz in Osteuropa versprach. Gehlen wurde eine Zeitlang im Camp King in Oberursel und in den USA verhört, dann von der US-Army mitsamt seiner 'Org.' fiannziert und im Dezember 1947 schließlich in der ehemalgien Rudolf-Hess-Siedlung in Pullach untergebracht" (Hachmeister 2008).

Als BND-Präsident verletzte Gehlen das BND-Gesetz (vgl. dazu: § 2 Abs. 1 Nr. 4 BND-Gesetz), das ihm jede Inlandsspionage untersagte. Der mit dem Verleger Dr. Gerhard Frey befreundete Gehlen spionierte insbesondere Sozialdemokraten aus. Die Vermutung, dass Gehlen dem engsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns - einem "brutalen Judenjäger" namens Alois Brunner, der nach dem Krieg noch einen schützenden "Job" im BND innehatte - zur Flucht nach Syrien verhalf (vgl. Hachmeister 2008), konnte wegen der Weigerung des BND, seine eigene Geschichte aufzuarbeiten, bislang nicht überprüft werden.


Leben

Der Sohn eines Buchhändlers und Cousin des Philosophen Arnold Gehlen war seit 1933 im Generalstab der Reichswehr, seit 1936 in der Operationsabteilung des Generalstabs unter Adolf Heusinger, seit 1942 Chef der Abteilung "Fremde Heere Ost" (FHO). Gehlen wurde samt seiner "Organisation Gehlen" ("Org.") von der US-Army finanziert, bis 1948 die neugegründete CIA die Führung der "Org." übernahm. Bis die "Org." ihre neue Identität als "Bundesnachrichtendienst (BND)" annahm, investierten die USA rund 200 Millionen Dollar (vgl. Hachmeister 2008).

1945 sammelten die Amerikaner Wehrmachtsoffiziere in besonderen Lagern und unterzogen sie ausführlicher Befragung, da sie anfangs heftigen deutschen Widerstand und Nazi-Verschwörungen befürchteten. Umgekehrt hofften viele Deutsche auf eine Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion mit angloamerikanischer Unterstützung und lieferten den Westalliierten deshalb wichtige Informationen. Gehlen ergab sich am 22. Mai 1945 den Amerikanern und wurde zusammen mit anderen nach Camp King in der Nähe von Oberursel gebracht und dort verhört. Mit Hilfe des für die Verhöre beauftragen Captain John Boker gelang es Gehlen und einer kleinen Gruppe seiner engsten Mitarbeiter von der Liste der in den Händen der USA befindlichen Kriegsgefangenen gestrichen zu werden.[1] Im Juli 1946 wurde das Lager nach Frankfurt am Main verlegt. Durch die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse musste jedem Deutschen klar sein, dass die Alliierten, auch die Amerikaner, die NS-Verbrechen nicht vergeben und vergessen würden. Im beginnenden Kalten Krieg zwischen den Großmächten USA und Sowjetunion bestand erstmals für die Amerikaner Bedarf an präzisen Informationen über militärische Ziele wie Flugplätze, Kraftwerke, Ölraffinerien, Rüstungsfabriken, etc. und denkbare Anflugrouten für kernwaffentragende Fernbomber, die die Deutschen liefern konnten. Alle Besatzungsmächte begannen eifrig Menschen mit nachrichtendienstlicher Erfahrung unter den ehemaligen Feinden zu rekrutieren und lieferten sich einen Wettbewerb um Talente mit Osterfahrung und möglichst eigenem Informantennetz. Da die meisten der Umworbenen keine lupenreine Vergangenheit besaßen, beruhte ihre Rekrutierung meist auf einer Kombination von Locken und Erpressen. Je dunkler die Vergangenheit war, um so erpressbarer waren sie. Dies galt nicht nur für die amerikanischen Besatzer, die auf diese Weise Kriegsverbrecher wie Klaus Barbie freikauften und/oder ihnen die Flucht ermöglichten, sondern für alle Besatzungsmächte.

Auf Grund der guten Zusammenarbeit zwischen Gehlen und dem Geheimdienst der United States Army wurde im Juli 1946 die "Organisation Gehlen (Org.)" gegründet und ab Dezember 1947 in der ehemaligen Rudolf-Hess-Siedlung in Pullach untergebracht, wo sich noch heute die Zentrale des BND befindet. Ab 1949 übernahm die CIA die Organisation Gehlen. Die Organisation Gehlen nahm eine Doppelfunktion für die CIA und die noch junge Bundesrepublik Deutschland wahr. Reinhard Gehlen selbst verstand seine Organisation von Anfang an als eine Vorform eines irgendwann eigenständigen deutschen Nachrichtendienstes. Konrad Adenauer wurde von den Alliierten keine große Wahl bei der Berufung des eigenen Sicherheitsapparats gelassen. Daher war ihm klar, dass ein völlig unabhängiger westdeutscher Auslandsnachrichtendienst genauso undenkbar wie eine unabhängige westdeutsche Armee war. So akzeptierte er die Umwandlung der Organisation Gehlen, in der eine Reihe ehemaliger Wehrmachtsoffiziere ohne NS-Vergangenheit, RSHA- und SS-Mitglieder als Personalreserve „geparkt“ waren.

Auf „Empfehlung“ der Briten berief Adenauer den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin zu seinem „Berater in Sicherheitsfragen“. Dieser gründete eine Art Nachrichtendienst, die „Zentrale für Heimatdienst“, die mit Joachim Oster und Wilhelm Heinz als Prominente aus der ehemaligen "Abteilung Abwehr" (militärischer Geheimdienst der Wehrmacht) besetzt war. Im Gegensatz zu Gehlen unterhielt Heinz gute Kontakte zur französischen Besatzungsmacht.

Gehlen verstand es, in den ersten zehn Jahren nach Ende des Krieges durch die Anwerbung auch vieler Geheimdienstler mit zweifelhafter NS-Vergangenheit, wie Heinz Felfe, schnell einen professionellen Nachrichtendienst aufzubauen. Dieser war aber auch eben wegen dieser Belasteten von potentiellen Verrätern durchsetzt. Hunderte von Agenten, Funkcodes und Kommunikationswege wurden verraten. Doch angesichts der zahlreichen „Maulwürfe“ im britischen Geheimdienst war dies keine Gehlen-spezifische Erscheinung. So verstand Gehlen es, seine Rivalen um von Schwerin in Bonn ebenso als Auslandsgeheimdienst auszumanövrieren, wie ihm die Beschränkung des Militärischen Abschirmdienstes auf die Spionageabwehr der Bundeswehr und die Sicherheitsüberprüfung ihres Personals gelang. Auch mit Otto John, dem ersten Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, kam es zu Auseinandersetzungen. Gehlen war nicht ungeschickt darin, sich aus allen politischen Lagern Zustimmung für seinen Nachrichtendienst zu beschaffen. Dabei spielte seine Neigung, sich mit der Aura des Undurchschaubaren, Rätselhaften und Geheimnisvollen zu umgeben, ebenso eine Rolle wie sein Zusammenspiel mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", zu dem er enge Kontakte unterhielt. Auch dies war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass dort in den frühen 1950er Jahren ehemalige Wehrmachtsoffiziere arbeiteten.

Am 1. April 1956 ging aus der „Organisation Gehlen“ der Bundesnachrichtendienst hervor, dessen Präsident er bis 1968 war. Sein Deckname war „Dr. Schneider“. Mit dem technischen Wandel der Geheimdienstarbeit und unter dem Vorbild des großen Bruders USA verlagerte sich die Informationsbeschaffung zusehends von menschlichen Zuträgern zu leistungsstarken, technischen Mitteln. Mit der Gründung der Bundeswehr wechselten nicht wenige ehemaligen Wehrmachtsoffiziere aus der „Personalreserve“ in die neue, reguläre Armee. Damit schrumpfte die Bedeutung der alten Seilschaften aus den Tagen der „Fremde Heere Ost“ und zivile, besser ausgebildete Leute stießen zum BND. Schließlich wurde Gehlen selbst zu einem Relikt aus einer vergangenen Epoche. In seinem Buch „Verschlußsache“ (1980) kanzelte er seinen Nachfolger Gerhard Wessel ab und belastete dadurch für längere Zeit die notwendige Geheimdienstdebatte.

Reinhard Gehlen verhalf dem engsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann, dem österreichischen SS-Mitglied und von den Staaten Israel und Österreich steckbrieflich gesuchten Alois Brunner, zur Flucht nach Syrien und galt, laut Informationen aus Otto Köhlers Buch "Unheimliche Publizisten", als intimer Freund des DVU-Gründers Gerhard Frey.

Ein wichtiges Zeitdokument ist der Rückblick des BND-Chefs auf seine Tätigkeit in der Wehrmacht und in der Zeit bis 1968 in dem Memoiren-Band "Der Dienst" (1971).


Veröffentlichungen von Reinhard Gehlen

  • Zeichen der Zeit, v. Hase & Koehler Verlag, Mainz, Wiesbaden 1973.
  • Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971, v. Hase & Koehler, Mainz, Wiesbaden 1971. 424 Seiten, ISBN 3-920324-01-3
  • Verschlußsache, v. Hase & Koehler Verlag, Mainz, Wiesbaden 1980. 168 Seiten

Weblinks

  • Literatur von und über Reinhard Gehlen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • FOCUS-Biographie über Reinhard Gehlen


Quellen

1. ↑ a b Christopher Simpson: Blowback - The first full account of America's recruitment of nazis, and its disastrous effect on our domestic and foreign policy. Collier Books, New York 1989, ISBN 0-02-044995-X, S.41

Literatur über Reinhard Gehlen

  • Hachmeister, Lutz (2008) Weiße Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. FAZ 13.05.08: 50.