Reichstagsbrand

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der auf Brandstiftung beruhende Reichstagsbrand in Berlin vom Februar 1933 wurde von der nationalsozialistischen Regierung als Zeichen für einen kommunistischen Umsturzversuch gedeutet. Der am Tatort festgenommene Kommunist Marinus van der Lubbe aus Leiden in Holland wurde für die Tat verurteilt und im Januar 1934 hingerichtet. Von 1967 an wurde das Urteil mehrfach abgemildert und 2007 schließlich endgültig aufgehoben.

Während van der Lubbe im Prozess erklärt hatte, dass die Brandstiftung als Protest gegen die Lage der Arbeiter in Deutschland gemeint gewesen sei, vermochte die Regierung das Geschehen gegen die Kommunistische Partei und für die schlagartige Verbesserung ihrer Machtposition zu nutzen, ermöglichte es ihr doch

  • die Verhaftung aller kommunistischer Abgeordneten und eine Veränderung der parlamentarischen Machtverhältnisse zugunsten der NSDAP (die sie sich noch unter dem Eindruck des Reichstagsbrands auch durch die folgenden Wahlen bestätigen lassen konnte)
  • die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes und Abschaffung des Rechtsstaats
  • die Stabilisierung der zunächst noch prekär gewesenen NS-Herrschaft in Deutschland.

Prozess

Van der Lubbes Mitangeklagte - nämlich der KPD-Fraktionsvorsitzende im Reichstag, Ernst Torgler, sowie drei bulgarische Komintern-Funktionäre - wurden entgegen den Erwartungen der politischen Führung mangels Beweisen für eine Verschwörung freigesprochen. Van der Lubbe wurde für schuldig befunden und wegen Hochverrats und Brandstiftung - die Lex van der Lubbe hätte nachträglich auch allein für Brandstiftung die Todesstrafe ermöglicht - zum Tode verurteilt und am 10.01.1934 mit der Guillotine hingerichtet. Der Ausgang des Prozesses war für die damalige Regierung wegen der Freisprüche (und für später Zeiten wegen der Verurteilung) unbefriedigend. Die damalige Regierung wurde dadurch zur Schaffung einer außerordentlichen Strafgerichtsbarkeit in der Form des Volksgerichtshof veranlasst. Spätere Zeiten bemühten sich um nachträgliche Korrekturen. Nachdem das Urteil 1967 in Bezug auf Hochverrat und 1980 auch in Bezug auf Brandstiftung aufgehoben worden war, ließ der Bundesgerichtshof es 1983 aber auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Brandstiftung bestehen. Als es dann 2007 auf der Grundlage des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege mit der Begründung vollständig aufgehoben wurde, dass die verhängte Todesstrafe auf "spezifisch nationalsozialistischen Unrechtsvorschriften" beruhte, hatte man offenbar den Überblick verloren, denn da die Todesstrafe um jene Zeit schon längst rechtswirksam aufgehoben worden war, wäre der einzig denkbar Gegenstand einer Urteilsaufhebung nur noch die verbliebene Freiheitsstrafe gewesen.

Diskussion

Die Nützlichkeit des Reichstagsbrands für die Stabilisierung der NS-Macht ließ viele Beobachter nach dem Grundsatz cui bono schon seit 1933 an eine Inszenierung der Brandstiftung durch das Regime glauben. In der Nachkriegszeit wurde diese Verschwörungstheorie zum Beleg für den diabolischen Charakter der NS-Herrschaft. Der Konsens über die NS-Täterschaft wurde auch und gerade innerhalb der Historikerzunft nicht mehr in Frage gestellt: "Und so las man in Walther Hofers 1957 erschienener Dokumentensammlung zum Nationalsozialismus, es sei 'geschichtlich erwiesen', dass nicht der holländische Rätekommunist Marinus van der Lubbe den Brand gelegt habe, sondern die Verschwörer Goebbels und Göring, die 'wahrscheinlich, aber nicht erwiesenermaßen, mit Wissen Hitlers handelten'" (Jäger 2011). Als der Nicht-Historiker Fritz Tobias wenig später die Argumente für eine Alleintäterschaft van der Lubbes darlegte, wurde er als "Amateurhistoriker" und durch eine ihm fälschlich unterstellte Mitgliedschaft in der Geheimen Feldpolizei gesellschaftlich diskreditiert. Golo Mann schrieb Tobias in einem Brief vom September 1961, seine These möge zwar vielleicht wahr sein, aber er gestehe, dass sie ihm "sozusagen volkspädagogisch unwillkommen wäre" (Jäger 2011). Der junge Hans Mommsen ließ sich aber überzeugen. Ebenso wie - viel später - die führenden Historiker der Republik wie u.a. Hans-Ulrich Wehler und Heinrich-August Winkler. Die Diskussion um die Täterschaft ist seither nicht mehr tabuisiert und wird weiter geführt.

Literatur

  • Backes, Uwe/Karl-Heinz Janßen/Eckhard Jesse/Henning Köhler/Hans Mommsen/Fritz Tobias (1986) Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende. München: Piper.
  • Bahar, Alexander/Wilfried Kugel (2001) Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. Berlin: edition q.
  • Deiseroth, Dieter (2009) Der Reichstagsbrand-Prozess – ein rechtsstaatliches Verfahren? in: Kritische Justiz 42: 303–316.
  • Hofer, Walther (1957) Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Frankfurt a.M.: Fischer.
  • Hofer, Walther/Edouard Calic/Christoph Graf/Friedrich Zipfel (1992) Der Reichstagsbrand – Eine wissenschaftliche Dokumentation. Freiburg i.Br.: Ahriman-Verlag.
  • Jäger, Lorenz (2011) Ein Feuer im Reichstag und ein Täter aus Holland. Er war nicht vom Fach und forderte doch die Geschichtswissenschaft heraus: Zum Tode von Fritz Tobias. FAZ 07.01.2011: 34.
  • Tobias, Fritz (1962) Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit. Rastatt: Grote.

Weblinks

  • Reichstagsbrand in: de.wikipedia [[1]]
  • Reichstag fire in: en.wikipedia [[2]]