Rechtspositivismus

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Der Rechtspositivismus definiert Recht nicht über vorgebliche Bezüge zu einem göttlichen Willen, zum Natur- oder Vernunftgesetz, sondern schlicht als die Summe aller positiven, d.h. vom Gesetzgeber in einem förmlichen Verfahren erlassenen Gesetze. Das hat auch Folgen für den Verbrechensbegriff: Verbrechen ist alles (aber auch nur das), was vom Gesetz so bezeichnet wird.

Die Tradition des Rechtspositivismus geht weit hinter Comte zurück. Ius positum, das „positive Recht“, war seit der Antike der Terminus für „gesetztes“ Recht (von lat. ponere setzen, positum gesetzt), das heißt ein nach Ermessen vom jeweiligen Gesetzgeber gesetztes Recht, wie etwa das Verwaltungsrecht. Es wurde weder mit einem Rückbezug auf das ius divinum, das göttliche Recht der Bibel legitimiert, noch über Naturrechte, also allen Menschen natürlich und gleichermaßen zukommende Rechte. Der Begriff erfuhr im Lauf des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung als grundlegende Option der gesamten Rechtsbegründung, bei der es primär darum gehen sollte, das Zusammenleben nach Konsens im Staatswesen zweckmäßig zu organisieren. Die Setzungen erwiesen sich in der Rechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts als problematisch, als nach dem Zweiten Weltkrieg Richter sich für Rechtssprüche aus der Zeit des Nationalsozialismus verantworten mussten.

Die grundlegende Option war die des Rechtspositivismus, der den Richter nicht zum Ausführenden eines höheren göttlichen Rechts macht, sondern anweist nach einer Rechtslage zu urteilen, für die der Staat verantwortlich zeichnet. Vertreter grundsätzlicher Menschenrechte sahen in der blinden Ausführung von Gesetzen eines Unrechtsregimes einen intrinsischen Widerspruch, hinter dem die Bereitschaft der Justiz sichtbar werde, sich instrumentalisieren zu lassen.

Die Frage blieb, ob man an selber Stelle zu einer anderen Rechtsnorm zurückkehren wollte, nach der Richter nach eigenem Ermessen (im Blick auf eine ihnen höher erscheinende Rechtsnorm) gegen die Gesetze urteilen und damit Gesetze brechen dürften. Vertreter des Rechtspositivismus bestehen in der Debatte darauf, dass keine Position als die des Rechtpositivismus sich stärker der Diskussion aussetze und klarer Verantwortung erfordere – allerdings die Verantwortung der gesamten Gesellschaft für ihr Recht.

Neben dem erkenntnistheoretischen Rechtspositivismus als wissenschaftlicher Theorie wird mit dem Begriff meistens der praktische Rechtspositivismus (Gesetzespositivismus) in Verbindung gebracht: Eine Rechtsanwendung ist dann als positivistisch zu bezeichnen, wenn sie sich nur am vorgegebenen Gesetz orientiert und gegenüber außerrechtlichen Prinzipien undurchlässig ist.

Positives Recht

Der Begriff des positiven Rechts („ius positivum“) steht seit der Antike für „gesetztes“ Recht (von lat. ponere setzen, positum gesetzt). Das positive Recht entspringt dem Ermessen eines Gesetzgebers und ist damit weder durch einen Rückbezug auf das ius divinum (Göttliches Recht) legitimiert noch durch eine Bindung an ein alle Menschen gleichermaßen umfassendes und damit natürlich zukommendes Recht (Naturrecht).

Der Begriff des positiven Rechts erfuhr im Lauf des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung als grundlegende Option der gesamten Rechtsbegründung, bei der es primär darum gehen sollte, das Zusammenleben nach Konsens im Staatswesen zweckmäßig zu organisieren.

Die Setzungen erwiesen sich in der Rechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts als problematisch. In der Weimarer Zeit wurden die positivistischen Rechtstheorien in dem sogenannten Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre vor allem von Hermann Heller, Rudolf Smend, Erich Kaufmann und Carl Schmitt kritisiert. Intensiviert wurde die Problematik, als sich nach dem Zweiten Weltkrieg Richter für Rechtssprüche aus der Zeit des Nationalsozialismus verantworten mussten und ihre Entscheidungen mit dem positiven Recht begründeten.

Das führte in der Nachkriegszeit dazu, dem Rechtspositivismus eine Mitschuld am Siegeszug des Totalitarismus zu geben. Gustav Radbruch glaubte 1946 erkennen zu können: "Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung 'Gesetz ist Gesetz' den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts."

Die strikte Trennung von Recht und Moral (Vertreter: Hans Kelsen, H.L.A. Hart) kennt keine rechtsimmanente Schranke gegen die Möglichkeit, dass ein Gesetzgeber moralisch unvertretbare Gesetze etabliert. Nach Hart ist in solchen Fällen aber das Gesetz nicht anzuwenden: "Recht ist nicht Moral, lass es nicht die Moral verdrängen!"

Vor 1933 neigte Gustav Radbruch dem Rechtspositivismus im Sinne von Thomas Hobbes zu ("Auctoritas, non veritas facit legem"). So verlangte Radbruch 1932 zur Stabilisierung der Rechtssicherheit als dem de facto höchsten Rechtswert: "Für den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes zur Geltung zu bringen, das eigene Rechtsgefühl dem autoritativen Rechtsbefehl zu opfern, nur zu fragen, was Rechtens ist, und niemals, ob es auch gerecht sei ...".

"Positivistische Richter im Sinne Radbruchs hätten Sand ins Getriebe des Totalitarismus streuen müssen. Die Pervertierungen nationalsozialistischer Rechtsprechung beruhen maßgebend auf Opportunismus und aufklärungsfeindlicher Gesinnung eines Teils der damaligen Richterschaft" (Björn Schumacher in: FAZ 17.11.2011: 34).

Literatur

  • Adolf Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, In: Verdross, Alfred (Hg.): Gesellschaft, Staat und Recht. Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstag gewidmet (unveränderter Nachdruck der Ausgabe von Julius Springer, Wien 1931) Frankfurt/Main: Sauer und Auvermann 1967, S. 252-294.
  • Hans Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, hg. von H. Klecatsky, R. Marcic u. H. Schambeck (Wien-Salzburg 1968).
  • Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hg. Kurt Ringhofer, Robert Walter (Wien 1979).
  • Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl. 1960.
  • Herbert Lionel Adolphus Hart, Recht und Moral. 3 Aufsätze. Aus d. Engl. übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Norbert Hoester, Göttingen, 1971
  • Herbert Lionel Adolphus Hart, Der Positivismus und die Trennung von Recht und Moral, 1957, in: ders., Recht und Moral, hrsgg. v. N. Hoerster, 1971, S. 14 ff.;
  • Herbert Lionel Adolphus Hart, Der Begriff des Rechts, 1973
  • William Ebenstein, Die rechtsphilosophische Schule der Reinen Rechtslehre (1938), 1969
  • Walter Ott, Der Rechtspositivismus. Kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus, 1976.
  • Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden, 1984
  • Michael Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H.L.A. Harts. Ein kritischer Vergleich, Bonn, Univ., Diss., 1992, Berlin 1993
  • Norbert Hoerster, Verteidigung des Rechtspositivismus, 1989
  • Norbert Hoerster, Was ist Recht?, 2006 (insbesondere S. 65 bis 78)
  • Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Studienausgabe, 1999

Weblinks

Quellen

Bearbeitet auf der Grundlage von de.wikipedia Rechtspositivismus