Ralf Witte

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Ralf Witte (*1964) verbrachte fünf Jahre einer auf zwölf Jahre und acht Monate lautenden Freiheitsstrafe in Haft, bevor er 2009 freigelassen und 2010 nach anderthalb Jahren Wiederaufnahmeverfahren vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde. Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte entlastendes Material zurückgehalten, gegen die Berichterstatterin der Hannoveraner Strafkammer, die Witte 2004 zu Unrecht verurteilt hatte, wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage eingeleitet, gegen die Hannoveraner Staatsanwälte ein Verfahren wegen Rechtsbeugung.

Mit seiner Haftentschädigung war Witte nicht zufrieden. Von den 25,00 Euro pro erlittenem Hafttag wurden noch die Kosten für seine Verpflegung abgezogen.

Ein Spiegel-Online-Leser kommentierte den aus den USA berichteten Fall eines Justizopfers, das für zwei Jahre Haft eine Millionenentschädigung erhielt (15,5 Mio. USD):

"Da fällt mir Ralf Witte ein, der, mit freundlicher Unterstützung der politisch korrekten deutschen Staatsanwaltschaft von einer geisteskranken, kleinen Schlampe denunziert, fünf Jahre unschuldig im Gefängnis sass. - Das wären dann 5/2 x 15,5 Mio USD (12 Mio EUR) = 38,75 Mio USD (19,9 Mio EUR). Für Herrn Witte und den Rechtsstaat wäre ich als einer von 84 000 000 Deutschen bereit, meine rund 24 Cent zu geben, um Herrn Witte eine Entschädigung von 19,9 Mio EUR zu finanzieren."


Der zuständige niedersächsische Justizminister Bernd Busemann erklärte zu dem Fall:

"Für mich persönlich, aber ich denke doch für die gesamte Justiz, d.h. Staatsanwaltschaft, aber ich denke auch sogar unabhängige Gerichtsbarkeit, dass sowas natürlich außerordentlich leid tut. Keiner geht in die Justiz, um es dazu kommen zu lassen, dass es zu fehlerhaften Verurteilungen kommt. Grade auch von dieser Tragweite. Das tut uns allen schon sehr leid." (ARD Panorama 23.09.2010)

Schon 2008 hatte sich Bernd Busemann gegenüber der FAZ zum Thema Haftentschädigungen folgendermaßen geäußert: „Ich streite nicht ab, dass die Haftentschädigung in Einzelfällen zu unbefriedigenden Lösungen führt“. Er könne sich aber allenfalls eine Erhöhung um einige Euro vorstellen. Für ihn schien das Thema jedoch nicht zu drängen: „…Aber unbefriedigende Situationen sind dem Recht immanent.“ Die Forderung nach einer Erhöhung auf hundert Euro pro Tag in Haft hielt er „geradezu für abstrus“. (FAS)

Weblinks und Literatur


Wie Gerichte den Rufmord im Namen des Volkes Urteilskraft erlangen lassen, war bei Ralf Witte zu erleben. Der Straßenbahnfahrer saß mehr als fünf Jahre unschuldig in Haft. Ein Kindermädchen hatte ihn in verleumderischer Weise der Vergewaltigung beschuldigt. (...) Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte (...) gingen von der Erwartung aus, es mit einer Vergewaltigung zu tun zu haben und dem Opfer daher zu glauben ist. Witte kam so in die Situation, seine Unschuld beweisen zu müssen, was aber fast immer unmöglich ist. Im heutigen gesellschaftspolitischen Klima fürchten Polizei und Justiz vor allem eines: Den Vorwurf des Täterschutzes. Das gilt besonders bei Sexualdelikten mit minderjährigen Opfern. Ein Freispruch setzt daher Polizei und Gerichte unter größeren Legitimationsdruck als eine Verurteilung, selbst wenn die Beweise zweifelhaft sind. Ein Justizirrtum ist für die Reputation von Polizei und Gerichte schlicht günstiger als der Freispruch für einen potentiellen Täter. Man muss nur in solchen Fällen die Reaktionen in den Medien oder sozialen Netzwerken beobachten, wo niemand unter der Voraussetzung namens Unschuldsvermutung argumentiert. Höcker erwähnte seinen Mandanten Jörg Kachelmann. Dort war der Vergewaltigungsvorwurf zum Glaubenskrieg rivalisierender Medien degeneriert, der alle Prozessbeteiligten in eine aussichtslose Lage gebracht hatte, allerdings mit dem Schweizer Meteorologen als Opfer. Wenn solche Verfahren zum Symbol für gesellschaftspolitische Konflikte gemacht werden, bleibt die Rechtsprechung auf der Strecke. Das kann die Justiz nicht leisten, auch wenn sie alle Seiten genau dafür instrumentalisieren wollen. Nur das lässt sich aus dem Fall Kachelmann lernen.