Public Criminology

Public Criminology ist ein der Soziologie entliehener Ansatz (Michael Burawoy: Public Sociology[1]), der den Wissenschafts-Praxis-Transfer beleuchtet. Der Ansatz wurde von zahlreichen Kriminologen aufgegriffen und für die Kriminologie adaptiert[2] [3]. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Diskrepanz zwischen dem Erfolg der Kriminologie als akademische Disziplin und dem - im Vergleich hierzu - geringen kriminalpolitischen Einfluss kriminologischen Wissens. In einer jüngeren Publikation wird Kriminologie daher als "erfolgreicher Fehlschlag" (successful failure) bezeichnet.

Kriminologie als "successful failure"

We might call this a paradox of successful failure. On one hand, the story goes, criminology is booming. It boasts new courses, more jobs, more students, new journals, more and larger conferences, bigger and new professional associations, the creation and awarding of prizes—in short, and against the inclinations and expectations of some of its leading figures, the entire paraphernalia and institutional apparatus of a discipline. On the other hand, this has coincided with, or may even have been an effect of, the rising prominence of crime within the mundane culture and political programmes of a number of Western societies, and the increasing drift towards more punitive solutions to crime and more intrusive approaches to security issues that is evident today.[2]

Idealtypen kriminologischer Forscher

In Anlehnung an ein von Michael Buroway entworfenes Analyseschema der vier Divisionen soziologischen Wissens (vgl. hier) konstruieren Loader und Sparks (2010, S. 41)[4] fünf Idealtypen kriminologischer Forscher, die sie hinsichtlich ihres jeweiligen Wissenschaftsverständnisses, ihrer präferierten Methoden und vor allem hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf den kriminalpolitischen Diskurs unterscheiden:

Scientific expert

Der wissenschaftliche Experte betreibt eine evidenzbasierte Kriminologie, untersucht auf Basis von Langzeitstudien Ursachen, Verhalten, Situationen und Kosten in Bezug auf Kriminalität und evaluiert Maßnahmen der Verbrechenskontrolle. Dabei setzt er auf ein interdisziplinäres Wissenschaftsverständnis und ist in eine internationale Gemeinschaft von Wissenschaftlern eingebunden. Der wissenschaftliche Experte steht in Nähe zur Politik, Gesetzgebung und Öffentlichkeit, verhält sich jedoch politisch neutral. Seine oberste Maxime ist die Erlangung eines rationalen und datenbasierten Verständnisses von Kriminalität, das Politik, Praktikern im Feld der Kriminalitätsbekämpfung und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden soll.

Policy advisor

Der Politik-Berater ist Opportunist. Auch ihm geht es – wie dem wissenschaftlichen Experten – um Erlangung gesicherten Wissens über die Entstehungsbedingungen und Kontrolle von Kriminalität. Er will die Autonomie universitärer Forschung bewahren, sucht aber zugleich Möglichkeiten der Einflussnahme auf internationale, nationale und lokale Politiken. Um dies zu erreichen, tritt er beratend den unterschiedlichen mit der Kriminalitätskontrolle und Strafvollstreckung befassten Akteuren zur Seite.

Observer-turned-player

Vom Beobachter zum Entscheidungsträger – Dieser Typus bezweifelt, dass sich allein durch beratende Tätigkeit – wie sie vom Policy Advisor angestrebt wird – der gewünschte Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse erzielen lässt. Konsequenterweise sucht er selbst politischen Einfluss, um das System “von innen” zu verändern.

Social movement theorist/activist

Der Aktivist bemängelt die Nähe der Kriminologie zu staatlichen Institutionen der Verbrechenskontrolle und tritt für eine Autonomie der Kriminologie ein. Um Kritik an herrschenden Diskursen üben zu können, sei eine Distanz erforderlich. Die Aufgabe der Kriminologie besteht nach Ansicht dieses Typus’ darin, Probleme zu thematisieren und an den Staat heranzutragen – nicht jedoch darin, sie zu lösen. Im Mittelpunkt stehen dabei die empirische Erforschung des Zusammenhanges von Kriminalitätsproblemen und sozialer Ungleichheit. Politische Bemühungen müssten weiter ausgebaut werden, um neue Formen von Anerkennung und Schutz für sozial ausgeschlossene Gruppen zu ermöglichen.

Lonely prophet

Der einsame Prophet betrachtet Kriminalitätsphänomene und Maßnahmen der Verbrechenskontrolle vor dem Hintergrund sozialer, ökonomischer, kultureller und technologischer Veränderungen. Diese vielfältigen Veränderungen (das „Big Picture“) müssten in Überlegungen der Kriminologie einfließen; nur so ließen sich aktuell zu beobachtende Phänomene wie z.B. der ‘punitive turn’ als eine Eskalation gesellschaftlicher Entwicklungen begreifen und adäquat darauf reagieren.


Weblinks und Literatur

  1. Webseite von Michael Burawoy mit zahlreichen Verweisen zum Thema "Public Sociology"
  2. 2,0 2,1 Loader, I., & Sparks, R. (2008). ‘What are we gonna do now?’ Revisiting the public roles of criminology: Criminal Justice Matters. Criminal Justice Matters, 72(1), S. 18.
  3. Christopher Uggen, Michelle Inderbitzin, (2010) Public criminologies. Criminology & Public Policy 9:4, pages 725-749.
  4. Loader, I. and R. Sparks (2010), Public Criminology?: Criminological Politics in the 21st Century, London: Routledge.