Prognosegutachten

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Obwohl die Gütekriterien von Prognosegutachten im Prinzip bekannt sind, werden sie nicht immer eingehalten. Ein großer Teil der Gutachten (die Rede ist von der Hälfte) gilt als "schlecht" oder "sehr schlecht", weil z.B. Familien-, Sexual-, Eigen- und Deliktanamnesen, Angaben zum Krankheitsverlauf und testpsychologische Befunde fehlen, weil Vorbefunde unkritisch übernommen werden, die Auslösetat nicht hinreichend (z.B. im Hinblick auf psychotrope Substanzen) analysiert wird, bzw. der jüngere Entwicklungsverlauf des Begutachteten, seine Außenkontakte und Zukunftsperspektiven ausgeblendet bleiben.


Standards

Ein Zug zur Etablierung von Standards ist unverkennbar. Ausgehend von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1999 zu Mindeststandards bei Glaubhaftigkeitsgutachten (BGHSt 45: 164) ist auch die Qualität von Prognosegutachten erneut in den Blickpunkt gerückt worden (vgl. Dahle 2005: 13). Standardisierungsversuche wurden etwa von Bötticher u. a. (2006) unternommen. Danach muss der Prognosegutachter belegte Informationen und Befunde transparent und für den Rechtsanwender nachvollziehbar zu Grunde legen und aus diesen seine Wahrscheinlichkeitsaussagen nachvollziehbar ableiten. Prognosegutachter werden die verfügbaren schriftlichen Informationen wie Gerichtsakten, Urteilsbegründungen, ggf. vorhandene Vorgutachten sowie die Dokumentation der bisherigen Vollstreckung auswerten. In der ausführlichen Exploration wird neben der biografischen und insbesondere kriminellen Anamnese zu beurteilen sein, wie der Verurteilte zum Anlassdelikt steht, welche Sichtweisen zum Tatvorlauf bzw. mit Blick auf eventuell Geschädigte der Verurteilte aktuell einnimmt usw. Eigenes Beziehungsverhalten sowie Suchtmittelkonsum sind weitere unverzichtbare Themenfelder. Zudem wird der Prognosegutachter in der Exploration im Zuge seiner Verhaltensbeobachtung, die er gegebenenfalls durch testpsychologische Befunde ergänzt, seinen Eindruck zur Persönlichkeitsentwicklung bzw. zur aktuellen psychischen Befindlichkeit des Betroffenen erheben. Darüber hinaus werden in jüngster Zeit empirisch relativ gut abgesicherte Schätzverfahren verwendet (vgl. Hart u. a. 1995 sowie Müller-Isberner u. a. 1998), die auf der Grundlage der erhobenen Daten geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens künftiger Verhaltensauffälligkeiten abzuschätzen. Am Ende hat sich die kriminalprognostische Aussage auf die Umstände einzugrenzen, für die die Prognose gelten soll. Es sind diejenigen Variablen zu benennen, die dass individuelle Rückfallrisiko beeinflussen können. Kritisch zu solchen Standards äußert sich Pfäfflin (2006).


Literatur

Bötticher Dahle Hart u.a. 1995 Müller-Isberner u.a. 1998 Pfäfflin 2006