Pregizer-Gemeinschaft

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Die nach dem volkstümlich-charismatischen Erweckungsprediger Christian Gottlob Pregizer (1751-1824) benannte Pregizer-Gemeinschaft ist eine einstmals radikale pietistische Gruppierung in einem Teil Württembergs (vor allem im Schwarzwald, im Remstag, bei Tübingen und Vaihingen an der Enz). Sie entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem der ehemalige Tübinger Schloßprediger Pregizer 1795 eine Pfarrersstelle in Haiterbach bei Nagold angenommen hatte und in Kontakt mit radikalpietistischen Gemeinschaften gekommen war, die sich relativ kirchenfern und -kritisch in Privathäusern zu Bibelstudien und Gesängen zu treffen pflegten. Diesen Gemeinden sprach er aus dem Herzen und lieferte zudem eine relativ solide theologische Legitimation. Bald bezeichneten sich immer mehr Gemeinschaften der näheren und weiteren Umgebung als „Pregizer" "Pregizerianer", ohne dass er sich allzu sehr um sie kümmerte.

Die "Pregizer" waren auch als die "Seligen" oder "Gerechten" bekannt und genossen ihr "Freudenchristentum". Jedenfalls zeigten sie durch die vergleichsweise beschwingten weltlichen Melodien, mit denen sie viele ihrer Lieder unterlegten, immer wieder ihre Freude über den „seligen Gnadenstand“, in dem sie sich ihrer Ansicht nach bereits unumkehrbar befanden. Eine gängige Bezeichnung für die Pregizer war auch "Juchhe-Christen" oder "Stündler".

"Juchhe-Christen" bezieht sich auf eine Besonderheit der Pregizerianer: Nach einer jahrelangen Depression, aus der Pregizer mit Hilfe der Erbauungsliteratur von Stephan Praetorius herausgefunden hatte, entwickelte er eine fast magische Sicht auf Abendmahl und Taufe, derzufolge die „Begnadigung und Beseligung des Sünders ein für allemal" erfolge, die Problematik der Erbsünde/Sündigkeit des Gläubigen also erledigt sei. Seine positive Energie sprach vor allem die einfachen Leute, die unter schwierigsten Bedingungen ihr Leben fristeten, an: "Seine originellen, sehr populären Predigten mit gereimten Themen, hie und da im Dialekt gehalten, mit Feuer vorgetragen und auf echter Frömmigkeit ruhend, wobei der selige Gnadenstand der Kinder Gottes, auch die zukünftige Seligkeit mit starken, oft krassen Farben ausgemalt wurde, zogen sehr viele Zuhörer an, besonders aus den ungebildeten Ständen" (Schott 1888: 548).

"Stündler" bezieht sich auf die Tradition, sich einmal in der Woche - meist sonntags - in überschaubaren "Hauskreisen" zu treffen. Das sind regelmäßige Bibelstunden, die als unerlässlicher Bestandteil gemeindlichen Lebens betrachtet werden. Die in Württemberg entstandene sogenannte Stunde, die sich schnell in der süddeutschen Region verbreitete und von dort als feste Einrichtung durch auswandernde Siedler nach Russland und auf den Balkan mitgenommen wurde (hier wurde die Stunde beziehungsweise Bibelstunde zum besonderen Merkmal der Protestanten; man bezeichnete sie nach ihrer Bibelstundenpraxis als Stundisten = russ. Stundisty), war ein Freiraum, in dem auch Laien zu Wort kamen. Stundenhalter und Bibelboten zogen von Ort zu Ort und verkündigten hier anhand der Bibel ihre erweckliche Botschaft. Anders als im Sonntaggottesdienst waren in der Bibelstunde Rückfragen erlaubt und das vertiefende Gespräch und die theologische Diskussion sogar gewünscht. Die offiziellen Kirchen bekämpften an vielen Orten die sich ausbreitende Bibelbewegung als Konventikelunwesen. Andere Kirchen nutzten diese Impulse des Pietismus und der Erweckungsbewegung und machten die Bibelstunde zum festen Programmpunkt ihrer Gemeindearbeit.

Für die Bibelstunde gibt es keine festgelegte Struktur; in der Regel hat sich aber folgender Ablauf entwickelt: Nach einer kurzen Begrüßung, einem gemeinsam gesungenen Lied und einem Eingangsgebet gibt der Versammlungsleiter eine Einleitung zu dem zu besprechenden Bibeltext. Danach wird ermutigt, Rückfragen zu stellen. In einem vierten Teil wird anschließend anhand von Fragen und ergänzenden Beiträgen das Verständnis des Bibelabschnitts vertieft. Freie Gebete - oft auch eine Gebetsgemeinschaft - schließen die Bibelstunde ab.

Revolte und Kontrolle

Die Zeit um 1800 war eine Phase der religiösen Erregung in Württemberg. Ein rationalistisch gefärbtes Gesangbuch musste mit zum Teil militärischer Gewalt eingeführt werden.

Die pietistischen Laiengemeinschaften waren wegen ihrer weitgehend von den Amtskirchen und offiziellen Gottesdiensten abgekoppelten Vergemeinschaftung immer in Gefahr der Abspaltung und in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung für die kirchliche wie für die weltliche Obrigkeit. Die Freude der Pregizerianer über den bereits erlangten Stand der Gnade und Beseligung - dazu ihre Gepflogenheit, auch sonntags zu arbeiten und z.B. am Abendmahl ohne vorherige Beichte und Vorbereitung teilzunehmen - weckten weithin Misstrauen.

Pregizer trug aber letztlich nach Schott (1888: 548) "viel dazu bei, die Leute von Separation von der Kirche, von Unbotmäßigkeit gegen die Obrigkeit, überhaupt von Ausschreitungen zurückzuhalten." Dabei absolvierte er eine Art Gratwanderung zwischen Obrigkeit und Gemeinde: "1808 wurde ihm von Seiten des Consistoriums sein Glaubensbekenntniß abverlangt, man fand zwar in demselben keine eigentlichen Irrlehren, wohl aber viel Unklares und Mystisches, während seine sonstige treue Amtsführung, seine Sorge für die Schule, sein unbescholtener Wandel anerkannt werden mußten. In diesem Ruf erhielt er sich auch bis zu seinem Ende" (Schott 1888: 548).


Ende des 19. Jahrhunderts hieß es in der Deutschen Biographie über Pregizer (Schott 1888: 548 f.): :"Seine Anhänger finden sich noch gegenwärtig in verschiedenen Gegenden Württembergs, haben ihre heiteren Singweisen, überhaupt ihre Auffassung von der Rechtfertigung beibehalten; in der Liedersammlung für gläubige Kinder Gottes, 2. Aufl. Backnang 1849 finden sich einige religiöse Lieder von P., die zum Theil schwunghaft sind, aber auch [549] theilweise sehr einfach und geschmacklos; eines derselben von 53 Versen zeigt mit den Anfangsbuchstaben das Akrostich: Eleonora Elisabetha Pregizerin Stadtpfarrerin in Haiterbach!"

"Mit der württ.-biblizistischen Tradition teilten sie besonders die heilsgeschichtlich-mythologischen Vorstellungen von Chiliasmus und Apokatastasis panton. Die Originalität der Anfangsjahre nach und nach hinter sich lassend, verstehen sie sich heute als „unabhängige brüderliche Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche zum Zweck der geistlichen Erbauung“ (Raupp 2001: 684 f.).


Literatur

  • Burkhardt, Friedemann (2003) Christoph Gottlob Müller und die Anfänge des Methodismus in Deutschland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 46
  • Düker, Eckhard (2003) Freudenchristentum. Der Erbauugsschriftsteller Stephan Praetorius. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Fritz, Eberhard (2008) Christian Gottlob Pregizer und die 'Pregizerianer'. Zur Genese einer pietistischen Gruppierung im frühen 19. Jahrhundert. In: Norbert Haag, Siegfried Hermle, Sabine Holtz, Jörg Thierfelder (Hrsg.): Tradition und Fortschritt. Württembergische Kirchengeschichte im Wandel. Festschrift für Hermann Ehmer zum 65. Geburtstag. (Epfendorf / Neckar:) bibliotheca academica Verlag) = Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte. Hrsg. von Martin Brecht und Hermann Ehmer, Bd. 20: 239-268.
  • Krohmer Walter (1987) Glaubensväter der Kirche: originelle Württemberger im Talar. Schweickhardt, Lahr-Dinglingen.

Weblinks