Peter-Jürgen Boock

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Peter-Jürgen Boock (* 3. September 1951 in Garding) ist ein ehemaliges Mitglied der sogenannten „Zweiten Generation“ der Rote Armee Fraktion (RAF), die von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre aktiv war. Unter anderem soll er an der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto beteiligt gewesen sein. Ende 1979 sagt er sich von der RAF los und lebt bis zu seiner Verhaftung 1981 unerkannt in Hamburg. 1984 wird Boock erstmals zu dreimal lebenslänglicher Haft verurteilt; später wird das Urteil auf einmal lebenslänglich reduziert.

Leben

Kindheit und Jugend

Die ersten sieben Jahre verbringt Boock mit seiner Großmutter, da seine Eltern in Hamburg arbeiten. Seit seinem siebten Lebensjahr ist Boock mit den Eltern in Hamburg-Billstedt wohnhaft, wobei er diese Wohnsituation in einem Interview mit Timm Kunstreich eher negativ darstellt. In dem Stadtteil wurden sogennante Großsiedlungen in Plattenbauweise errichtet, in denen gesellschaftliche Außenseiter zwangsweise seßhaft gemacht wurden. Dieses führte zu sozialen Spannungen, in denen sich verschiedene Gruppierungen wie z.B. die späteren Hells Angels bildeten (früher Bones genannt), zu denen Boock näheren Kontakt pflegte. In dieser Zeit kommt es zu seinen ersten Drogenerfahrungen und zum ersten Selbstmordversuch. Aufgrund von permanenten Auseinandersetzungen mit dem Vater, einem ehemaligen Wehrmachtsoldaten, der Alkoholkrank ist – laut Boock ein „überzeugter Nazi“– verlässt er mit 15 Jahren (August 1967) sein Elternhaus. Sein Ziel: zu Verwandten nach Dessau in die DDR zu fahren. In Hagenow wird er von DDR-Posten in ein Ost-Aufnahmelager gebracht. Nach einigen Tagen wird er zu seinem Eltern zurückgeschickt. 1968 beendet er die Realschule und beginnt eine Lehre als Maschinenschlosser, die er jedoch nach wenigen Wochen abbricht. Im Juni 1968 flüchtet Boock in eine Kommune in die Niederlande.

Heimeinweisung

Nach einer Festnahme wegen Besitzes von Haschisch, wird Boock wieder nach Hamburg ausgeliefert. Sein Vater hat ihn zur Fahndung ausschreiben lassen. "Hier in Hamburg angekommen, war es das zweite Mal, daß ich beim Jugendamt als Entwichener angeliefert wurde. Ich geriet an eine etwas ältliche Sozialarbeiterin, die in Meyers Konversationslexikon unter 'H' wie Haschisch nachguckte und rausfand, daß es Rauschgift ist. Sie hat wohl - das konnte man an ihrer Stirn ablesen - die Vorstellung gehabt, daß ich nachts im Park über alte Omas herfalle, um meine Sucht zu finanzieren" (Kunstreich 2001: 86). Nach diesem Vorfall und einem weiteren Selbstmordversuch wird er nacheinander in diverse Erziehungsheime eingewiesen, so auch in das Jugendheim in Glücksstadt, wo er unter anderem an der Glückstädter Heimrevolte beteiligt ist.

Boock und die RAF

Erste Kontakte zu späteren RAF-Mitgliedern

Während der sogenannten Heimkampagne trifft er mit siebzehn zum ersten Mal auf die späteren RAF-Mitglieder Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Damals ist er im Heim in Beiserhaus/Rengshausen untergebracht. Die späteren RAF-Mitglieder motivieren Boock und andere Jugendliche zum Ausbruch aus dem Heim (05. August 1969) und organisieren für sie Wohnmöglichkeiten in Frankfurt. So zieht er in das Lehrlingskollektiv Ulmenstraße und danach in die Freiherr-vom-Stein-Straße, wo unter anderem Gudrun Ensslin, Astrid Proll, Thorwald Proll und Andreas Baader leben. Deren Revolutionsgedanke überzeugt Boock, woraufhin er an deren Aktionen teilnimmt. "Erstens, man kann sich wehren, und zweitens, wenn man zusammenhält, kann man sogar durchsetzen, was man durchsetzen will. Man braucht keine Angst zu haben, selbst vor großen Tieren nicht! Als wir das Jugendamt in Frankfurt besetzt haben, war das für alle aus den Heimen eine völlig neue Erfahrung. Mehr als hundert Zöglinge waren es ja inzwischen geworden. Und siehe da: Während uns vorher hinter den Mauern der Heime keiner wahrgenommen hatte, waren durch die Aktionen auf einmal die Medien da. Plötzlich wurden die Verhältnisse in den Erziehungsheimen in ganz Deutschland thematisiert, selbst im Fernsehen" (Boock in: Wensierski 2006: 168).

Baaders Verhaftung

Ende November 1969 tauchen Baader, Ensslin, Astrid und Thorwald Proll in Frankreich unter; später reisen sie nach Italien. Währenddessen zieht Boock in eine andere Wohngemeinschaft um. Kontakte zu RAF-nahen Kreisen bleiben erhalten. Zweieinhalb Jahre später - im Juni 1972 - sieht Boock im Fernsehen, wie Andreas Baader verhaftet wird. Für ihn sind die Dinge klar: "Die haben mich rausgeholt, also hole ich sie raus" (Peters 2007: 130).

Heirat

1973 heiratet Boock Waltraud Liewald. Sie ist an verschiedenen Aktionen der RAF beteiligt. 1976 wird sie bei einem Banküberfall in Wien festgenommen und 1977 zu 12 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. 1987 wird sie entlassen.

zweite Generation

Während des Stammheimer Prozesses nimmt Boock erneut Kontakt zur RAF auf. Er engagiert sich für die RAF-Häftlinge, pflegt Kontakte zur RAF und den Revolutionären Zellen. Seit spätestens 1975 ist er im Untergrund. Im Süd-Jemen erhält er 1975 eine Ausbildung, die unter anderem Geiselnahme und Flugzeugentführung beinhaltet. Als sich Mitte der Siebzigerjahre die zweite Generation der RAF formiert und die Befreiung der RAF-Gefangenen zu ihrem Ziel macht, ist Peter-Jürgen Boock zusammen mit Brigitte Mohnhaupt einer der Anführer.

  • Als so genannter Techniker der RAF bereitet Boock den Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am 25. August 1977 mit vor, indem er einen Raketenwerfer baut. Dieser versagt. Boock sagt später hierzu aus, dass ihm im Vorfeld Zweifel an der Aktion gekommen seien und er die Aktion absichtlich sabotiert habe.
  • Am 4. September 1977 trifft sich das so genannte Kommando Siegfried Hausner der RAF, dem auch Boock angehört. Dabei wird der Kassiber der Stammheimer RAF-Gefangenen vom Vortag vorgelesen, der die eindringliche Aufforderung an die RAF-Mitglieder enthält, die Befreiungsaktion in Stammheim sofort durchzuführen. Die Gefangenen drohen damit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. (Von den Anwesenden wissen nur zwei Personen, darunter Peter-Jürgen Boock, dass die Stammheimer Häftlinge in ihren Zellen über Waffen verfügen.) [1] [2]

Im September 2007 gibt Boock zu, der Ermordung von Schleyer zugestimmt zu haben, die dann von Rolf Heißler und Stefan Wisniewski ausgeführt worden sei.

  • Zusätzlich soll Boock an diversen Banküberfällen beteiligt gewesen sein. Am 19. November 1979 überfallen Boock Christian Klar, Rolf Clemens Wagner und Henning Beer,so Peters, u.a. die "Schweizerische Volksbank" in Zürich

Verhaftung und Ausstieg

  • Am 11. Mai 1978 wird Boock zusammen mit Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann und Rolf Clemens Wagner in Jugoslawien verhaftet. Für die Auslieferung an Bonn fordert Jugoslawien den Austausch von acht Exilkroaten, was die Bundesregierung ablehnt; im November dürfen die RAF-Mitglieder nach Nahost ausreisen.
  • Februar 1980 Distanzierung von Zielen und Methoden der RAF.
  • Januar 1981 Festnahme in Hamburg.
  • Mai 1984 Verurteilung (u.a. wegen Beteiligung an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer) zu dreimal lebenslänglichen plus 15 Jahren Haft.
  • November 1986: Im Revisionsverfahren Reduzierung des Strafmaßes auf einmal lebenslänglich. In seinem Schlusswort sagte er: "Ich bin kein Mörder. Ich habe niemals auf einen Menschen geschossen. Ich war niemals dabei, als Menschen getötet wurden oder als auf sie geschossen worden ist. Ich habe auch niemand anderen veranlaßt, das zu tun. Ich weiß, welche VErantwortung ich habe, dazu stehe ich" (Boock 1990: 2).
  • Juni 1991 erneut Anklage des Generalbundesanwalts gegen Boock.
  • Im Mai 1992 gesteht Boock öffentlich, bislang das Ausmaß seiner Tatbeteiligung bei der Schleyer-Entführung verschwiegen zu haben.
  • Nach 17 Jahren Haft wird Boock am 13. März 1998 aus der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Bergedorf entlassen.

Peter-Jürgen Boock lebt heute als freier Autor in der Nähe von Freiburg.

Rückblick

Rückblickend berichtet Boock, unter anderem in einem Interview mit Stefan Aust und Gunther Latsch, dass die Zeit und die Ereignisse bei der RAF das schlimmste war, was er je durchlebt hat. Er meint, er sei damals ein Militarist gewesen und somit sah er es als legitim an mit allen Mitteln, zur Not auch mit der Erschießung von Polizisten, zum Ziel zu gelangen. Er bezeichnet die damalige Stadtguerilla der RAF als Pseudoreligiös. Er meint er und die anderen Beteiligten waren absolut von deren Taten und Anschlägen bzw. der Strategie der RAF überzeugt. Sie sind seiner Meinung nach „missionierend" in die Welt gegangen. Boock behauptet dieses ganze Zusammenspiel trug Züge einer Sekte: „So ist es richtig und nicht anders!“ und bezeichnete dieses als „politisches Warnsystem“. Laut Boock wurde in den Anfängen der RAF von Kollektivität gesprochen, doch am Ende war es eher militaristisch geprägt. Zudem behauptet er, dass innerhalb der Gruppe hierarchische Strukturen entwickelt wurden, die dem eigentlichen Grundprinzip der RAF widersprachen.

Das folgende Zitat aus Bertholt Brechts „Die Maßnahme“ galt damals als Leitfaden der RAF: "Furchtbar ist es, zu töten, aber nicht andere nur, auch uns töten wir, wenn es Not tut, da doch nur mit Gewalt diese tötende Welt zu verändern ist, wie jeder Lebende weiß." Bei Gudrun Ensslin wurde dieses Buch in der Zelle gefunden, diese Passage unterstrichen. In Kassibern hatten die RAF-Gefangenen Brechts Lehrstück immer wieder zitiert, verglichen ihr Vorgehen mit der mörderischen Entschlossenheit russischer Revolutionäre, Jahrzehnte vor ihnen. Boock sagt zum Abschluss in dem Gespräch mit Stefan Aust und Gunther Latsch, dass dieses Motto, was Mord und Selbstmord beinhaltet, die Gesichte der RAF wiedergibt, jedoch eine Lüge ist.

Kritik

öffentliche Kritik

Im Gegensatz zu damaligen RAF-Mitgliedern, ist Boock einer der wenigen, welcher in Talkshows oder in Interviews über die Zeit während des Deutschen Herbstes berichtet. Von Kellerhof wird er zudem als "Talkshow-Terrorist" bezeichnet. Sein Auftreten und seine Aussagen wurden und werden auch weiterhin häufig in Zweifel gezogen. In der Öffentlichkeit stellte sich Boock als kleiner Mitläufer und Techniker der RAF dar und galt deshalb für die linke Öffentlichkeit als Beispiel für die harte und unmenschliche Haltung des Staats gegenüber der RAF. Daraufhin setzten sich Heinrich Albertz, der frühere Bürgermeister von Berlin, und Ralph Giordano für ihn ein. 1988 stellte Boock einen Antrag auf Begnadigung. Darauffolgend führte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in der Haftanstalt ein Gespräch mit Boock, lehnte aber in der Folge eine Begnadigung wegen Zweifeln an dessen Reue ab. Die Zweifel bestätigten sich 1992: nachdem RAF-Aussteiger aus der DDR aussagten, gab Boock den vollen Umfang seiner RAF-Mitgliedschaft zu. Daraufhin wurde er erneut zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. So galt laut Heribert Prantl Boock dem Bundeskriminalamt als der „Karl May der RAF“, Kurt Rebmann warf ihm immer wieder ein „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“ vor.

Kritik von Seiten der RAF

Doch die Kritik war nicht nur in der Öffentlichkeit präsent, sondern kam auch, laut mehrerer Berichte, von Seiten der RAF. Das Misstrauen gegen Boock wuchs, nachdem im August 1977 der Anschlag auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft scheiterte, weil eine von Boock sabotierte Stalinorgel nicht funktionierte. Nach allem, was man aus dem Inneren des „harten Kerns“ der RAF weiß,so Kellerhof, hat er seinen „Kampfgenossen“ vorgespielt, er sei schwer krank, leide womöglich an Darmkrebs – nur um einen Vorwand zu haben, seine Medikamentensucht befriedigen zu können. So berichtet es zumindest Butz Peters in seinem Buch „Tödlicher Irrtum“. Laut Hufelschulte et al. waren in ganz Europa Gruppenmitglieder unterwegs, um für Boock angeblich Medikamente zu besorgen. Insgesamt acht RAF-Mitglieder wurden dabei verhaftet. Nach seinen Aussagen über die Tatbeteiligten bei der Ermordung von Siegfried Buback und der Entführung von Hanns Martin Schleyer sollen ihn zudem ehemalige Mitglieder der RAF der Geltungssucht bezichtigt haben.

Weblinks

Videos

Literatur

  • Albrecht, Susanne/Ponto, Corinna (2011): Patentöchter. Im Schatten der RAF - ein Dialog. 1. Auflage. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
  • Boock, Peter-Jürgen (1990): Abgang, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg.
  • Boock, Peter-Jürgen (2002): Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer: eine dokumentarische Fiktion von Peter-Jürgen Boock, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main.
  • Kunstreich, Timm (2001): Grundkurs Soziale Arbeit. Sieben Blicke auf Geschichte und Gegenwart Sozialer Arbeit. Band II: Blicke auf die Jahre 1955, 1970 und 1955 sowie ein Rückblick auf die Soziale Arbeit in der DDR (von Eberhard Mannschatz), Kleine Verlag GmbH, Bielefeld.
  • Peters, Butz (2007): Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.
  • Wensierski, Peter (2006): Schläge im Namen des Herren. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik, 2. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, München.