Opferschutz

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„Die Interessen der Opfer im Blick zu haben und dafür Sorge zu tragen, dass ihnen mehr Rechte und Hilfe zukommt, war und ist ein wichtiges rechtspolitisches Ziel in der Bundesrepublik.“ (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV)). Nachdem lange Zeit allein der Täter und die ihm vorgeworfene Straftat im Mittelpunkt des Strafverfahrens stand, hat in den vergangenen Jahrzehnten das Interesse des Verletzten immer mehr an Bedeutung gewonnen. Der Gesetzgeber hat dem Gedanken des Opferschutzes durch zahlreiche Neuregelungen Rechnung getragen.



Entwicklung

Mit dem am 18. Dezember 1986 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) etablierte sich der Opferschutz in der Strafprozessordnung. Das Opferschutzgesetz brachte zahlreiche, an die vorhandenen Strukturen des Strafverfahrens anknüpfende Änderungen, die auf eine Besserstellung des Opfers abzielten. Mit weiteren zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben wurde die Situation der Opfer kontinuierlich verbessert. Zu nennen sind vor allem das Verbrechensbekämpfungsgesetz (1994), das Zeugenschutzgesetz (1998), das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs (1999) Dazu zählt auch das mittlerweile 3. Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015, mit dem der Schutzstandard des Opfers weiter erhöht wurde.


Gesetzliche Grundlagen für die Bundesrepublik Deutschland

Mit der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 werden Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern im Strafverfahren in allen EU-Mitgliedsstaaten einheitlich festgelegt. Die Verpflichtungen der Bundesrepublik in Bezug auf den Opferschutz ergeben sich aus dieser Richtlinie. Dem Umsetzungsbedarf für Deutschland wird durch das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015) Rechnung getragen. Bis dato hat die Bundesrepublik Deutschland bereits einen hohen Schutzstandard im Bereich Opferschutz erreicht, so dass die Richtlinie nur in den Teilbereichen der Verfahrens- und Informationsrechten einen Umsetzungsbedarf ausgelöst hat.


Ziel des Opferschutzes

Gemäß der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012, Kapitel 1 (Allgemeine Bestimmungen), Artikel 1 (1) besteht nachfolgendes Ziel: „Ziel dieser Richtlinie ist es sicherzustellen, dass Opfer von Straftaten angemessene Informationen, angemessene Unterstützung und angemessenen Schutz erhalten und sich am Strafverfahren beteiligen können.“.


Begriffsbestimmungen

Opfer ist, wer durch eine Straftat, einen Verkehrsunfall oder ein sonstiges Schadensereignis unmittelbar geschädigt wurde, sei es physisch, psychisch, materiell und/oder sozial. Opfer können aber auch mittelbare Geschädigte sein, z.B. Zeugen von Straftaten oder Ersthelfer bei Verkehrsunfällen, Hinterbliebene von getöteten Personen und Angehörige von Schwerverletzten.

Opferschutz ist im engeren Sinn der Schutz von Opfern (Verletzte) einer Straftat im Ermittlungs- und Strafverfahren, im weiteren Sinn alle Maßnahmen zur Verhütung potenzieller Opferwerdung (z.B. kriminalpolizeiliche Beratung zur Sicherung von Wohn- und Geschäftsräumen).

Opferhilfe ist ein Teilaspekt des Opferschutzes und wird im Regelfall durch die öffentliche Verwaltung und freie Träger von Opferhilfeeinrichtungen gewährleistet. Diese Hilfe besteht darin, dem Opfer eine Reorganisation seiner Lebensverhältnisse insoweit zu ermöglichen, dass seine Lebenssituation weitgehend dem Zustand vor der Straftat oder dem schwerwiegenden Schadensereignis angenähert wird (Restitution).

Opferrechte sind insbesondere im Opferschutzgesetz, Opferentschädigungsgesetz, Zeugenschutzgesetz sowie im Gewaltschutzgesetz verankert und ermöglichen den Betroffenen vor allem, ihre Rechte bezüglich ihrer Stellung im Strafverfahren sowie ihrer Schadensersatzforderungen und sonstigen Ansprüchen gegenüber dem Täter geltend zu machen.


Polizeilicher Opferschutz

Erkenntnisse belegen, dass 95 % der von der Polizei registrierten Straftaten von den Opfern selbst angezeigt werden. Betroffene in ihrer individuellen Notlage nicht allein zu lassen und ihnen eine kompetente Unterstützung zu vermitteln, sind Hauptanliegen des polizeilichen Opferschutzes. Im polizeilichen Sinne ist der Opferschutz als der Umgang mit dem Opfer zu verstehen, der die Folgen der Opferwerdung minimiert und weitere Opferschädigungen nicht zulässt. Wenn es der Polizei gelingt, den Opfern angemessen beizustehen, dann kann sie das ihr entgegengebrachte Vertrauen für eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit nutzen. Die Hilfeleistung der Polizei erfolgt insbesondere durch die Erläuterung der Möglichkeiten von Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen, Informationen über Opferrechte sowie in der Vermittlung an die zuständige Opferhilfeeinrichtung. Polizeilicher Opferschutz ist eine Aufgabe, die sich auch für die Polizei lohnt. Ein entsprechender Umgang mit dem Opfer erhöht dessen Kooperationsbereitschaft. Wird seitens der handelnden Polizeibeamten auf die Belange des Opfers eingegangen, ist es eher bereit, das Ermittlungs- und Strafverfahren zu unterstützen. Erfahrungen mit dem Opfer ebenso wie Erfahrungen des Opfers können in die zukünftige Präventionsarbeit einfließen. Ein angemessener Umgang mit den Opfern fördert zudem das Image und die Akzeptanz der Polizei innerhalb der Bevölkerung.

Polizeilicher Opferschutz in den Bundesländern

Die Gewährleistung der Richtlinie 2012/29/EU auf den Gebieten der Information und Unterstützung, Teilnahme am Strafverfahren und Schutz des Verletzten fallen nur teilweise in den Zuständigkeitsbereich der Bundesgesetzgebung. Wesentliche Bereiche liegen in der Zuständigkeit der Länder. Dies betrifft insbesondere die Artikel 8, 9, 12, 19, 23 und 25 der Richtlinie. Aufgrund der förderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und der Gliederung in 16 Bundesländer existieren somit unterschiedliche Regelungen in Bezug auf den Opferschutz. In allen Ländern ist jedoch flächendeckend ein umfangreiches Angebot an Institutionen, Einrichtungen und Programmen zum effektiven Opferschutz etabliert.

Im Bund und auch flächendeckend in den Ländern existieren bereits eine Vielzahl von Angeboten zur Opferunterstützung, um Betroffenen, professionell oder ehrenamtlich, geeignete Informationen zur Verfügung zu stellen, sie zu beraten und zu betreuen. Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) hat ein Medien- und Informationspaket zusammengestellt, das Polizeibeamtinnen und – beamte in Sachen „Opferschutz und Opferhilfe“ unterstützen soll. Das Paket umfasst drei Bestandteile: den Film „Nah dran.“ für die Polizei zum Thema mit einem Filmbegleitheft und Plakat, eine ergänzende modulare Lernanwendung „Opferschutz INTERAKTIV“ sowie die Informationssoftware VIKTIM rund um den Opferschutz für die polizeiliche Sachbearbeitung. In vier kurzen, fernsehfilmähnlichen Episoden vermittelt der Film „Nah dran.“, wie Opfer in unterschiedlichem Kontext ihre Situation erleben. Anliegen des Film ist es, Verständnis für die jeweilige Opfersituation zu wecken, Empathie zu erzeugen und den Polizeibeamten an die Thematik „Opferschutz“ heranzuführen. Im Film werden weiterhin Vorgehensweisen gezeigt, die nicht ganz optimale Verhaltensweisen von Beamten zeigen, die Anlass zur Diskussion geben sollen und Informationen zu opferorientiertem Einschreiten geben. Die Lernanwendung „Opferschutz INTERAKTIV“ dient dem Empathietraining und der Wissensvertiefung auf Basis der im Film geschilderten Situationen. Die Informationssoftware VIKTIM stellt die optimale Ergänzung zum Film und zur Lernanwendung dar. Hier werden offen gebliebene Fragen zum professionellen Umgang mit Opfern beantwortet. Bei der Polizei im Land Brandenburg zum Beispiel ist der Umgang von Opfern mit Straftaten umfassend in einem Opferschutzkonzept geregelt.

Bundesweit agierende Organisationen

Als bekannteste bundesweit agierende Organisation gilt der „Weisse Ring e. V.“, der 1976 unter anderem vom Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann gegründet wurde. Er bietet neben einem bundesweiten System von Anlaufstellen für Kriminalitätsopfer u. a. auch einen Beratungsscheck für eine kostenlose anwaltschaftliche Erstberatung bei einem Anwalt der eigenen Wahl. Weiterhin besitzt der „Weisse Ring e. V.“ ein rund um die Uhr erreichbares „Opfertelefon“. Unter der europaweit für Opferhilfe geltenden Nummer 116006 erhalten Opfer jederzeit und kostenfrei Hilfe und Unterstützung.

Eine weitere bundesweit agierende Organisation ist der „Arbeitskreis der Opferhilfen in Deutschland“. Er wirkt als Dachorganisation verschiedener professionell arbeitender Opfereinrichtungen.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurde von der Kriminologischen Zentralstelle e. V. im Rahmen des Projektes „Atlas der Opferhilfen in Deutschland“ eine Online Datenbank „ODABS“ (Online Datenbank für Betroffene von Straftaten) entwickelt. „ODABS“ erfasst alle Opferhilfeeinrichtungen und deren Unterstützungsangebote in der gesamten Bundesrepublik. In wenigen Schritten können die Betroffenen über die Internetseite [www.odabs.org] eine spezialisierte Hilfseinrichtung in ihrer örtlichen Nähe finden. Die Onlinedatenbank basiert auf dem oben genannten „Opferhilfeatlas“, der wiederum einen Überblick über die mannigfaltige Opferhilfelandschaft im Hinblick auf die Organisation und die Finanzierung, das Personal, die Angebote, die Spezialisierungen auf das Klientel sowie Kontakte und Kooperationen schafft. Der „Opferhilfeatlas“ ist über die Internetseite der Kriminologischen Zentralstelle e. V. [www.krimz.de] abrufbar.

Täter-Opfer-Ausgleich

Auch die Möglichkeit des sogenannten Täter-Opfer-Ausgleichs wird gestärkt. Am 19. Juli 2006 beschließt die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Modernisierung der Justiz. Darin ist neu, dass die Wiedergutmachung den Vorrang vor der Geldstrafe haben soll.

Psychosoziale Prozessbegleitung

Ab dem 01. Januar 2017 gibt es bundesweit in bestimmten Fällen die Möglichkeit der professionellen Betreuung während des gesamten Strafverfahrens (psychosoziale Prozessbegleitung), die sich nach den Bedürfnissen des Opfers richtet. Dies beinhaltet zum Beispiel die Begleitung des Opfers während der Vernehmungen im Ermittlungs- und Hauptverfahren (Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht). Ziel ist es, beim Opfer bestehende Ängste abzubauen und es emotional zu unterstützen. Der Anspruch besteht besonders für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsenen, die Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten geworden sind. Die psychosoziale Prozessbegleitung ist, wenn sie vom Gericht befürwortet wurde, für die Opfer kostenlos. Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und –begleiter tätigen weder eine rechtliche Beratung noch dienen sie zur Aufarbeitung der Tat. Somit haben sie kein Zeugnisverweigerungsrecht und können vom Gericht als Zeugin oder Zeuge geladen werden.


Literatur

  • Karl – Ludwig Kunz: Opferschutz und Verteidigungsrechte im Kontext von Strafrechtstheorie und symbolischer Rechtspolitik
  • Friesa Fastie: Opferschutz im Strafverfahren
  • Michael Jesser: Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung im Steuerstrafrecht
  • Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012
  • Opferschutzgesetz
  • Bundesgesetzblatt Teil I 2015 Nr. 55 30.12.2015 S. 2525, 3. Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015
  • Opferentschädigungsgesetz, von 1976
  • Zeugenschutzgesetz
  • Gewaltschutzgesetz
  • Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Opferfibel – Rechte von Verletzen und Geschädigten in Strafverfahren
  • Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Merkblatt für Opfer einer Straftat
  • Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes


Weblinks