Obdachlos

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Laut Duden bedeutet das Wort obdachlos vorübergehend ohne Bleibe/Unterkunft/Wohnung sein. Ohne Obdach sein heißt soviel wie (umgangssprachlich) „kein Dach über dem Kopf haben“.

Definition

Die Obdachlosigkeit stellt in den sog. Industriestaaten - so auch in Deutschland - eine der extremsten Formen der Armut dar. In der Literatur werden vor allem die Begriffe Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit oft synonym verwendet. Sie unterscheiden sich jedoch nach Malyssek/Störch 2009 folgendermaßen: Obdachlose Personen sind diejenigen, die vorübergehend keinen festen Wohnsitz haben, aber nicht (mehr) auf der Straße leben. Die Kommune weist ihnen eine Wohnung oder in den meisten Fällen eine Obdachlosenunterkunft zu. Wohnungslose Personen sind hingegen diejenigen, die auf der Straße leben. Wobei die Übergänge zwischen beiden fließend sind. Zudem stellt Obdachlosigkeit einen ordnungsrechtlichen Begriff dar, weil sich obdachlose Personen „in einem ordnungswidrigen Zustand“ (Bodenmüller 2010: 9) befinden, wenn sie auf der Straße verweilen (müssen) und somit die öffentliche Ordnung stören. Es gibt darüber hinaus eine Vielzahl von Begriffen, die dieses Phänomen ebenfalls bezeichnen, wie z.B. alleinstehende Wohnungslose, Wohnungsnotfälle, Nichtsesshafte, Straßenkinder/Ausreißer_innen, sowie diskriminierende Begriffe wie Penner, Berber, Bettler_in, Herumtreiber_in, Stadtstreicher_in, Trinker_in, Faulenzer_in, Drückeberger_in, Sozialschmarotzer_in oder Asoziale. (vgl. Bodenmüller 2010: 7; vgl. Malayssek/Störch 2009: 42ff.)

Erscheinungsformen

Es kann zwischen verschiedenen Formen der Obdachlosigkeit unterschieden werden. Bodenmüller 2010 geht dabei wie folgt vor:

  • unmittelbar von Obdachlosigkeit betroffen sind:

- Personen, denen der Verlust ihrer Wohnung droht und die selbst nicht in der Lage sind, sich Wohnraum zu beschaffen – z.B. Räumungsklage aufgrund von Mietschulden
- Personen, denen die Entlassung aus einem Krankenhaus, Psychiatrie, JVA, Heim o.ä. unmittelbar bevorsteht und die sich nicht selbstständig Wohnraum beschaffen können

  • aktuelle Betroffenheit von Obdachlosigkeit:

- Personen ohne Wohnung, ohne Heimplatz, ohne Anstaltsaufenthalt
- Personen, denen ein Wohnplatz zugewiesen wurde, weil sie ohne Wohnung sind

  • aus anderen Gründen von Obdachlosigkeit betroffen sind:

- Personen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben
- Personen, die extrem hohe Mieten zahlen müssen
- Personen, die im Zusammenleben gravierenden Konflikten ausgesetzt sind

Diese Erscheinungsformen betreffen alle Altersgruppen, alle Geschlechter und können sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Besonders betroffen sind jedoch die ärmeren Schichten, aber auch psychisch Auffällige, Suchtkranke, nicht angepasste Personen und Betroffene unvorhergesehener Schicksalsschläge. (vgl. Bodenmüller 2010: 9ff.)

Statistische Daten

In Deutschland existiert keine einheitliche Wohnungsnotfallberichterstattung. Deshalb gibt es nur Schätzungen über die Zahl der von Obdachlosigkeit Betroffenen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe e.V. bringt seit 1990 kontinuierlich Berichte über die Schätzungen der Obdachlosenzahlen heraus. Demnach gab es im Jahre 2010 ca. 345 000 Notfälle, davon waren ca. 280 000 Obdachlose und ca. 106 000 Personen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Von 2008 auf 2010 ist die Zahl der betroffenen Personen von Obdachlosigkeit um 10% angestiegen, nachdem die Zahlen zehn Jahre lang sanken. Ca. 22 000 Personen lebten 2010 auf der Straße, was ebenfalls eine Steigerung um 10% gegenüber 2008 darstellt. Auf die Gesamtgruppe der obdachlosen Personen wird der Anteil der Frauen 2010 auf 26%, der Männer auf 64% und der Kinder/Jugendliche auf 10% geschätzt. Der Anteil der von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen mit sog. Migrationshintergrund betrug 2010 etwa 21,7%, 2011 stieg der Anteil gar auf 24,4%. Hierbei betrug der Anteil von Personen mit nicht-deutschem Pass aus EU-Staaten 2010 4,7% und 2011 schon 5,9%, während Personen aus Nicht-EU-Staaten 2010 einen Anteil von 8,8% und 2011 9,4% ausmachte. Anerkannte Asylsuchende, die sich in Notunterkünften befinden, werden bei der Obdachlosenstatistik nicht mitgezählt. Die Aussagekraft der eben genannten Zahlen, die auf Schätzungen beruht, ist nicht abgesichert. Es ist hierbei von einer großen, nicht erfassten, Dunkelziffer auszugehen.

Ursachen für Obdachlosigkeit

Nach dem BAG-Wohnungslosenhilfe e.V. gibt es drei wesentliche Faktoren für den Anstieg der Obdachlosigkeit in Deutschland/Industrieländern:

- Mietpreissteigerungen, vor allem in den Ballungsgebieten, bei gleichzeitiger Abnahme des sozialen Wohnungsbaus und daraus resultierende Mietschulden und Räumungsklagen
- Anwachsen des Niedriglohnsektors und damit zunehmende Verarmung der unteren Einkommensgruppen
- sozialpolitische Fehlentscheidungen bei ALGII, wie z.B. pauschale Regelsätze für Miet- und Heizkosten, die zu niedrig angesetzt sind

Darüber hinaus existieren auch andere Gründe wie:
- Konflikte zu Hause
- Gewalterfahrungen (durch Eltern oder Partner_in)
- emotionale Vernachlässigung
- psychische Auffälligkeiten
- gesellschaftlich den normativen Vorstellungen nicht angepasst sein können/wollen
- Suchtverhalten
- Arbeitslosigkeit
- Orientierungslose, wie z.B. nach Entlassung aus Gefängnissen oder Psychiatrien

Die genannten einzelnen Punkte treten mitunter allein als Ursache auf, häufig jedoch gebündelt. (vgl. Thomas 2010: 22ff., vgl. Malyssek/Störch 2009: 23ff.)

Viktimisierung Obdachloser

Ausgrenzung Obdachloser

In der Öffentlichkeit, auch immer wieder medial dargestellt, wird die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ ALG II-Empfänger_innen. Nicht nur das Stigma Arbeitslose_r existiert, sondern darüber hinaus die Differenzierung zwischen „gut“ und „böse“. Die Haltung durch den Staat gegenüber Menschen, die nicht der Lohnarbeit nachgehen, wurde in Deutschland seit 2005 in den ALG-Gesetzen – vor allem ALG II – manifestiert. Die Idee der Politik Personen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, basiert auf Diskriminierungen, Zwängen und Sanktionen. Aber auch Streitigkeiten der Behörden über die Zuständigkeiten und Hilfe führt nicht zur Verbesserung der Lage. Des weiteren werden Menschen, die dem normativen Bild der Gesellschaft nicht entsprechen, verachtet und verdrängt. Dies ist in der Verdrängungspolitik aus den Innenstädten zu sehen. Obdachlose und andere „Randgruppen“ werden oft nur geduldet, solange dem bürgerlichen Interesse nach Sicherheit, Ordnung und einem Eigennutzen in kommerzieller Hinsicht nichts entgegengesetzt wird. Wie die daraus folgende Vertreibung aussieht, divergiert in den einzelnen Städten und hängt von kommunal- und sozialpolitischen Verhältnissen ab. (vgl. Malyssek/Störch 2009: 67ff.) Im April 1974 wurde das Verbot der „Bettelei“ aus dem SGB gestrichen. Vor allem aber seit den 1990er Jahren gibt es immer mehr Kommunen, die durch sog. kommunale Bettelsatzungen das Bundesrecht zu umgehen versucht haben. (vgl. Steinke 2006) Die Folge sind Verdrängung, Kriminalisierung und Aufenthaltsverbote von Randständigen. Beschwerden aus der Bevölkerung über Obdachlose und Süchtige führen dazu, dass die Politik mit solch Verordnungen reagiert, aus denen Kontrollen und Platzverbote resultieren. Des weiteren hängt diese Umsetzung auch von Ordnungs- und Sicherheitspartnerschaften ab, die das Prinzip der „Null-Toleranz-Strategie“ fahren. Vor allem werden diese genutzt, wenn öffentliche Räume plötzlich privatisiert werden und das Hausrecht gilt, welches über private Sicherheitsfirmen umgesetzt wird. (vgl. Malyssek/Störch 2009: 67ff.) Jüngst am Beispiel des Hamburger Hauptbahnhofs zu sehen. Obdachlose werden dabei lediglich als öffentlicher Störfaktor wahrgenommen.

Gesundheitliche Folgen der Obdachlosigkeit

Die gesundheitliche Situation von obdachlosen Menschen kann im allgemeinen als schlecht angesehen werden. Die Gründe liegen in fehlenden und/oder schlechten Zugängen zu medizinischen Betreuung, wie z.B. aufgrund des Fehlens von Krankenversicherungsschutz und Geld, in nicht ausreichender Ernährung, schlechte Möglichkeiten der Körperpflege, mangelhaftem Witterungsschutz (vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte), fehlen sozialer Beziehungen zu früheren Freunden und Verwandten und darüber hinaus in gewalttätigen und/oder sexuellen Übergriffen. Psychische Folgeerscheinung können aus all diesen Punkten resultieren. (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.)

Gewalttätige Übergriffe gegen Obdachlose

Gewalttätige Übergriffe, bis hin zu Mord tauchen immer wieder auf, nicht selten von Menschen aus der rechten Szene verübt, so z.B. auch die Morde in Greifswald im Jahre 2000. Klaus-Dieter Gerecke wurde im Juni 2000 und Eckard Rütz im November 2000 jeweils von 3 jungen Menschen aus der rechten Szene ermordet. (Amadeu Antonio Stiftung 2006) Bei der Verhandlung des Mordes von Eckard Rütz, der auf offener Straße in der Innenstadt angegriffen wurde, sagte einer der Täter, dass der Getötete „dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche gelegen“ (Wurm 2012) hätte.

Ethnographische Forschung

Der Film "Abgehakt" von Martin Gruber und Jochen Becker (2004) berichtet auf der Grundlage einer sechsmonatigen Feldforschung über den Alltag einer Gruppe von Obdachlosen in Hamburg, ihre Geselligkeit, das Trinken und wechselseitige Frotzeln. Sie trösten und unterstützen sich gegenseitig. Mit teilweise ernüchternder Ehrlichkeit reflektieren die Protagonisten ihre Situation zwischen Romantik und Tragödie, vergangenen Enttäuschungen und Zukunftsplänen.

Filme

Literatur

Bodenmüller, Martina: Auf der Straße leben: Mädchen und junge Frauen ohne Wohnung, 3. Aufl., LIT Verlag, Münster 2010, S. 7-11
Malyssek, Jürgen/ Störch, Klaus: Wohnungslose Menschen: Ausgrenzung und Stigmatisierung, Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau 2009
Thomas, Stefan: Exklusion und Selbstbehauptung: Wie junge Menschen Armut erleben, Campus Verlag, Frankfurt/M. 2010, S. 22-25

Weblinks

Amadeu Antonio Stiftung: 24.06.2000 Klaus-Dieter-Gerecke. Stand: 2006
URL www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerung/juni/klaus-dieter-gerecke/ (abgerufen am 15.01.13)
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.: Stand: 2012
URL http://www.bagw.de/index2.html (abgerufen am 25.12.12)
Duden Online: obdachlos, Dudenverlag, Mannheim 2013
URL http://www.duden.de/suchen/dudenonline/obdachlos (abgerufen am 15.01.13)
Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM): Hilfe für Obdachlose.
URL http://www.igfm.de/Hilfe-fuer-Obdachlose.1227.0.htm (abgerufen am 09.01.13)
Steinke, Ron: Betteln verboten! Die Rückkehr einer Kriminalisierung. In: Forum Recht. Stand: 2006
URL http://www.forum-recht-online.de/2006/406/406steinke.htm (abgerufen am 06.01.13)
Wurm, Marian: Gedenken an Eckard Ruetz. Stand: 26.11.2012
URL sds-solid-hgw.de (abgerufen am 15.01.13)