Norm- und hilfeverdeutlichende Gespräche

Norm- und hilfeverdeutlichende Gespräche (NuhG) sind ein Instrument der aufsuchenden Polizeiarbeit gegen Jugendkriminalität. Sie werden durch speziell geschultes Personal durchgeführt und haben ermahnenden und verwarnenden Charakter. Primär sind jugendliche Täter die Ansprechpartner; es gibt aber auch solche Gespräche mit Opfern.

Möglichst bald nach einem Delikt soll das Gespräch dem Täter insbesondere die Opferperspektive erläutern. Ziel ist es, dass sich der Jugendliche ernsthaft mit seiner Tat auseinandersetzt und künftig aus eigenständiger, ehrlicher und langfristiger Motivation heraus sein Verhalten verbessert.

Aus einem NuhG können sich weitere Hilfsmaßnahmen wie z.B. die Einschaltung des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), der Beratungsstelle für Gewaltprävention sowie der Bereich des Familieninterventionsteams (FIT) ergeben.

Das Gespräch wird nicht selten Aspekte der konfrontativen Pädagogik aufweisen: Normüberschreitungen werden deutlich aufgezeigt. Allerdings soll ergänzend ein lösungsorientierter Beratungsstil angewandt werden.

Entstehung

Das Konzept der normen- und hilfeverdeutlichenden Gespräche stammt aus dem polizeilichen Anti-Raub-Konzept, das in Hamburg 1997 verabschiedet worden war. Hierbei wurden jugendliche Täter nach einem begangenen oder versuchten Raub von besonders pädagogisch ausgebildeten Polizeibeamten aus der Abteilung des Jugendschutzes für ein konstruktives Gespräch zu Hause in Anwesenheit der Erziehungsberechtigten aufgesucht. Der Erfolg dieser Maßnahme führte im Mai 2000 zu dem Beschluss einer Enquête-Kommission zur Ausweitung des Konzepts. 2001 wurde daraufhin mit den NuhG in Hamburg begonnen.

Abgrenzung

NuhG sind nicht identisch mit sog. Gefährderansprachen oder polizeilichen Präventionsgesprächen. Gefährderansprachen sollen im Vorwege von geplanten Straftaten durch die Polizei erfolgen. Das Ziel dieser Gespräche soll ein Nichteintreten der Tat zu Folge haben. Hierbei werden dem potentiellen Täter die strafrechtlichen Konsequenzen des beabsichtigten Handelns aufgezeigt sowie auch die Konsequenz bei passiver Mittäterschaft. Dabei muss die Polizei gut über die Situation informiert sein, um möglichst die Früherkennung einer potentiellen Straftat effektiv in präventiven Maßnahmen umsetzen zu können. Gefährderansprachen kommen häufig im Bereich der Fanklientel, insbesondere im Fußballsport zum Einsatz.

Präventionsgespräche durch die Polizei sind hingegen als allgemeine Beratungsgespräche anzusehen. Die Gespräche erfolgen auf freiwilliger Basis seitens des Klienten, oder aufgrund des Wunsches des Erziehungsberechtigten. Auch kann der zuständige Sachbearbeiter bei Indikation ein Präventionsgespräch vorschlagen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit NuhG ist nicht zu übersehen.

Ziele

Normen- und hilfeverdeutlichende Gespräche sind als eine Art Informationsgespräch mit ermahnendem Charakter zu verstehen. Das durchzuführende Gespräch hat allerdings nicht die Bedeutung einer Verwarnung. Dies stünde der inhaltlichen Bedeutung eines Zuchtmittels aus rechtlicher Sicht zu nahe (§13 Abs.2 Nr.1 JGG) und sollte klar davon differenziert werden.

Ziel dieser Gesprächskonzeption ist die Vermittlung von bestehenden Normen, die durch den jugendlichen Klienten übertreten wurden. Durch das Gespräch sollen die juristischen Konsequenzen dem Täter aufgezeigt werden. Dem Jugendlichen soll verdeutlicht werden, wie seine begangene Tat von der Polizei sowie der Justiz bewertet wird, bzw. mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen der Täter zu rechnen haben könnte. Auch soll die Tatmotivation des Jugendlichen näher analysiert und hinterfragt werden. Ideal wäre es, wenn der Täter sich ernsthaft in das Opfer hineinversetzen könnte (Empathieentwicklung) und aus eigenem, ehrlichen Verständnis heraus seine begangene Tat einsieht, gewillt ist sein bisheriges Verhalten zukünftig normkonformer auszurichten.

Ziel der NuhG mit Opfern ist die Verarbeitung von Traumen. Durch die Thematisierung des Tatgeschehens sollen konstruktive Handlungsansätze erfolgen, um in Zukunft die Opferrolle vermeiden zu können. Durch das Gespräch seitens der Polizei soll das Opfer psychisch gestärkt werden. Diese Gesprächsart ist auf der Basis eines allgemeinen Informationsgesprächs zu verorten. Das bedeutet, dass der Inhalt sich auf den weiteren Verlauf des anbahnenden Strafverfahrens, über mögliche Hilfe, Anlaufstellen, Adressen etc. beschränkt.

Verfahren

Ein Jugendsachbearbeiter des Kriminal- und Ermittlungsdienstes (KED) entscheidet nach Vernehmung des Täters, ob ein NuhG infrage kommt. Durch eine schriftliche Beauftragung wird die Abteilung Jugendschutz in Kenntnis gesetzt. Der Gesprächsverlauf wird seitens der zuständigen Beamten schriftlich fixiert. Wichtige Punkte des Gesprächs wie u.a. Ort, Zeit, Gesprächsdauer, anwesende Personen, Gesprächsatmosphäre, Inhalte des Gesprächs sowie Ziele, Reaktionen des Jugendlichen, werden in der Akte des Täters vermerkt.

In der Einleitungsphase wird der Jugendliche von zwei Beamten des Jugendschutzes zu Hause in Anwesenheit des Erziehungsberechtigten aufgesucht. Die Beamten sind in Zivil. Nach einer persönlichen Vorstellung der zuständigen Beamten sowie den Aufgaben der Abteilung des polizeilichen Jugendschutzes werden die Gründe, Ziele eines Normen und hilfeverdeutlichenden Gesprächs (NuhG) mit einem jugendlichen Täter (Tatverdächtigen) dargelegt. Der Jugendliche wird rechtlich belehrt, ferner wird der anwesende Erziehungsberechtigte darüber informiert, dass derjenige das Recht hat, jederzeit das Gespräch abbrechen zu können. Darauf werden die allgemeinen Regeln (wie Fairness, Ausreden lassen etc.) eines produktiven Gesprächsverlaufs gemeinsam aufgestellt.

Am Ende des NuhG werden die wichtigsten Aspekte der Beamten nochmals zielgerichtet zusammengefasst. Die Gesprächsergebnisse werden wiederholt explizit hervorgehoben. Hierbei ist eine Motivation des Jugendlichen an eine ernsthafte zukünftige Veränderung geknüpft, um dieser Gesprächsmethode eine Legitimität in der Praxis zusprechen zu können. - Nicht immer haben Normen und hilfeverdeutlichende Gespräche (NuhG) einen positiven Verlauf. Wird beim Jugendlichen kein Unrechtsbewusstsein herausgearbeitet, zeigt er sich unkooperativ, ist von ihm letztlich eine zukünftige Gefahr für weitere Opfer auszugehen. In diesem Fall müssen die Beamten des Jugendschutzes eine klare Grenzziehung gegenüber dem Klienten aufzeigen. Das bedeutet, wenn beim Jugendlichen ein Verbrechenstatbestand vorliegt, könnten eventuelle Verdunklungshandlungen letztlich einen Haftgrund bedeuten. Dies hätte zur Folge, dass der Jugendliche vorübergehend in Untersuchungshaft kommen könnte, damit das Opfer vor ihm vor weiteren Taten geschützt ist. Ferner ist hier auch eine klare Ansage gegenüber den Erziehungsberechtigten indiziert. Dies erfolgt in Form eines Appells an die Erziehungspflicht der Eltern.

Konfrontative Pädagogik

Konfrontative Pädagogik stellt eine effektive autorative Erziehungsform dar (vgl. Weidner, 2006:15). Um die Effektivität des Normen und hilfeverdeutlichenden Gesprächs (NuhG) auf ein hohes Niveau zu bringen, sollten sich die zuständigen Beamten intensiv mit dem Lebenslauf des Jugendlichen beschäftigt haben. Nur durch einen Einblick in seine vorhandene Lebenswelt, können Rückschlüsse auf sein Verhalten gezogen werden.


Evaluation

Erste Evaluationen bestätigen, dass NuhG zu einer geringeren Rückfallquote bei angesprochenen Wiederholungstätern schwerer Delikte führen können. Allerdings sind die Risiken eines Net-Widening-Effect zu beachten.



Literatur

Bamberger, Günther, 2005: Lösungsorientierte Beratung, Praxishandbuch, Beltz- Verlag, Weinheim/ Basel

Corsini, Raymond, (Hg) 1983: Handbuch der Psychotherapie, A-M, N-Z, Beltz- Verlag, Weinheim/ Basel

Daleki, Michael, 2005: Auszüge aus der Verschlusssache (Vs), Fachanweisung zur Durchführung von norm- und hilfeverdeutlichenden Gesprächen (nuhG) nach Gewaltdelikten bei unter 18- jährigen Tatverdächtigen und deren Opfern

Farrelly, Frank/ Brandsma, J.M., 1974: Provokative Therapie, Springer Verlag, Berlin/ Heidelberg/ New York/ London/ Paris/ Tokio

Kohlberg, Lawrence, 1996: Die Psychologie der Moralentwicklung, 1. Auflage, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main

Kilb, Rainer, 2004: Gewalt im Griff, 4. Auflage, Edition Sozial, Juventa Verlag Weinheim und München

Lamnek, Siegfried, 1979: Theorien abweichenden Verhaltens, 7. Auflage, Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG, München

Lamnek, Siegfried, 1997: Neue Theorien abweichenden Verhaltens, 2. Auflage, Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG, München

Murgatroyd, Stephen, 1994: Beratung als Hilfe, eine Einführung in helfende Berufe, Edition Sozial Beltz, Weinheim/ Basel

Taubert, Melanie, 2008: Sozialwissenschaftliche Einordnung der norm- und hilfeverdeutlichenden Gespräche (NuhG) der Polizei, Hochschule der Polizei Hamburg, Hausarbeit, Verschlusssache (Vs)

Weidner, Jens, 2006: Konfrontative Pädagogik, Konfliktbearbeitung in sozialer Arbeit und Erziehung, 2. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften GWV Fachverlag GmbH Wiesbaden

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