Neuer Atheismus

Neuer Atheismus ist eine Bezeichnung für seit dem 11. September 2001 verstärkt vorgetragene Kritik an der Schädlichkeit der Religion für Individuen und für das menschliche Zusammenleben. Neuer Atheismus ist ein Sammelbegriff für PhilosophInnen, Bio-WissenschaftlerInnen und andere aus verschiedenen Ländern - hauptsächlich aber aus den USA - die sich selbst nicht unbedingt als "Neue Atheisten", sondern teilweise z.B. als "Atheisten", "Bright" oder "Antitheisten" bezeichnen (1). Bekannte Namen sind Richard Dawkins, Daniel Dennett, Michel Onfray und Sam Harris. Sie stellen ihre Ansichten über den negativen Einfluss der Religionen offensiv in (hohe Auflagen erzielenden) Büchern und durch Auftritte in den Massenmedien dar und fordern eine von falscher Rücksichtnahme freie, offene und allgemeine Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen auf der Grundlage des Standes der Forschung in den Natur- und Humanwissenschaften, der Philosophie und den Sozialwissenschaften. Kritisiert werden der Machtanspruch und der Einfluss, den Religionen in politischen und ethischen Belangen ausüben.

Richard Dawkins

Im Jahre 2007 stand insbesondere Richard Dawkins im Mittelpunkt der religionskritischen Debatte. Er fordert in erster Linie, den "falschen Respekt" abzulegen, der viele Intellektuelle bisher von der Kritik der negativen Seiten der Religion abhielt (2). So attackiert er z.B. Religion - da Glaube nicht auf wissenschaftlichen Beweisen beruhe - als „blinden Glauben“, der sich von anderen Formen des Aberglaubens nur dadurch unterscheide, dass er mehrheits- und gesellschaftsfähig sei und damit das Privileg genieße, sich selbst zirkulär bestätigen zu können. (6)


Religion und “out-group hostility“

Jede Religion geht von ihrer Richtigkeit und Wahrheit aus. Für Dawkins liegt das Problem darin, dass Religionen auf Tradition, Autorität und Offenbarungsglauben beruhe. Religion sei für die meisten Gewaltakte auf der Welt verantwortlich, da sie wegen des Wahrheitsanspruchs die Menschen auf künstliche Weise trenne und Wir- und Sie-Zuschreibungen evoziere.(7) Diese Zuschreibungen würden durch Tradition von Generation zu Generation aufrecht erhalten und somit werde das Phänomen der Blutrache weitergetragen.(8) Als Beispiel nennt Dawkins den Konflikt zwischen ProtestantInnen und KatholikInnen in Nordirland. Dieser Konflikt werde durch getrennte Schulen pertetuiert. Ohne Religion „and religious segregated education, the divide simply would not be there"(9).


Religion und fundamentalistische Überzeugungen

Dawkins definiert Fundamentalismus als einen sicheren Glauben, die Wahrheit zu wissen, die der/die Fundamentalist/in aus einem heiligen Buch schöpfe. Dieses Buch aber sei kein Produkt von Vernunft und Beweisen.(10) Insbesondere Patriotismus und Religion seien die Grundlage für solche Art absolutistischen Denkens,(11) in dem von absoluten Werten in Bezug auf “richtig” und “falsch” gesprochen werde. Und Religion werde dann verabsolutierend, wenn sie dem Menschen vorschreiben wolle, was er im privaten Rahmen machen und denken solle.(12) Dawkins bestreitet die häufig aufgestellte Behauptung, dass die Religion sich für Frieden und einen liebevollen Umgang der Menschen untereinander einsetzt. Es könne nicht von einer wahrhaften und anständigen Religion gesprochen werden, die von ExtremistInnen pervertiert werde. Es gebe nicht so etwas wie einen ´wahren` Glauben, der im Gegensatz zu einer extremistischen Auslegung stehe, denn „how can there be a perversion of faith, if faith, lacking objective justification, doesn`t have any demonstrable standard to pervert?”(13) Dawkins schließt an den Punkt an, dass in sog. heiligen Schriften als der Grundlage einer Religion, selbst aus heutiger Sicht moralisch gute als auch verwerfliche Handlungen nebeneinander stünden. Diese Grundlage an sich gebe aber keine objektive Stellungnahme zu diesem theologischen Dilemma der unterschiedlichen moralischen Anweisungen. Dawkins sieht in den Grundlagen der Religion verabsolutierendes Denken angelegt, das Menschen vorschreiben wolle, was sie im öffentlichen und privaten Rahmen zu tun und zu lassen hätten. Diese Grundlagen mit ihren widersprüchlichen Inhalten, könnten unterschiedlich ausgelegt werden. Moderate Auslegungen, aber auch extremistische seien möglich, da es an einer objektiven Rechtfertigung des widersprüchlichen Inhaltes fehle. Dawkins folgert, dass daher nicht von einem religiösen Extremismus als pervertierte Form der Religion gesprochen werden könne, da die Religion beide Seiten gleichwertig zulasse. Dawkins ist der Ansicht, dass für ansonsten mental gesunde und anständige Menschen nur ein religiöser Glaube eine so starke Motivation ermögliche, wie sie für die Verübung von Selbstmordanschlägen und ähnlichem notwendig sei.(14) Er erklärt, dass solche Menschen eben nicht vom "Bösen" motiviert seien, sondern von einer religiösen Idee, der sie voller Glauben folgten und machten, was ihre Religion ihnen sage.(15) Das andere Problem an Religion sei, dass sie Kinder lehre, den Glauben nicht anzuzweifeln. Es gäbe sicherlich keine Selbstmordattentäter, schließt Dawkins, wenn man die Kinder lehrte, ihre Überzeugungen zu hinterfragen und anzuzweifeln.(16)

"The take-home message is that we should blame religion itself, not religious extremism – as though that were some kind of terrible perversion of the real, decent religion."(17) (Hervorh. i. Orig.)

Daniel Dennett

Michel Onfray

Sam Harris

Kriminologische Relevanz

Unbestritten besitzt der Mensch seit Urzeiten einen starken Hang zum Glauben an höhere Mächte. Das spricht dafür, Gottesglauben als Instrument des sozialen Zusammenhalts und damit als Überlebensvorteil für den Menschen im Laufe der Evolution zu verstehen (Norenzayan, Shariff 2008). Unbestritten besitzt der Glaube an höhere Mächte andererseits das Potential zur Verschärfung von Konflikten und zur Entgrenzung der Gewalt. Es ist das Verdienst des Neuen Atheismus, die Aufmerksamkeit auf diese gleichsam kriminogenen Aspekte von Religion zu lenken und damit für die "Religionskriminalität" in allen ihren Spielarten zu sensibilisieren.

Einzelnachweise

(1) http://hpd-online.de/node/2644 (03.01.2008).

(2) Richard Dawkins: Design for a Faith-Based Missile. http://www.secularhumanism.org/library/fi/dawkins_22_1.html (15.02.2008); vgl. auch DER SPIEGEL Nr. 22 v. 26.06.2007: 56.

(5) http://htod.cdncon.com/o2/rzimht/MP3/OxfordFestivalMcGrathDawkins1.mp3 (14.02.2008).

(6) Richard Dawkins: The God Delusion. London, Toronto, Sydney, Auckland, Johannesburg 2006. (Ab hier: Richard Dawkins: God Delusion), 88.

(7) Richard Dawkins: A Devil`s Chaplain. Selected Essays by Richard Dawkins. Edited by Latha Menon. London 2004, 187.

(8) Richard Dawkins: God Delusion, 257; http://htod.cdncon.com/o2/rzimht/MP3/OxfordFestivalMcGrathDawkins2.mp3 (14.02.2008).

(9) Richard Dawkins: God Delusion, 259.

(10) Ebd., 282.

(11) Ebd., 232.

(12) Ebd., 232, 289.

(13) Ebd., 306.

(14) Ebd., 303; http://htod.cdncon.com/o2/rzimht/MP3/OxfordFestivalMcGrathDawkins2.mp3 (14.02.2008).

(15) Richard Dawkins: God Delusion, 304; Dawkins, Richard: Design for a Faith-Based Missile. In: http://www.secularhumanism.org/library/fi/dawkins_22_1.html. (15.02.2008).

(16) Richard Dawkins: God Delusion, 308.

(17)Ebd., 306.


Literatur von Neuen Atheisten

  • Dawkins, Richard (1993) Viruses of the Mind.
  • Dawkins, Richard (1998) The Emptiness of Theology.
  • Dawkins, Richard (2004) What Use is Religion?
  • Dawkins, Richard - Dawkins' Huffington Post articles
  • Dawkins, Richard (2007) Der Gotteswahn. Berlin: Ullstein (Original: The God Delusion. 2006).
  • Harris, Sam (2004) The End of Faith. ISBN 0-393-03515-8
  • Harris, Sam (2006) Letter to a Christian Nation. ISBN 0-307-26577-3
  • Hitchens, Christopher (2007) God Is Not Great: How Religion Poisons Everything. Twelve/Hachette Book Group (USA); in Großbritannien: God Is Not Great: The Case Against Religion. Atlantic Books, ISBN 978-1-84354-586-6
  • Onfray, Michel (2005) Traité d'athéologie : Physique de la métaphysique, Paris, Grasset (engl. Übers. von Jeremy Leggatt: Atheist Manifesto: The Case Against Christianity, Judaism, and Islam. New York: Arcade Publishing, 2007) (dt. Übers. von Bertold Galli: Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss. München: Piper, 2006).

Weitere Literatur

  • Norenzayan, A., & Shariff, A. F. (2008). The origin and evolution of religious prosociality. Science, Bd. 322: 58.

Links