Muslimbruderschaft

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Die Muslimbrüder oder Muslimbruderschaft (arabisch ‏الإخوان المسلمون‎ al-ichwān al-muslimūn) ist eine der einflussreichsten islamischen Bewegungen im Nahen Osten, die 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet wurde. Seitdem hat sich die Muslimbruderschaft in andere Länder, einschließlich Syriens und Jordanien ausgebreitet. In den jeweiligen Ländern – mit Ausnahme Syriens – ist die Muslimbruderschaft eine der einflussreichsten politischen Bewegungen geworden. Sie gilt als die erste revolutionäre islamische Bewegung. In vielen westlichen Ländern wird die Muslimbruderschaft als fundamentalistisch eingeschätzt.

Durch das Anfang des 21. Jahrhunderts zu beobachtende Erstarken des islamischen Fundamentalismus erlebte die Muslimbruderschaft eine Renaissance. Die Organisation strebt die vollständige Islamisierung der Gesellschaft an. In Ägypten werden die Aktivitäten der Muslimbruderschaft nach einem zwischenzeitlichen Verbot inzwischen wieder geduldet. Über ein Parteienbündnis ist sie im Parlament vertreten. Aus der Muslimbruderschaft ging auch die Hamas hervor.


Herkunft und Entwicklung

Die Muslimbruderschaft wurde im Jahre 1928 von Hassan al-Banna zusammen mit sechs Arbeitern der Suezkanal -Gesellschaft in Ismailiya als Reaktion auf den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und den britischen Kolonialismus in Ägypten gegründet. Ziel war die Verbreitung islamischer Moralvorstellungen und die Unterstützung wohltätiger Aktionen und sozialer Einrichtungen, aber auch die Befreiung des Landes von der fremden Okkupation sowie der Kampf gegen die britisch-westliche "Dekadenz", die sich im Lande ihrer Meinung nach offenbarte. Anfangs war die Bruderschaft eine religiöse Gesellschaft, die im Umfeld säkularistischer Tendenzen und Ansprüche Großbritanniens ihre islamischen Moralvorstellungen verbreiten wollte und wohltätige Aktionen unterstützte. In den 1930er Jahren politisierte sich die Bruderschaft stärker und setzte sich für das Ziel der Rückkehr zum ursprünglichen Islam und der Errichtung einer islamischen Ordnung ein. 1938 erschien Al-Bannas Werk „Die Todesindustrie“, in welchem die Abwendung vom Leben radikalisiert und die Verherrlichung des Märtyrertums entfaltet wird: „Derjenigen Nation, welche die Industrie des Todes perfektioniert und die weiß, wie man edel stirbt, gibt Gott ein stolzes Leben auf dieser Welt und ewige Gunst in dem Leben, das noch kommt.“ In den 1930er Jahren wurden die Aktivitäten der Gruppe zunehmend gesellschaftspolitisch. Die Bruderschaft wuchs dadurch spürbar an. Ende der 30er Jahre noch eine Gruppe von wenigen Hundert, hatte sie 1941 schon ungefähr 60.000, 1948 ungefähr 500.000 Mitglieder und Hunderttausende Sympathisanten.

Anfang der 1950er Jahre führte der Widerstand der Bruderschaft gegen die Briten zu einem regelrechten Kleinkrieg. Sie unterstützte auch den Staatsstreich der "Freien Offiziere" im Juli 1952; einige der Offiziere, darunter Anwar as-Sadat, waren sogar Muslimbrüder. Ägypten reagierte mit einem vorübergehenden Verbot der Gruppe, zahlreiche Verhaftungen folgten. Dies führte in der Folgezeit zu einer theoretischen Richtungsänderung der Bewegung durch Sayyid Q: Auch muslimische Gesellschaften könnten sich im Zustand der (vorislamischen) "Unwissenheit und Ignoranz" (jâhilîya) befinden und dürften daher von aufrichtigen Muslimen (unter Umständen auch auf gewaltsame Weise) gestürzt werden. Folgen müsse dann die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung, deren oberster Souverän nur Gott allein sein könnte. Verhängnisvoll für die Muslimbrüder war es, dass in den 1970er und 1980er Jahren eine Reihe von militanten Gruppierungen ihre Aktionen unter Bezugnahme auf die Schriften Sayyid Qutbs legitimieren wollten. Dies führte dazu, dass die ägyptische Regierung seit Mitte der 1980er Jahre keinen Unterschied mehr zwischen den gemässigten reformistischen Muslimbrüdern und den gewalttätigen Gruppen macht. Somit stehen die letzten Jahre bzw. Dekaden (Berichtsstand: 2000) im Zeichen eines überaus harten Vorgehens der Behörden und Ordnungsmächte gegen die seit Anfang 1996 von Musstafâ Mashhûr geführte Organisation.

Die Muslimbrüder haben heute in ihrem Herkunftsland Ägypten etwa eine Million aktive Mitglieder und unterhalten verschiedene karitative Einrichtungen wie Krankenhäuser und Sozialstationen, vor allem in den ärmeren Vierteln.

In Deutschland verfügt die Gruppe derzeit über etwa 1.250 Mitglieder.


Organisation der Bruderschaft

Die Bruderschaft zählt neben dem sogenannten Wahhabismus zu den einflussreichsten Elementen des islamischen Fundamentalismus. Mitglieder der Bruderschaft waren zeitweise Umar Abd ar-Rahman, der später die radikalere al-Dschamaʿa al-islamiyya gründete, und Aiman az-Zawahiri, der heute als zweiter Mann bei Al-Qaida gilt. Die Bruderschaft finanziert sich aus Zahlungen ihrer Mitglieder, die dazu angewiesen werden einen bestimmten Anteil ihres Einkommens an die Gruppe abzutreten. Ein Großteil dieser Zahlungen erhält die Bruderschaft aus reinen Ländern mit Öl-Vorkommen, vor allem aus Saudi-Arabien.

Die Bewegung hat heute in vielen muslimischen Staaten enorm großen Einfluss, und dort wo es rechtlich gestattet wird, beteiligt sie sich in wichtigen Netwerken wie Islamischen Hilfsorganisationen, um besonders unter der ärmeren Bevölkerung eine potenzielle Basis zu errichten. Dennoch gelten die meisten Staaten, in denen die Gruppe aktiv tätig ist, als nicht pluralistisch. Folglich ist sie in einigen arabischen Staaten verboten und Einschränkungen behindern vor allem ihre politische Macht, indem etwa die Teilnahme an Wahlen untersagt wird.

Aus offiziellen Schriften lässt sich folgende hierarchische Organisation der Bewegung feststellen:

• Die General-Konferenz (“The General Organisational Conference”) gilt als höchste Instanz der Bewegung • Das Shura-Konzil (“The Shura Council”) plant und erarbeitet die grundsätzlichen politischen Inhalte und Programme und formuliert so die Ziele der Bewegung. Ihre Beschlüsse gelten als verbindlich und lediglich die General-Konferenz kann sie modifizieren oder annulieren. So gibt sie auch die Richtlinien für das Exekutiv-Komitee vor. • Das Exekutiv-Komitee („Executive Office”), dem der General-Masul vorsteht (“General Guide”), und dessen Mitglieder, welche vom Shura-Konzil ernannt werden, haben der General-Konferenz zu folgen und deren Arbeit zu koordinieren. Zudem erstellt es in regelmäßigen zeitlichen Abständen einen Bericht für das Shura-Konzil, in dem es über die akutellen Aktivitäten berichtet. Das Komitee verfügt u.a. über folgende Bereiche bzw. Aufgaben: - Exekutive der Gruppe, Organisation der Bewegung, Generalsekretariat, Bildungssekretariat, politisches Sekretariat.

In jedem Staat, in dem die Bewegung aktiv ist, gibt es ein Vertretungskomitee mit einem Masul (Führer), der von den Exekutiv-Führern („General Executive leadership“) ernannt wird. Die Struktur der Komitees ist fast genau wie im Exekutiv-Komitee aufgebaut. Hauptaufgabe der Vertretungen vor Ort ist die Sammlung von Spendengeldern zur Finanzierung, die Rekrutierung neuer Mitglieder sowie die Übernahme anderer muslimischer Organisationen zum Zweck der Vereinigung von Muslimen, um die Verwirklichung der wichtigsten Ziele der Muslimbruderschaft zu erreichen.

Hauptziele der Bruderschaft

Die wichtigsten Ziele der Bewegung werden durch das Exekutiv-Komitee und den Shura-Konzil jeweils in 5-Jahres Plänen formuliert und lauten wie folgt:

Wiedereinführung der Kalifate und Wiedervereinung des „da el Islam“ Stärkung der internationalen Struktur überwachte Disziplinierung Rekrutierung und Organisierung der „Dawa’s“ politische Organisation stärken (z.B. in zivilen politischen Verbänden)

Oberste Führer der Muslimbrüder waren: 1928-1949 Hassan al-Banna; 1949-1951 Salih Aschmawi; 1951-1972 Hasan al-Hudaibi; 1972-1986 Umar at-Talmasani; 1986-1996 Muhammad Hamid Abu Nasser; 1996-2002 Mustafa Maschur; 2002-2004 Mamun al-Hudaibi Banna; seit 2004 Muhammad Mahdi Akif

Kritik an Bruderschaft


Vielfach wurde der Status der Organisation als offizielle, aufrichtige (und gesellschaftspolitische) Vertretung zahlreicher Muslime angezweifelt. Vor allem, was die offiziellen Ansichten und Positionen der Gruppe betrifft. U.a. wurden folgende kritische Äußerungen veröffentlicht:

1) “Counterterrorisms-chief” des weißen Hauses (U.S.), Juan Zarate: „Die Muslimbruderschaft beunruhigt uns nicht weil sie philosophische oder ideologische Meinungen vertritt und umsetzt, sondern weil sie sich für den Gebrauch von Gewalt gegen Zivilisten ausspricht.“

2) Kolumnist und früherer Politiker Kuwaits, Dr. Ahmad Al-Rabi: „Die Anfänge des religiös motivierten Terrorismus, den wir heute beobachten, liegen zur Gänze in der Ideologie der Muslimbruderschaft begründet.“

3) Ehemaliger international tätiger Journalist Douglas Farah bezeichnet die aktuelle Propaganda der Muslimbruderschaft als reine „Charme Offensive“

4) Früherer U.S. Bevollmächtigter im Mittleren Osten, Dennis Ross: „Die Muslimbruderschaft ist eine globale, keine lokale Organisation, welche durch den Shura Konzil regiert wird, welche die Beendigung von Gewalt gegen Israel ablehnt und welche zudem für den Einsatz von Gewalt ist, wenn es um die Erreichung ihrer politischen Ziele geht.“




Einschätzung der Gruppe bzgl. Terrorismus

Die Bruderschaft wurde und wird auch heute mehrfach mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht. Größtenteils resultieren die Verdachtsmomente aus der Tatsache, dass sich die Organisation ganz bewusst und offiziell für Gewalt als letztem Mittel politischer Zieldurchsetzung ausspricht, sollte dies notwendig sein.

So wird von verschiedenen Seiten angenommen, dass ein „Geheimapparat“ der Gruppe für Terroranschläge in Ägypten mitverantwortlich war, u.a. auch bei der Ermordung des ägyptischen Premierministers Mahmud Fahmi an-Nuqrashi 1948. Laut einem Artikel von Rachel Aspden, „The Rise of the Brotherhood“, befürworte die Bewegung Selbstmordattentate gegen Zivilisten in Israel. Ebenso spreche sie sich für den Kampf der radikalen Palästinenser der Hamas aus, sowohl gegen das Militär als auch die Zivilbevölkerung.

Laut den beiden „Newsweek“-Journalisten Mark Hosenball und Michael Isikoff gebe es Verbindungen zwischen al-Qaeda und wichtigen namhaften Bruderschaftsmitgliedern wie Mamoun Darkazanli und Youssef Nada.

Neben konkreten Verdachtsmomenten im Zusammenhang mit lokalem und internationalem Terrorismus sieht sich die Gruppe auch mit Kritik an ihren politischen Forderungen konfrontiert, die oftmals eine Diskriminierung von nicht muslimischen Bürgern, etwa in Ägypten, implizieren. So sprach sich 1997 der damalige Führer der Gruppe, Mustafa Mashhur in einem Interview dafür aus, dass die koptischen Christen in Ägypten die lange aufgehobene Kopfsteuer zahlen sollten, welche nur auf Nicht-Muslime erhoben wurde (als Gegenleistung für Schutz durch den Staat, da Nicht-Muslime vom Militärdienst befreit sind, während dieser für Muslime verpflichtend ist). Weiter sagte er, „dass man nichts dagegen habe, dass christliche Mitglieder im Parlament sitzen, doch die obersten Offiziellen, besonders in der Armee, sollten Muslime sein, da man schließlich ein muslimisches Land ist.“


Weblinks

  • Bericht über die Ideologie der Bruderschaft vom Verfassungsschutz Niedersachsen, Mai 2006 (PDF-Datei; 92 kB)
  • BMI-Broschüre „Islamismus“, 5. Auflage (2006) Stand: Dezember 2003 (PDF-Datei)
  • Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Kurzbeschreibung der Muslimbruderschaft
  • Verfassungsschutzbericht Bayern als pdf-Datei, ausführliche Beschreibung der MB mit ihren Zweigen und den diesen untergeordneten Organisationen auf S. 148ff.
  • Der Vormarsch der Muslimbruderschaft
  • Aims and Methods of Europe's Muslim Brotherhood, Hudson Institute, Nov. 2006
  • Offizielle Website der Muslimbrüder in Englisch
  • „Wirtschaftspolitik der ägyptischen Muslimbrüder“. Qantara.de
  • The Egyptian Brotherhood's official page. In English.
  • The Egyptian Brotherhood's official page. In Arabic.
  • Founder of the Muslim Brotherhood. In Arabic.
  • The Syrian Brotherhood's page. In Arabic.
  • The Jordanian Brotherhood's official page. In Arabic.
  • The Islamic Action Front. In Arabic.
  • The Iraqi Islamic Party. In Arabic.
  • Palestine Info. Unofficial Hamas page. In English.
  • Hasan al-Turabi homepage. In English and Arabic.
  • Kurdish Islamic Union. In Kurdish, English and Arabic.
  • Muslim American Society
  • Jihad A book chapter in Sayyid Qutb's Milestones.
  • The Economic Policy of Egypt's Muslim Brotherhood Qantara.de
  • Egypt's Muslim Brotherhood and Iran: Rapprochement between Sunnis and Shiites?