Murat Kurnaz

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Murat Kurnaz (* 19. März 1982 in Bremen) ist ein in Deutschland aufgewachsener türkischer Staatsbürger, der am 1.12.2001 während einer Pakistanreise verhaftet, auf einen US-Stützpunkt in Kandahar (Afghanistan) und später in das US-Gefangenenlager Guantanamo verbracht wurde, von wo er 2006 auf die US-Basis Ramstein geflogen und am 24.08.06 freigelassen wurde. In seinem in viele Sprachen übersetzten Buch "Fünf Jahre meines Lebens" (2007) beschreibt er in klaren sachlichen Worten die Zeit seiner unter anderem von Folterungen gekennzeichneten Haft. In Deutschland befassten sich zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestags mit dem Fall Kurnaz. Murat Kurnaz lebt heute wieder in Bremen (vgl. Schofield 2008).


Lebenslauf

Nach Hauptschule und dem Beginn einer Ausbildung zum Schiffbauer heiratete Kurnaz im Sommer 2001 eine Türkin (in der Türkei). Im Zuge der Besinnung auf seine islamischen Wurzeln besuchte er die Abu-Bakr-Moschee in Bremen-Mitte und flog nach Pakistan, wo er am 03.10.2001 in Karatschi ankam. Nach seinen Koranstudien wurde er am 1.12.2001 - dem Tag, an dem er von Peschawar zurück nach Deutschland fliegen wollte - von pakistanischer Polizei verhaftet und für ein Kopfgeld von 3000 US-Dollar an us-amerikanische Terroristenjäger verkauft. Über Kandahar wurde er nach Guantanamo verbracht. Nach seiner Freilassung am 24.08.2006 sagte er - am 20.05.08 - als erster ehemaliger Guantanamo-Häftling als Zeuge vor dem U.S. Kongress aus (Videoschaltung von Deutschland).

Der BND-Untersuchungsausschuss ging der Frage nach, ob Kurnaz nicht bereits 2002 hätte freikommen können. Der Verteidigungsausschuss des Bundestags untersuchte, ob Angehörige des Kommandos Spezialkräfte Kurnaz in Afghanistan misshandelten. Haftentschädigung oder Schmerzensgeld erhielt Kurnaz bis November 2008 nicht. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit amerikanischer und deutscher Regierungsstellen wird gegenwärtig (November 2008) geprüft.

Gefangenschaft in Kandahar und Guantanamo

Kandahar

Kurnaz war vom .... bis .... in einem US-Nach seiner Ankunft in Karatschi (03.10.01) besuchte Kurnaz Moscheen der Jamaat al Tabligh zwecks Studiums des Korans. Danach wollte er zurückkehren und auf seine aus der Türkei nach Deutschland zurückkehrende Frau warten. In Pakistan wurde er am 01.12.01 bei einer Routinekontrolle von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und gegen Kopfgeld (3000 US-Dollar) an die US-Streitkräfte verkauft. Er wurde auf die US-Basis nach Kandahar geflogen und dort gefoltert und nach eigenen Angaben auch von deutschen Militärs (Kommando Spezialkräfte/KSK) misshandelt.

Guantanamo

Im Januar 2002 wurde Kurnaz nach Guantanamo geflogen. Der Status als feindlicher Kämpfer bedeutete zu der Zeit, dass er keine Rechte aus den Genfer Konventionen und keinen Anspruch auf Verteidigung geltend machen konnte. Seine Mutter Rabiye Kurnaz erhielt zunächst eine Postkarte, in der er schrieb, dass er in einem Gefangenenlager in Afghanistan sei. Die nächste Postkarte kam im Januar 2002 von dem US-Marinestützpunkt Guantánamo auf Kuba.

Deutsche Ermittlungsbeamte bezweifelten, dass Murat Kurnaz an illegalen Aktivitäten beteiligt war. „Wir konnten nichts nachweisen“, sagte Uwe Picard, Staatsanwalt aus Bremen, zur Überprüfung von Murat Kurnaz’ angeblichen Verbindungen zum Terrorismus.

Deutsche Ermittlungen gegen Kurnaz

Der Karlsruher Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof verwies im Frühjahr 2002 das Verfahren gegen Murat Kurnaz wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung zurück an die Bremer Staatsanwaltschaft. Der Generalbundesanwalt erklärte sich für nicht zuständig, da er nach Prüfung der Ermittlungsakten zu dem Schluss kam, dass kein ausreichender Anfangsverdacht für die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorlag. Die Staatsanwaltschaft Bremen stellte das Ermittlungsverfahren gegen drei weitere Verdächtige (Selcuk B., Ali M., Sofyen B.-A.) noch 2002 ein. Das Verfahren gegen Kurnaz wurde, da dieser sich nicht persönlich äußern konnte, nur vorläufig eingestellt - am 17.10.2006 dann endgültig.

Auch in einem freigegebenen vertraulichen Dokument des Militärischen Geheimdienstes CITF („Command Information Task Force“) wurde festgestellt: „CITF hat keine (...) Hinweise, wonach der Häftling eine Verbindung mit Al Qaida hätte oder irgendeine spezifische Bedrohung für die Vereinigten Staaten darstellen würde.“

Die amerikanische Justiz

Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Juni 2004, wonach das Gefangenenlager in Guantánamo unter die Gerichtsbarkeit der US-Bundesgerichte fällt, stellten die Anwälte von Murat Kurnaz vor einem US-Bezirksgericht im Juli 2004 einen Antrag auf Besuchsrechte, Akteneinsicht und Haftüberprüfung. So durfte der New Yorker Anwalt Prof. Baher Azmy im Oktober 2004 (sowie im Januar und im Juli 2005) mit Murat Kurnaz sprechen. Erst von ihm erfuhr Murat Kurnaz, dass Guantánamo der internationalen Öffentlichkeit ein Begriff war und sich Menschen für ihn einsetzen.

Am 31. Januar 2005 veröffentlichte die Bundesrichterin Green ihre Entscheidung in dem Sammelverfahren um die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von Kurnaz und über 50 weiteren Guantánamo-Häftlingen. Sie kam zu dem Schluss, dass die Inhaftierungen die Genfer Konvention und die US-Verfassung verletzten. Im Fall von Murat Kurnaz stellte sie darüber hinaus fest, es gäbe keine Beweise, dass Kurnaz „selber ein Selbstmordattentat plante, den bewaffneten Kampf gegen die Vereinigten Staaten aufnehmen wollte oder sonst wie beabsichtigte, amerikanische Interessen anzugreifen.“ Bei der Entscheidung eines Militärtribunals (das „Combat Status Review Tribunal“), ihn als „feindlichen Kämpfer“ einzustufen, wären darüber hinaus entlastende Beweismittel nicht berücksichtigt worden. Die Einstufung sei unbegründet und Kurnaz' Inhaftierung rechtswidrig gewesen Diese Entscheidung wurde von der US-Regierung umgehend angefochten und führte deshalb noch nicht zur Freilassung.

Seit Januar 2002 war die deutsche Regierung über die Gefangennahme des türkischen Staatsbürgers Kurnaz informiert und kooperierte eng mit den amerikanischen Sicherheitsdiensten. Schon im Januar 2002 wurde von den Amerikanern die Möglichkeit zum Verhör angeboten. Versuche des Auswärtigen Amts, Kurnaz konsularisch zu betreuen, wurden von amerikanischer Seite mit dem Verweis auf dessen türkische Staatsbürgerschaft abgelehnt. Die türkische Regierung intervenierte jedoch nicht zu Gunsten von Murat Kurnaz. Deutsche Ermittlungserkenntnisse wurden informell an die Amerikaner für die US-Verhöre in Guantánamo übermittelt. Schließlich flogen im September 2002 zwei Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zusammen mit einem CIA-Mitarbeiter zum Verhör nach Guantánamo. Der Mitarbeiter des BfV war zuvor in Bremen auf das Verhör vorbereitet worden, darüber hinaus gab es Fragelisten von BKA und LKA.

Nach Auffassung der deutschen vernehmenden Beamten war Kurnaz nie terroristisch tätig, sondern nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

Da die US-Stellen im Grunde diese Auffassung teilten, sollen die Vereinigten Staaten kurz darauf Kurnaz' Rückkehr nach Deutschland angeboten haben. Die deutschen Behörden hätten jedoch eine Abschiebung in die Türkei, nicht aber nach Deutschland befürwortet. Daraufhin hätten die Vereinigten Staaten ihr Angebot zurückgezogen, obwohl der damalige Außenminister Joschka Fischer persönlich im US-Außenministerium für seine Freilassung intervenierte.

Laut dem damaligen US-Sonderbotschafter und Guantánamo-Beauftragten Pierre-Richard Prosper war Murat Kurnaz seit 2002 zur Freilassung vorgesehen, was der deutschen Bundesregierung auch bekannt war oder hätte sein müssen. Entgegen den Aussagen des heutigen Bundesaußenministers und damaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier hätte sich die deutsche Bundesregierung nicht für eine Freilassung eingesetzt. Der Innensenator Bremens, Thomas Röwekamp, kündigte 2004 an, dass Kurnaz nach seiner Freilassung nicht wieder nach Deutschland einreisen dürfe, da seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis wegen eines mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthalts erloschen sei. Kurnaz habe versäumt, die in solchen Fällen vorgeschriebene Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen. Das Bremer Verwaltungsgericht entschied im November 2005, dass die Aufenthaltserlaubnis weiterhin gültig sei, da Kurnaz keine Gelegenheit hatte sie zu verlängern. Zu dem rechtlichen Schwebezustand von Murat Kurnaz in US-Haft kamen Probleme mit seiner Aufenthaltsberechtigung. Geboren und aufgewachsen in Bremen, ist er zwar kein deutscher Staatsangehöriger, besaß aber eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung.

Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer hatte seiner Familie geschrieben, dass er keine Möglichkeit habe, sich auf diplomatischer Ebene für Murat Kurnaz einzusetzen, da dieser kein deutscher Staatsangehöriger sei. Für die türkische Regierung ist Kurnaz jedoch ein „Deutsch-Türke“. Erst nach dem intensiven Einsatz von Rabiye Kurnaz gelangte die türkische Regierung zu der Einsicht, dass sie für ihn zuständig sei.

Unter Angela Merkel teilte dann die neue Bundesregierung mit, dass sie sich in einer deutsch-türkischen Initiative bei den US-Behörden für die Freilassung von Murat Kurnaz einsetzen wolle. Ab Januar 2006 verhandelten deutsche und amerikanische Diplomaten über die Modalitäten einer Freilassung. Nach vier Jahren bestand erstmals Hoffnung auf eine Freilassung.


Haftentschädigung und/oder Schmerzensgeld

Nachdem der unschuldig nach Syrien verschleppte und dort unter Folter gefangen gehaltene syrischstämmige Kanadier Maher Arar von Kanada 10,5 Milionen kanadische Dollar Schmerzensgeld erhalten hatte, verglich der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Manfred Nowak, den Fall Kurnaz mit demjenigen von Maher Arar. Er regte an, Kurnaz gemäß Artikel 14 der UNO-Konvention gegen die Folter eine angemessene Entschädigung zu zahlten.


Weblinks und Literatur