Monumentalische Historie

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Der Nutzen der monumentalischen Historie liegt für Nietzsche in ihrer motivierenden Funktion: sie zeigt hervorragende Beispiele der Kraft, des Durchhaltevermögens und der charakterlichen Stärke und versetzt diejenigen, die sich an historischen Vorbildern orientieren, in die Lage, Übermenschliches zu leisten. Nachteil: falsche Analogien; man trifft seine Entscheidung in der Gegenwart, als wäre sie die Vergangenheit: man wähnt sich in der Situation des Tyrannenmordes aus der Vergangenheit, dabei ist der gegenwärtige Herrscher vielleicht gar kein Tyrann. Das ist eines der Probleme mit den Lektionen aus der Geschichte. Man steht vor einer neuen Situation, benutzt aber die Lektion, die man als Wunschreaktion für die Vergangenheit gespeichert hat und nun nachholen will.

Beispiele:

  1. Jillian Beckers These von der RAF als "Hitlers Kindern". Die erste RAF-Generation litt unter dem ausgebliebenen bewaffneten Widerstand gegen den Faschismus - und schritt zum bewaffneten Widerstand im Jahre 1970, indem sie in der Bundesrepublik einen neuen Faschismus diagnostizierte und die Bevölkerung zum Kampf mit der "Roten Armee Fraktion" aufrief.
  2. Jessica Durlachers Roman "Der Sohn" (niederl. Original: de held) und dessen These vom Afghanistankrieg als Lagerlektion. Der Enkel ficht es besser aus. Selbstjustiz als späte historische Gerechtigkeit. Mit der Pistole seines im KZ ermordeten Großvaters ("Sei niemals machtlos, wie ich machtlos war") zieht Mitch in einen Privatkrieg. Erst lässt er sich in Kalifornien zum Afghanistankämpfer ausbilden. Dann nimmt er mit der Pistole seines Großvaters in der Hand Rache an den Peinigern seiner Eltern. Die waren traumatisiert und viktimisiert worden: die Mutter wurde von einem "fiesen, dreckigen Faschisten" überfallen und gedemütigt, der Vater niedergeschossen. Wo die ganze Familie handlungsunfähig, kraftlos, mutlos ist, betreibt Mitch seine eigene Vergangenheitsbewältigung. Der Krieg gegen den islamischen Terror ist die "Lagerlektion". Wie kann man man von Toleranz reden, wenn nur noch bewaffneter Widerstand hilft. Nur "der Gedanke an Vergeltung macht den Schmerz erträglich." Der Großvater hätte mit der Pistole sein Leben retten können. Der Enkel agiert, als befinde er sich in der Situation des Großvaters. Das Heute wird zum Re-Enactment der verpassten Chance aus der Vergangenheit. Diesmal soll es gut ausgehen. Dabei geht es vielleicht gerade deshalb schlecht aus, weil sich das Gestern vielleicht doch nicht noch einmal herbeizitieren lässt. Oder jedenfalls nicht so wie gewollt. Dazu das bekannte Zitat von Karl Marx (1852: 115): "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."


Literatur

  • Becker, Jillian (1977)Hitlers Children. The Story of the Baader-Meinhof Terrorist Gang. London: Michael Joseph.
  • Durlacher, Jessica (2012) Der Sohn. Roman. Zürich: Diogenes (Original: de held).
  • Marx, Karl (1852) Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: Karl Marx/Friedrich Engels. Werke. Berlin/DDR: Dietz Verlag 1972, Bd. 8: 115-123.