Montesquieu

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Der von Cesare Beccaria geschätzte französische Schriftsteller, Philosoph und Staatstheoretiker Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, bekannt unter dem Namen Montesquieu, (getauft am 18. Januar 1689 auf Schloss La Brède bei Bordeaux; † 10. Februar 1755 in Paris) ist neben allem anderen bis heute ein Bezugspunkt kriminalpolitischer Diskussionen (vgl. Jung 1999).


Leben und Schaffen

Nach seinem Jurastudium in Bordeaux erhielt der älteste Sohn einer Familie des hohen Amtsadels („noblesse parlementaire)“ von seinem kinderlosen Onkel den Baron-Titel überschrieben, kam in Paris in Kontakt mit Intellektuellen und begann seine Gedanken zu den verschiedensten Themen niederzuschreiben. Nach dem Tod seines Vaters (1713) ging er zurück nach La Brède. Sein Onkel vermittelte die Ehe mit Jeanne de Lartigue (Mitgift: 100.000 Francs) und hinterließ ihm zudem das (ursprünglich einmal vom Großvater gekaufte) Amt eines Gerichtspräsidenten.

Nachdem er über mehrere Jahre schon sowohl belletristisch als auch politisch publizierte hatte (u.a. eine Denkschrift über die Staatsschulden) machte ihn 1721 ein Briefroman berühmt, der bald nach seinem anonymen Erscheinen in Amsterdam von der Zensur verboten wurde: die Lettres persanes (Persische Briefe). Den Inhalt des Werkes, das heute als ein Schlüsseltext des Zeitalters der Aufklärung gilt, bildet die Korrespondenz zweier fiktiver Perser, die von 1711 bis 1720 Europa bereisen und Briefe mit Daheimgebliebenen wechseln. Hierbei schildern sie – und dies ist der aufklärerische Kern des Werkes - ihren Korrespondenzpartnern die kulturellen, religiösen und politischen Verhältnisse vor allem in Frankreich und besonders in Paris mit einer Mischung aus Staunen, Kopfschütteln, Spott und Missbilligung (was spätestens seit Pascals Lettres provinciales ein beliebtes Verfahren war, um den Leser zum Teilhaber einer Sicht von außen zu machen und ihm so einen kritischen Blick auf das eigene Land zu ermöglichen). Montesquieu behandelt in dieser Schrift verschiedene Themen, wie Religion, Priestertum, Sklaverei, Polygamie, Benachteiligung der Frauen u.a.m. im Sinne der Aufklärung. Darüber hinaus ist in die Lettres ein romanesker Handlungsstrang um die daheim gebliebenen Haremsdamen eingeflochten, der an dem Erfolg des Buches nicht ganz unbeteiligt war.

Nachdem er mit den Lettres bekannt geworden war, entwickelte Montesquieu die Gewohnheit, einen Teil des Jahres auf dem Familienschloss La Brède und einen anderen Teil des Jahres in Paris zu verbringen. Er verkaufte sein Richteramt und wurde 1728 Mitglied der Académie française. In demselben Jahr brach er zu einer drei Jahre dauernden Bildungsreise durch mehrere deutsche und italienische Staaten, die niederländischen Generalstaaten und vor allem England auf. 1730 wurde er Mitglied der Freimaurerloge Horn's Tavern in Westminster. 1735 beteiligte er sich an der Gründung der Pariser Loge im Hôtel de Bussy.

Die großen Schriften

Nach seiner Rückkehr 1731 blieb Montesquieu überwiegend auf seinem Schloss. Hier vollendete er auch sein Hauptwerk "De l'esprit des lois/Vom Geist der Gesetze" (Genf 1748), an dem er zwanzig Jahre gesessen hatte. Einerseits nennt er darin die Determinanten, die das Regierungs- und Rechtssystem einzelner Staaten jeweils bestimmen (z.B. Größe, Geographie, Klima, Wirtschafts- und Sozialstrukturen, Religion, Sitten und Gebräuche); andererseits formuliert er – nicht zuletzt in Opposition gegen den im Milieu der Parlaments ungeliebten königlichen Absolutismus – die theoretischen Grundlagen eines universell möglichen Regimes. Zentrales Prinzip ist für Montesquieu hierbei, anknüpfend an John Locke, die Trennung der Bereiche Gesetzgebung (Legislative), Rechtsprechung (Judikative) und Regierungsgewalt (Exekutive), mit anderen Worten die so genannte Gewaltenteilung - ein Begriff, der als solcher bei ihm allerdings noch nicht vorkommt. Sein Buch fand sofort große und weitgestreute Beachtung und löste heftige Attacken seitens der Jesuiten, der Sorbonne und zugleich der Jansenisten aus. 1751 wurde es von der katholischen Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Eine 1750 in Genf publizierte Verteidigungsschrift Montesquieus, die Défense de l’Esprit des lois, hatte darauf keinen Einfluss. Das Prinzip der Gewaltenteilung kam in der Verfassung der Ersten Republik in Frankreich nicht zum Tragen, denn es widersprach der jakobinischen, von Jean-Jacques Rousseau inspirierten Lehre von der ungeteilten Volkssouveränität, weshalb man in der Französischen Revolution sogar Montesquieus Grab zerstörte.

Staatsformen nach Montesquieu

Montesquieu unterscheidet zwischen moderaten Regierungssystemen – das ist die Republik in unterschiedlicher Ausprägung und die konstitutionelle Monarchie - und solchen, die auf Gewaltherrschaft beruhen, wie der Absolutismus und jede andere Despotie. Die drei Haupttypen von Regimen: Republik, Monarchie und Gewaltherrschaft sieht er jeweils durch eine bestimmte menschliche Grundhaltung geprägt: die Tugend, die Ehre und die Furcht.

Für die auf Ehre beruhende konstitutionelle Monarchie, aber auch für die auf Tugend basierende Staatsform, die Republik, hält er Gewaltenteilung für nötig, um die Willkür durch Einzelne oder Mannschaften zu vermeiden, sonst sind sie gefährdet despotisch zu werden.

Montesquieus politische Philosophie enthält liberale und konservative Elemente. Er stellt die moderaten Regierungssysteme nicht gleich, sondern favorisiert ausdrücklich die parlamentarische Monarchie nach englischem Muster. Das dort verwirklichte Modell einer Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative sichere am besten die Freiheit des Einzelnen vor staatlicher Willkür. Diesen Ansatz von John Locke ergänzt er durch eine dritte Gewalt, die Judikative. Außerdem plädiert er für ein Zweikammerparlament mit einem aristokratischen Oberhaus, nicht nur für die Monarchie, sondern auch für die Republik. Damit soll verhindert werden, dass die konstitutionelle Monarchie zur Tyrannei und die Republik zur „Pöbelherrschaft“ wird.

Frühen Einfluss gewann Montesquieu auch auf die Aufklärung in Deutschland: So wandelte z. B. der damals bedeutende protosoziologische Autor Johann David Michaelis ganz auf seinen Spuren mit der Schrift Das Mosaische Recht, worin er bestimmte alttestamentliche Rechtsvorschriften, die von den Aufklärern als abstrus betrachtet wurden, als für Nomadenvölker vernünftig analysierte - zum Ärger mancher Geistlicher und Theologen, die eine Verteidigung der Bibel von dieser Seite wenig goutierten. Auch Johann Gottfried Herder rezipierte neben Rousseaus auch Montesquieus Thesen für seine Geschichtsphilosophie.


Bedingungen und Grenzen des Handelns

Montesquieus Werk ist geprägt von der Suche nach den Bedingungen, Grenzen, Beeinflussungsfaktoren und Möglichkeiten menschlichen Handelns in Gesellschaft und Geschichte. In seine Handlungstheorie, die das Zentrum seines Konzepts von Freiheit ist, bezieht er die Schranken des gesellschaftlichen Handelns in Gesellschaft in die Untersuchung mit ein. Seine Gedanken und Einfälle sammelte er in dicken Notizbüchern. In diesen Notizen, den Pensées, hält er fest: Völlige Freiheit sei eine Illusion. In vielerlei Varianten gebraucht er das Bild eines gigantischen Netzes, in dem sich Fische bewegen, ohne zu bemerken, dass sie in dem Netz gefangen sind. Für Montesquieus ist das Handeln immer Bedingungen unterworfen, die dem Handelnden vorgegeben sind.

Schon in den Lettres Persanes (Persische Briefe), insbesondere in der Parabel der „Troglodyten“ ist ein Konzept der Freiheit erkennbar, das vornehmlich auf Handlungsfreiheit beruht. Diese Freiheit, die stets gefährdet ist, ist in der Republik auf der Grundlage von Vaterlandsliebe und der „Tugend“ der Bürger (d.h. von gerechten und vernünftigen Handlungsweisen) zu verwirklichen. Die Monarchie hängt weniger vom tugendhaften Handeln der Bürger ab und wird am besten durch Gesetze und Institutionen geordnet vom König regiert.

Was im angesprochenen Roman nur angedeutet wird, ist im ersten Hauptwerk Zentrum der Untersuchung: In den „Considerations sur les Causes de la Grandeur des Romains et de leur Décadence“ (Erwägungen zu den Ursachen der Größe der Römer und ihres Verfalls), veröffentlicht in Lausanne 1749, beschreibt Montesquieu die kriegerischen Tugenden der Römer als wichtigste Bedingung für die erfolgreiche Eroberung des zuletzt die gesamte bekannte Welt umfassenden römischen Reiches. Zwar sind das Eroberungshandeln der Römer wie auch einige Besonderheiten der römischen Verfassung zurückzuführen auf klimatische und topographische Bedingungen, ausschlaggebend für den Aufstieg und Niedergang Roms ist jedoch laut Montesquieu die Veränderung der römischen Tugend, die sowohl die Eroberung der Welt ermöglicht als auch den Niedergang bewirkt.


Diese Überlegungen, seine Suche nach den Determinanten und nach der Freiheit des Handelns, treten in systematischerer Form im Hauptwerk De L’Esprit des Lois erneut auf. Montesquieus Frage nach den Prinzipien des Handelns führt in dieser Schrift „Vom Geist der Gesetze“ zu einer neuen Kategorisierung der politischen Ordnungen: Nicht mehr die klassische Frage nach der Zahl und nach der Qualität der Regierenden bestimmt die Unterscheidungen. Montesquieu trennt zwischen gemäßigten und tyrannischen Regierungen und nennt drei mögliche Regierungsformen: Republiken, Monarchien und Despotien, die er jeweils durch Prinzipien, das heißt durch unterschiedliche Motive und Leidenschaften, die das Handeln der Menschen in der jeweiligen Gesellschaft bestimmen, klassifiziert.

In Republiken ist die Macht und das Handeln in der Gesellschaft verteilt. Die Bürger müssen, damit diese Ordnung nicht zerbricht, einen hohen Grad von Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen entwickeln. Es ist notwendig, dass sie einander respektieren und ihre Handlungen dem Gemeinwohl unterordnen: „[…]die ständige Bevorzugung des öffentlichen Interesses vor dem eigenen Interesse“, die Liebe zur Gleichheit der gemeinsam regierenden Bürger und die Vaterlandsliebe beschreiben das Prinzip der Republiken, ohne welches sie nicht lebensfähig sind. Montesquieu nennt dieses handlungsleitende Prinzip „Tugend“. Diese „Tugend“ ist abzugrenzen von dem Tugendbegriff, der seit Platon und Aristoteles als Kriterium für die Güte einer politischen Ordnung dient.

Die Republiken unterteilt Montesquieu in demokratische Republiken, in denen das gesamte Volk an den wichtigen Entscheidungen und an der Vergabe der Ämter beteiligt ist und in aristokratische Republiken, wo die Politik von einer politische Klasse getragen wird. Damit letztere stabil bleiben, muss die jeweils herrschende politische Klasse sich durch besondere Mäßigung und Gerechtigkeit gegenüber den Beherrschten auszeichnen.

Anders als in den Republiken, in denen Gleichheit unter den das öffentliche Leben Bestimmenden vorherrscht, und die sich deswegen aus eigener Kraft mäßigen müssen oder doch sollten, prägt Ungleichheit die Eigenart der Monarchien. Der Monarch, der für die Regierung notwendige Geburtsadel, die Stände, die Provinzen, die Städte, haben ihren Platz in dieser Ordnung. Sie streben nach Ansehen und Prestige. Jeder will sich hervortun, das Hauptprinzip ist die Ehre.

Das handlungsleitende Streben nach Ansehen und danach sich hervorzutun, bewirkt durch die List der Vernunft dieses Prinzips der Ehre, dass zwar alle, ihren Vorteil suchend, große Anstrengungen unternehmen, sie werden aber durch die königlichen Gesetze in Schranken gehalten und so geleitet, dass sie trotz Eigensucht zum allgemeinen Wohl beitragen. „Die Ehre setzt alle Glieder des politischen Körpers in Bewegung; sie verbindet sie durch ihr Handeln selbst, und ein jeder, im Glauben sein Eigeninteresse zu verfolgen, trägt zum Gemeinwohl bei“. Die Mäßigung, die in der Republik von den Bürgern selbst ausgeht, wird also in der Monarchie von außen durch Institutionen und institutionelle Arrangements erreicht.

Diese Überlegungen des Barons sind von dem großen Eindruck geprägt, den die Lektüre eines Buches auf sein Denken hatte: Der Sozialtheoretiker Bernard Mandeville hatte 1714 in seinem Werk The Fable of the Bees (Bienenfabel) beschrieben, wie ein eigenartiges Zusammenwirken von individuellen Lastern durch Regeln zum Nutzen der Gesellschaft umgeleitet werden kann. Er hat – weit vor Adam Smith, dem Vater der Klassischen Nationalökonomie - eine Lasterlehre ökonomischen Wohlverhaltens entwickelt, nach der Habgier, Geiz, Genusssucht, Egoismus, Verschwendungssucht und andere Untugenden sich, von den Institutionen der Marktkonkurrenz geregelt, zum Nutzen der Gesellschaft auswirken. Der Untertitel der Bienenfabel, <Private Laster – öffentliche Vorteile> gibt dieser Interpretation des Marktgeschehens Ausdruck. Montesquieu hat diese Thesen weitgehend übernommen und kann in seinem Gesellschaftsmodell einer Konstitutionellen Monarchie auf Bürgertugenden fast vollkommen verzichten. Der Markt leitet selbst tugendloses Verhalten zum Nutzen der Gesellschaft in sozialverträgliche Bahnen.

In der dritten Regierungsform, der Despotie, ist das Handeln oder Nicht-Handeln der Menschen vom Prinzip der Furcht bestimmt. Es gibt dort nur Mäßigung, wo die Sitten und Gewohnheiten stärker sind als die Macht des Tyrannen. Dieser muss Rücksicht nehmen, beispielsweise auf die religiösen Überzeugungen seiner Untertanen. Grundsätzlich aber ist die Despotie maßlos. Der gesamte Herrschaftsapparat, die Hierarchie der Regierenden, sind von der Furcht ebenso in ihrem Handeln geprägt wie das Volk und der Despot selbst. Da es keine über den Willen des obersten Herrschers hinausweisende Rechtssicherheit gibt (der Wille des Despoten ist oberstes Gesetz) muss jeder um sein Leben, seinen Wohlstand, seine Familie und seine Ämter bangen. Auch der Alleinherrscher selbst kann jederzeit durch eine Palastrevolte gestürzt werden, nichts ist sicher und diese Unsicherheit gilt für alle. Das Regime ist per se instabil.

Die Despotie ist in wirtschaftlichen Fragen das Gegenstück zur institutionellen Monarchie. Während Handel und freies Gewerbe in der geordneten und gemäßigten Monarchie blühen, ruiniert das Prinzip der Despotie, die Furcht, das Wirtschaftsleben. Die allgemeine Unsicherheit, die dieses Regime charakterisiert, verhindert jede langfristige Planung der Bürger. „In derartigen Staaten wird nichts verbessert oder erneuert: die Häuser werden nur für ein Menschenleben gebaut; man entwässert die Böden nicht, man pflanzt keine Bäume; man beutet die Erde aus, aber man düngt sie nicht;“ schreibt Montesquieu in „Esprit des Lois“. Alle am Wirtschaftsprozess Beteiligten wollen von der sichtbaren Entwicklung unabhängig sein. Eine Schattenwirtschaft ist die direkte Folge. Kredite werden heimlich gegeben, da sie aus Ersparnissen und Geldansammlungen gespeist werden, die vor der öffentlichen Gewalt verborgen werden. Daraus entsteht Wucher. Größere Besitztümer werden vor den Machthabern wie auch ihren Helfern und Beamten verborgen – nur so sind sie vor der Konfiskation sicher. Es gibt nur ein am kurzfristigen Bedarf orientiertes Wirtschaftsgebaren; alles andere wird im Geheimen organisiert. Eine allgemeine Verrottung der Ökonomie, soweit sie nicht vom Herrscher oder für den Herrscher betrieben wird, ist die sichtbare Eigenart der Wirtschaft unter der Despotie. Es gibt keinen freien Handel.


Warnung vor Extremismus und Unordnung, Plädoyer für Stabilität und Mäßigung

Montesquieu wandte sich gegen jede extreme, nicht moderate Regierungsform, die auf Angst und Schrecken der Untertanen gegenüber dem fast allmächtigen Despoten und seinen Helfern beruht. Er befürchtete, die zunehmend absolutistisch regierenden Fürsten Europas könnten zu Despoten werden und stellte daher umfangreiche komplizierte Überlegungen über Mischverfassungen zwischen demokratischen und aristokratischen Institutionen sowie über verschiedene Arten republikanischer und monarchischer Systeme an, um Voraussetzungen für stabile und sichere Ordnungen zu schaffen, in denen eine freie bürgerliche Existenz seiner Auffassung nach möglich ist.

Man muss das politische und gesellschaftliche Denken des Aufklärers und Aristokraten Montesquieu nicht nur auf dem Hintergrund der Geistes- und Kulturgeschichte betrachten, sondern auch die Krisen und Umwälzungen seiner Zeit berücksichtigen. Mit dem Edikt von Nantes war 1598 der erbitterte religiöse Bürgerkrieg in Frankreich beendet worden. Die lange Zeit des Absolutismus in reiner Form unter Ludwigs XIV., die dem Land eine Großmachtstellung aber auch verheerende Kriege, Machtkonzentration auf eine Person und ihre Vasallen sowie letztlich im Jahre 1685 sogar die Rücknahme des Toleranzediks von Nantes gebracht hatte, war 1715 von der instabilen Regence und späteren Regierung seines sehr viel schwächeren Urenkels abgelöst worden.

Europa war zur Zeit Montesquieus ein religiöses Schlachtfeld im Waffenstillstand. Die Kolonisierung der übrigen Welt hatte begonnen, der Welthandel zeichnete sich ebenso wie die spätere Industrialisierung ab. Philosophie und Naturwissenschaften entfalteten sich einerseits im Sinne von Vernunft und Erfahrung, andererseits gab es verlustreiche Abwehrkämpfe der alten Herrschaft. Die einzelnen Protagonisten unterschiedlicher Weltanschauungen bekämpften sich teilweise erbarmungslos. Den radikalen Ideen besonders einer großen Zahl französischer Enzyklopädisten setzte Montesquieu einen aufgeklärten, dennoch konservativen, gemäßigten politischen Ansatz entgegen. Der Politiker, Philosoph und Reisende, der über Jahre seines Lebens an seinem Hauptwerk „Vom Geist der Gesetze“ schrieb, antwortete auf die Konfrontationen seiner Zeit mit der Warnung vor Despotie und Tyrannei und einem Plädoyer für moderate stabile Regierungsformen, die dem Bürger (stets begrenzte) Freiheiten ermöglichen.

Freiheit besteht für Montesquieu nicht darin, alles zu tun, was man will, Freiheit ist vielmehr vornehmlich die Erfüllung dessen, was nötig ist und wozu man verpflichtet ist.

Der „allgemeine Geist“ eines Volkes, Schutz der öffentlichen Ordnung als Voraussetzung für Toleranz und Freiheit

Die Regierenden warnt er vor Größenwahn. Der „allgemeine Geist“ („esprit général“) eines Volkes, im Geschichtsprozess langsam gewachsen, durch die Landschaft und vom Klima geprägt, von der Religion beeinflusst und gleichzeitig die Religion bildend, von den Grundsätzen der bestehenden Verfassung durchdrungen, von geschichtlichen Vorbildern, Beispielen und Gewohnheiten, Bräuchen und Sitten bestimmt, stellt die wesentliche Grundsubstanz einer Gesellschaft dar. Dieser Geist sei zwar keine unveränderliche Größe, soll aber laut Montesquieu nur sehr behutsam beeinflusst werden. Vollständig zu manipulieren sei er nicht, da selbst Despoten die religiösen Überzeugungen ihrer Untertanen in irgendeiner Form respektieren müssen. Zwar ändert zum Beispiel der Handel mit fremden Völkern die Sitten, befreit von Vorurteilen und führt zu einem größeren Wohlstand, der allgemeine Geist eines Volkes wird davon allerdings nur in engen Grenzen tangiert.

Zusammenfassend schreibt er: "Verfassungsregeln, Strafgesetze, das Zivilrecht, religiöse Vorschriften, Sitten und Gewohnheiten all das ist ineinander verwoben und beeinflusst und ergänzt sich gegenseitig. Wer da unüberlegt ändert, gefährdet seine Regierung und die Gesellschaft."

Entsprechend plädiert Montesquieu für religiöse Toleranz. Gibt es nur eine Religion in der jeweiligen Gesellschaft, soll keine weitere eingeführt werden. Wo hingegen mehrere nebeneinander existieren, soll der Regierende das Zusammenleben der Anhänger unterschiedlicher Religionen regeln. Die institutionelle Stabilität macht viele Strafbestimmungen überflüssig.

Strafen sollen nur öffentliche Güter schützen. Die Privatsphäre kann auf der Basis von Anerkennung der Unterschiede geregelt werden. Glaubenskontroversen sind grundsätzlich nicht juristisch zu belangen. Die Bestrafung religiöser Frevel solle man dem beleidigten Gott überlassen. Die Verfolgung weltlicher Untaten sei eine hinreichend auslastende Tätigkeit für die Justizbehörden. Montesquieu lehnt die damals selbstverständliche Verfolgung Homosexueller ebenso ab, wie die Bestrafung anderer Verhaltensweisen der unterschiedlichsten Art, wenn diese nicht die öffentliche Ordnung stören, die diese tolerante Haltung erst ermöglicht.

Über Gewaltenteilung

Über Gewaltenteilung schreibt er u.a. in seinem zentralen Werk Vom Geist der Gesetze, 1748:[4] Freiheit existiere nur dann, wenn Legislative, Exekutive und Judikative in einem gemäßigten Regierungssystem strikt voneinander getrennt sind, ansonsten drohe die Zwangsgewalt eines Despoten. Um das zu verhindern gilt, dass die Macht der Macht Grenzen setzen muss. „Sobald in ein und derselben Person oder derselben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit.“ „Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre; denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unterdrückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre.“ „Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“ „Demokratie und Aristokratie sind nicht von Natur aus freie Staatsformen. Freiheit ist nur unter maßvollen Regierungen anzutreffen. Eine Erfahrung lehrt, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu neigt, sie zu missbrauchen. Deshalb ist es nötig, dass die Macht der Macht Grenzen setzt. Es gibt in jedem Staat dreierlei Vollmacht: die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende und die richterliche. Es gibt keine Freiheit, wenn diese nicht voneinander getrennt sind."

Werke

  • De l'esprit des loix (1748), dt. Vom Geist der Gesetze. Reclam, 1994, ISBN 3-15-008953-0
  • Vom Geist der Gesetze I und II (hrsg. u. übers. v. Ernst Forsthoff) Tübingen: Laupp 1951 (UTB 1710)
  • Lettres persanes (1721), dt. Persische Briefe. Reclam, 1991, ISBN 3-15-002051-4
  • Histoire véritable d'Arsace et Isménie (1730), dt. Wahrhaftige Geschichte. Aufbau Tb, 1997, ISBN 3-7466-6010-6
  • Le Temple de Gnide, 1725.
  • Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence. Lausanne 1749 dt. Erwägungen zu den Ursachen der Größe der Römer und ihres Verfalls. Lausanne 1749
  • Größe und Niedergang Roms, Frankfurt/Main, 1980
  • Œuvres Complètes (ed.: Caillois) Pléiade, Paris, Paris, 1949.
  • Œuvres Complètes (ed. Masson) Paris, 1950.

Literatur

  • Horst Wolfgang Karkossa: Art. Baron de Montesquieu. in: Ed Randall & Duncan Brack Hgg.: The Dictionary of Liberal Thought. Methuen, London 2007
  • Martin Drath: Die Gewaltenteilung im deutschen Staatsrecht. in Heinz Rausch Hg.: Zur heutigen Problematik der Gewaltenteilung. Darmstadt, 1969, S. 21-77
  • Jean Firges: Montesquieu: "Die Perserbriefe". Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie Bd. 21. Sonnenberg, Annweiler 2005, ISBN 978-3-933264-41-1 (Interpretation)
  • Heike Jung: Montesquieu und die Kriminalpolitik. Zs. Juristische Schulung (JuS) 1999, S. 216 – 220
  • Alois Riklin: Montesquieus freiheitliches Staatsmodell. in: Politische Vierteljahresschrift 30, S.420–442
  • Helmut Stubbe da Luz: Montesquieu. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50609-2

Weblinks

  • Montesquieu in de.wikipedia
  • Commons: Montesquieu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Wikisource: Montesquieu – Quellen und Volltexte (Französisch)
  • Wikiquote: Charles de Montesquieu – Zitate
  • Literatur von und über Charles de Secondat, Baron de Montesquieu im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Eintrag, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
  • Vom Geist der Gesetze (Auszüge)
  • Artikel in „Namen, Titel und Daten der franz. Literatur“ (Quelle für den Abschnitt "Leben und Schaffen")
  • Kurzbiografie der Académie française (französisch)


Gekürzt und adaptiert - aber noch auf den Ausbau kriminalpolitischer Aspekte wartend - aus: Montesquieu in: de.wikipedia