Mission Atalanta

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Die EU-Mission Atalanta dient dem Schutz humanitärer Hilfslieferungen nach Somalia sowie der Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias. Der Name Atalanta stammt aus der griechischen Mythologie. Er bezeichnet eine Heldin, die mit den Männern, die sie heiraten wollten, um die Wette lief. Alle, die besiegt wurden, erwartete der Tod [1].


Ausgangslage 2008

In Somalia waren, als sich 2008 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in mehreren Resolutionen mit der Piraterie vor der dortigen Küste befasste, durch welche lebenswichtige Handelswege zwischen Asien, der arabischen Halbinsel und Europa empfindlich gestört wurden, mehr als 3 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen [2]. Andererseits zwang die Sicherheitslage viele Hilfsorganisationen zur Einschränkung oder Einstellung ihrer Aktivitäten. In dieser Situation forderten die UN-Resolutionen (1814[3], 1816[4] und 1838[5] die internationale Gemeinschaft zum Schutz der (zu 90% über den Seeweg laufenden) Hilfslieferungen und der wichtigen Seehandelsroute auf, da diese Leistungen durch das instabile Land Somalia selbst nicht aus eigener Kraft erbracht werden könnten.


Rechtsgrundlage

Völkerrecht

1958 wurde der Begriff der Piraterie in der „Genfer Konvention über die Hohe See“ definiert. Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen hat diese Definition übernommen. Um die Fälle von Gewaltanwendung gegen Schiffe, Personen oder Vermögenswerte an Bord dem Begriff der Piraterie im Sinne der Art. 101, 102 SRÜ unterordnen zu können, müssen folgende Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen:

Die Gewalttat muss

  • von der Besatzung oder den Passagieren eines anderen Schiffs,
  • illegal zu privaten Zwecken
  • und auf hoher See oder einem Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, begangen worden sein.

Aus Art. 105 SRÜ ergibt sich, dass auf Hoher See Kriegsschiffe aller Staaten ein Piratenschiff oder ein durch Piraterie erbeutetes und in der Gewalt von Piraten stehendes Schiff aufbringen, die Personen an Bord festnehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen dürfen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit seiner Resolution 1816 (2008) diese Befugnis auf die Küstengewässer von Somalia ausgedehnt. Staaten die mit der Übergangsregierung in Somalia im Kampf gegen Piraterie zusammenarbeiten und sich für den Einsatz notifizieren[6] lassen, dürfen innerhalb der Küstengebiete ihren Auftrag wahrnehmen. Die EU-Mission wurde vor Beginn der Mission durch die Regierung notifiziert[7].

Nationales Recht

Der Europäische Rat verabschiedet im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) die gemeinsame Aktion 2008/851/GASP[8] über die Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias. Dieses Mandat orientiert sich in der Aufgabenstellung an den Resolutionen 1814 (2008), 1816 (2008) und 1838 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die Mission ATALANTA (EU NAVFOR) ist zunächst auf ein Jahr begrenzt.


Entstehung

Auf Antrag der Bundesregierung (Drucksache 16/11337)[9] beschließt der Bundestag am 19. Dezember 2008 mit großer Mehrheit die Beteiligung an der EU-Mission ATALANTA. Für die deutsche Beteiligung können danach bis zu 1.400 Soldaten eingesetzt werden. Das Einsatzgebiet umfasst ein Seegebiet bis zu 500 Seemeilen vor der Küste Somalias und seiner Nachbarländer. Das deutsche Mandat ist bis zum 15. Dezember 2009 begrenzt. Die deutschen Kosten belaufen sich auf etwa 45 Mio. Euro.


Auftrag

Die Operation ATALANTA soll die vor der Küste Somalia operierenden Piraten abschrecken und bekämpfen. Dabei soll zum einen die durch Piratenüberfälle gefährdete humanitäre Hilfe für die Not leidende somalische Bevölkerung sichergestellt werden. Zum anderen soll die Operation den zivilen Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen sichern, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen unterbinden und das Völkerrecht durchsetzen[10].

Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten ergeben sich folgende Aufgaben:

  • Gewährung von Schutz für die vom Welternährungsprogramm (WEP) gecharterten Schiffe, unter anderem durch die Präsenz von bewaffneten Kräften von Atalanta an Bord dieser Schiffe, insbesondere wenn sie die Hoheitsgewässer Somalias durchqueren;
  • im Einzelfall bei Bedarf Schutz von Handelsschiffen in den Gebieten, in denen sie im Einsatz ist;
  • Überwachung der Gebiete vor der Küste Somalias, einschließlich der somalischen Hoheitsgewässer, die Gefahren für maritime Tätigkeiten, insbesondere des Seeverkehrs, bergen;
  • Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, die in den Gebieten, in denen sie präsent ist, begangen werden könnten;
  • Aufgriff, Festnahme und Überstellung von Personen, die seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen haben oder im Verdacht stehen, diese Taten begangen zu haben, in Gebieten, in denen sie präsent ist, und Beschlagnahme der Schiffe der Seeräuber oder bewaffneten Diebe oder der nach einem seeräuberischen Akt oder eines bewaffneten Raubüberfalls gekaperten Schiffe, sofern diese sich in den Händen der Seeräuber befinden, sowie der an Bord befindlichen Güter,
  • Herstellung einer Verbindung zu den Organisationen und Einrichtungen sowie zu den Staaten, die in der Region zur Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias tätig sind[11].

Der Auftrag wird derzeit mit 10 Fregatten, einem U-Boot und drei Seeaufklärungsflugzeugen umgesetzt[12].


Erweiterung des Einsatzgebiet

Die bis Mitte 2009 getroffenen Maßnahmen der beteiligten Staaten führten zu einer Verdrängung der Piraten in Gebiete außerhalb des Operationsgebiet. Die Republik der Seychellen hat aufgrund der Zunahme von Piratenüberfällen in ihrem Seegebiet die Europäische Union um Unterstützung bei der Piratenbekämpfung gebeten. Das politische und sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU hat daher am 19. Mai 2009 die Erweiterung des Einsatzgebiets nach Süden und Südosten beschlossen. Am 18. Juni 2009 stimmte der Bundestag dieser Erweiterung zu. Das Einsatzgebiet hat sich dadurch von ca. 3,7 Mio. auf ca. 5,7 Mio. Quadratkilometer vergrößert. Das neue Einsatzgebiet entspricht etwa der 15-fachen Fläche der Bundesrepublik Deutschland.


Verlängerung des Mandats

Der Europäische Rat (2009/907/GASP)[13] verlängert die Mission ATALANTA am 08. Dezember 2009 für ein weiteres Jahr. Auf Antrag der Bundesregierung (Drucksache 17/179)[14] beschließt der Bundestag am 17. Dezember 2009 die Verlängerung des Mandats für das deutsche Kontingent bis 18. Dezember 2010. Die Kosten der Verlängerung werden auf ca. 47,4 Mio. Euro geschätzt.


Kritik

Der Einsatz der Marine bei dieser Mission wird jedoch teilweise verfassungsrechtlich kritisch betrachtet.

Zuständigkeit der Bundesmarine

Kritiker verweisen u.a. auf eine fehlende Zuständigkeit der Bundesmarine für die Verfolgung und Festnahme von Verdächtigen im Zusammenhang mit Piraterie. Das Grundgesetz sieht den Einsatz der Bundeswehr nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall bzw. bei Naturkatastrophen vor (Art. 87a GG). Das Seeaufgabengesetz sieht grundsätzlich eine Zuständigkeit der Bundespolizei für die Verfolgung von Piraterie außerhalb der deutschen Küstenmeere vor[15]. Dem wird von der Bundesregierung entgegengehalten, dass die Bundeswehr im Rahmen einer EU-Mission tätig wird und die Bundeswehr laut Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 im Ausland eingesetzt werden kann, wenn der Bundestag dem Einsatz zustimmt und der Einsatz im Rahmen von Organisationen „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ erfolgt. Verfassungsrechtler sehen die Grundlage für die Beteiligung eher im Art 25 GG. Danach sind allgemeine Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Die Vorschriften des SRÜ zur Piratenbekämpfung werden als solcher Bestandteil des Bundesrechts angesehen. Ohne die erforderlichen Voraussetzungen könnte die Bundesmarine trotzdem Hilfe auf See leisten. Grundlage dafür ist nach Art. 98 SRÜ die Verpflichtung eines Kapitäns jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe (Nothilfe) zu leisten[16].

Rechtsgrundlage für Strafverfolgung

Verfassungsrechtliche Bedenken werden ebenfalls im Hinblick auf den Umgang mit festgenommenen Personen gesehen. Kritiker des Einsatzes beziehen sich dabei auf Art. 104 GG und führen an, dass Festnahmen nicht durch Soldaten durchzuführen sind und das die richterliche Vorführungs- und Anhörungspflicht spätestens am Tag nach der Festnahme nicht gewährleistet ist. Dem wird entgegengehalten dass, völkerrechtlich die Festnahme über das SRÜ geregelt sei und innerstaatlich der § 127 StPO jedem Bürger das Recht zur vorläufigen Festnahme zusichert. Der EU-Beschluss zur Umsetzung der gemeinsamen Aktion regelt im weiteren die Überstellung der aufgegriffenen und festgenommenen Personen zwecks Wahrnehmung der gerichtlichen Zuständigkeit. Festgenommene Personen können danach an Gerichte des zuständigen Mitgliedsstaates oder eines Drittstaates übergeben werden. Die EU hat am 6. März 2009 ein Abkommen mit Kenia zur Überstellung und Strafverfolgung von Piraten abgeschlossen. Voraussetzung ist eine angemessene Behandlung der Tatverdächtigen. Das Abkommen regelt detailliert, wie die von EU-Kriegsschiffen an Kenia übergebenen Seeräuber zu behandeln sind. Demnach dürfen die Piraten in Kenia weder gefoltert noch zu einer grausamen, entwürdigenden Strafe oder gar zum Tode verurteilt werden. Die Gefangenen sind angemessen unterzubringen und zu ernähren. Ihnen ist Zugang zu medizinischer Behandlung zu gewähren und die Ausübung ihrer Religion zu ermöglichen. Die Piraten sollen unverzüglich einem Richter vorgeführt und in angemessener Zeit verurteilt oder freigelassen werden. Sie haben Anspruch auf einen Dolmetscher und einen Rechtsanwalt. Eine Verurteilung dürfen sie vor einem höheren kenianischen Gericht anfechten. Kenia muss Vertretern der EU oder ihrer Anti-Piraten-Mission "Atalanta" Zugang zu den Gefangenen gewähren, ebenso wie internationalen humanitären Organisationen. Die gesundheitliche Verfassung der Gefangenen, ihre Unterbringung und ihr beschlagnahmtes Eigentum sind genau zu dokumentieren. Die Unterlagen müssen EU-Vertretern auf Anforderung zugänglich gemacht werden. Fehlende Abkommen zwischen EU und Anrainerstaaten führten in der Anfangsphase des Einsatzes dazu, dass zahlreiche Piraten nach ihrer Entwaffnung wieder freigelassen wurden[17]. Menschenrechtsorganisationen bezweifeln trotzdem die Einhaltung der vereinbarten Rechtsstandards in Kenia[18].

Rechtsunsicherheit der eingesetzten Soldaten

Soldaten können für Zwischenfälle im Rahmen der Mission die als Rechtsverletzung bewertet werden zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn ein Pirat zu Schaden oder ums Leben kommt, können die Soldaten strafrechtlich belangt werden. Die Soldaten haben nicht die Möglichkeit, sich auf das Kriegsrecht zu berufen, um damit mögliche Kollateralschäden zu rechtfertigen. Denn die Piratenbekämpfung ist kein Krieg, sondern besteht in straf- und polizeirechtlichen Maßnahmen[19].


Übersicht 2009

Bislang konnten von Marine-Einheiten der Europäischen Union 42 Schiffe des Welternährungsprogramms mit mehr als 250.000 Tonnen Hilfsgütern in 24 Gruppentransporten sicher geleiteten. Zusätzlich wurden bislang 201 Handelsschiffe unbehelligt durch den Transitkorridor im Golf von Aden geführt. Handelsschiffe, deren Schutz und Begleitung durch Atalanta organisiert war, wurden bisher nicht von Piraten gekapert (Stand Juli 2009)[20].

Durch deutsche Marineeinheiten wurden bisher 23 Piraterieverdächtige an Kenia übergeben (Stand 17.12.2009). Insgesamt wurden seit März 2009 durch Atalantaeinheiten 75 Verdächtige an Kenia übergeben[21].

Die am 04. April 2009 vor der Küste Somalias gekaperte „Hansa Stavanger“ sollte nach dem Willen des Bundesregierung durch den Einsatz der GSG9 des Bundesgrenzschutz gewaltsam befreit werden. Der Einsatz des Sonderkommandos wurde jedoch aufgrund der Sicherheitslage an Bord kurzfristig abgesagt[22]. Die Piraten verließen die „Hansa Stavanger“ am 3. August 2009 nach Zahlung von 2,75 Millionen Dollar.

Im Seegebiet um Somalia wurden 2008 bei 111 angegriffenen Schiffen 42 entführt. Im Jahr 2009 kamen auf 217 Angriffe lediglich 47 Entführungen. Trotz insgesamt gestiegenen Angriffen verschlechterte sich die Erfolgsquote für die Piraten. Für mehr als die Hälfte aller registrierten Überfälle weltweit waren somalische Piraten verantwortlich. 47 von weltweit 49 Entführungen im Jahr 2009 fanden in der Region um Somalia statt[23].

Piraterie hat sich in Seeregionen, in denen die angrenzenden Staaten wenig Stabilität, wenig Willen oder die Mittel besitzen um gegen die Strukturen vorzugehen als lukrative und oftmals einzige Einnahmequelle etabliert. Eine lückenlose Überwachung des Schiffsverkehrs kann aufgrund der Größe des Seegebietes nicht gewährleistet werden. Das Problem der Piratenüberfälle wird ohne Veränderungen der strukturellen Ursachen der Piraterie daher bestehen bleiben.


Literatur

Pfeiffer, Hermannus; Seemacht Deutschland (2009); ISBN 9783861535133


Weblinks

  • www.bundespolizei.de
  • www.auswaertiges-amt.de
  • www.bundeswehr.de
  • www.bmvg.de
  • www.marine.de