Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985)

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Mit dem von der CIA unterstützten Militärputsch in Brasilien vom 31.3.1964 gegen die Regierung João Goulart übernahm das Militär für 21 Jahre die Macht im Land. Dieser Zeitabschnitt stand in einer langen autoritären Tradition des Landes (Tenentismus) und sollte von einer Politik des militärischen Selbstverständnisses als Ordnungsmacht und als Elite geprägt sein.

Offiziellen Angaben zufolge wurden unter dem Regime 480 Menschen umgebracht. Von 160 Verschwundenen gibt es keine Spur mehr. Mehr als 100.000 Menschen wurden aus politischen Gründen inhaftiert. Die Zahl der Folteropfer wird auf mindestens 50.000 geschätzt (Michahelles 2013).

Am 1. April hatte sich der Präsident zurückgezogen, am 2. April war er ins Exil gegangen. Am 9. April wurden mit dem sog. Ersten Institutionellen Akt (AI-1) die Verfassung geändert, die parlamentarische Immunität aufgehoben und die Möglichkeit zur Annullierung von Abgeordnetenmandaten (von der kommunalen bis zur nationalen Ebene) geschaffen.

Am 11. April wurde Humberto de Alencar Castelo Branco (1964-1967) zum ersten Präsidenten der Militärdiktatur gewählt. Es folgten die Militär-Präsidenten

  • Artur da Costa e Silva (1967- 1969)
  • Márcio de Souza e Mello (1969)
  • Emílio Garrastazu Médici (1969-1974)
  • Ernesto Geisel (1974-1979) und
  • João Baptista Figueiredo (1979-1985).

Ziele

Die maßgeblichen Militärs wollten - im Gegensatz zu 1930, als sie mit wenig Erfolg auf eine indirekte Steuerung willfähriger Zivilisten gesetzt hatten - im Jahre 1964 die Regierung direkt übernehmen. Sie kamen aus der 1949 gegründeten Obersten Kriegsschule (Escola Superior de Guerra) und verbanden einen tradierten militärischen Wertekanon mit Fortschrittsgläubigkeit, progressive Konzepte mit einem messianischen Sendungsbewusstsein. Ihr Ideal war die Gewährleistung der "inneren Sicherheit" und der Ausschaltung politischer Widerstände wie potentieller kommunistischer Verschwörungen. Den Kommunismus, der seit dem Sieg der kubanischen Revolution von 1959 als besonders virulent angenommen wurde, erklärten die Militärs zum Hauptfeind und Verantwortlichen eines "revolutionären, subversiven Krieges" gegen die innere und äußere Sicherheit des Landes. 1965 brach Brasilien die Beziehungen zu Kuba ab.

Sie konnten auf dem Verwaltungsapparat der Vargas-Regierungen aufbauen und eine neue Generation von regimeabhängigen Technokraten und Bürokraten heranziehen, eine elitäre Führungsgruppe von Techno- und Bürokraten, Unternehmern und Militärs, für die der Hauptteil der brasilianischen Bevölkerung eine weit entfernte, wenig greifbare Realität blieb: ein potentieller Hort von Subversion und Opposition.

Anfängliche Reaktionen

Anfangs wurde der Machtwechsel von einer breiteren Bevölkerungsschicht befürwortet. Da zudem Regimewechsel in Brasilien (1889, 1930, 1945) meist ohne blutige Konflikte, sonder mittels Notstandsgesetzgebung vor sich zu gehen pflegten, spielte wohl auch der Gedanke an die Tradition staatlicher und zivilgesellschaftlicher Gewaltlosigkeit eine Rolle (Prutsch).

Repression

Bald entfaltete sich die institutionalisierte Gewalt (violencia institucional) in Brasilien in besonderem Maße. Staatlicher Terrorismus und die allgemeine Verfolgung Oppositioneller nahmen rapide zu. Das genaue Funktionieren des Unterdrückungsapparats der Militärs ist bis heute ungeklärt. Eine Rolle spielten auf jeden Fall die Todesschwadronen. Ihre terroristische Vorgehensweise überdauerte in Teilen auch das Ende der Diktatur - noch lange nach dem Abtreten der Militärs wurden Kinder, Jugendliche, Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner verschleppt und ermordet (DW über den Putsch).

"Offiziellen Angaben zufolge wurden unter dem Regime 480 Menschen umgebracht. Von 160 Verschwundenen gibt es keine Spur mehr. Mehr als 100.000 Menschen wurden aus politischen Gründen inhaftiert. Die Zahl der Folteropfer wird auf mindestens 50.000 geschätzt" (Michahelles 2013).


Aufarbeitung

Ein Charakteristikum des brasilianischen Umgangs mit der Erfahrung der Militärdiktatur ist der schleppende und schrittweise Stil der Aufarbeitung. "Während in den Nachbarländern Argentinien und Chile viele Täter bereits zur Verantwortung gezogen wurden, hat in Brasilien die Suche nach Toten und Verschwundenen gerade erst begonnen" (Michahelles 2013).

Historie

  • Laut der brasilianischen Verfassung hätte die Suche nach der Wahrheit bereits 1988 beginnen sollen. Doch das Thema kam nicht vom Fleck - die Familienangehörigen der ehemaligen politischen Gefangenen, Verschwundenen und Ermordeten und die Menschenrechtsorganisationen, die auf Aufklärung drangen, fanden kein Echo in Politik und Gesellschaft.
  • 1995 wurde eine Kommission für Tote und Verschwundene gegründet. 2003 wurden einige materielle und symbolische Entschädigungen bewilligt.
  • 2010 wurde Brasilien durch den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilt. Kläger waren Familienangehörige der Verschwundenen und Toten der Guerilla von Araguaia gewesen, einer zwischen 1972 und 1974 aktiv gewesenen bewaffneten Widerstandsgruppe aus dem Bundesstaat Pará.
  • Mit der Amtseinführung der nationalen Wahrheitskommission im Jahre 2012 erlangte die Vergangenheitsbewältigung in Brasilien erstmals öffentliche Bedeutung. Die sieben Mitglieder der Kommission wurden von Staatspräsidentin Dilma Rousseff persönlich ernannt, die während der Diktatur selbst verfolgt, gefoltert und inhaftiert wurde. Koordinatorin der Kommission ist Rosa Maria Cardoso: "Es gibt Gewalttaten, die nicht verschwiegen werden dürfen und von der unsere Jugend erfahren muss. Wir wollen nicht nur aufklären, sondern die brasilianische Gesellschaft für die Suche nach der Wahrheit mobilisieren" (Michahelles 2013).

Probleme

Vier Faktoren hemmen die Aufarbeitung:

  1. Der "Pakt des Schweigens", eine Art Unkultur der Versöhnung, die dadurch zustande kommt, dass die Eliten die Schwäche des Staates und der Gesellschaft für ihre eigenen Interessen missbrauchen. Laut Joao Ricardo Dornelles, Rechtsanwalt und Mitglied der Wahrheitskommission im Bundesstaat Rio de Janeiro, spielt die Tradition des "Pakts von oben" eine Rolle, d.h. die Tatsache, dass sich in Brasilien viele Umbrüche durch Abkommen oder einen Pakt von oben vollzogen. Sowohl die Erklärung der Unabhängigkeit Brasiliens 1822 als auch die Abschaffung der Sklaverei 1889 erfolgte ohne Beteiligung des Volkes. Der "Pakt von oben" zwischen Gegnern und Befürwortern der Militärdiktatur mündete in den 1980er Jahren dann in eine kontrollierte Übergangsphase. Das blockierte Fortschritte in einigen ideologisch besonders sensiblen Bereichen wie z.B. der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und der Repression durch staatliche Organe. Auch das Militär ließ man weitgehend in Ruhe: die Lehrpläne in brasilianischen Militärakademien basieren immer noch auf der Doktrin der nationalen Sicherheit, mit der 1964 der Putsch in Brasilien gerechtfertigt wurde.
  2. die Gewalt gegen die Bevölkerung
  3. die starke soziale Ungleichheit
  4. die anhaltende Inflation.

Weblinks

Film